"Heroines of Sound"-Festival in Berlin

Gegenentwurf zur männlich dominierten Musikwelt

Ein modularer Moog-Synthesizer des amerikanischen Erfinders Bob Moog aus den 1960er Jahren. Er gilt als das erste ernst zu nehmende elektronische Gerät zum Erzeugen synthetischer Klänge.
Ein modularer Moog-Synthesizeraus den 60ern. Die Vorstellung, dass nur Männer solche Instrumente gespielt haben, ist irrig, sagt das "Heroines of Sound"-Festival in Berlin. © picture alliance / Maximilian Schönherr
Von Esther Schelander · 07.07.2017
Bei "Heroines of Sound" geht es ausschließlich um Frauen in der elektronischen Musik: Mainstream und Avantgarde treffen dabei aufeinander, in Vergessenheit geratene Künstlerinnen werden gewürdigt. Der thematische Schwerpunkt ist der polnischen Komponistin Elzbieta Sikora gewidmet.
"Heroines of Sound", die Heldinnen des Klangs also, lautet der Titel eines Berliner Festivals, das zum mittlerweile vierten Mal die Frauen in der elektronischen Musik feiert. In den Schwerpunkten des Festivals treffen zeitgenössische auf historische Positionen und Mainstream auf Avantgarde. Stets aus der weiblichen Perspektive betrachtet. Die dabei erzählten Geschichten setzen zugleich auch ein Signal: Frauen sind in der elektronischen Musik keine Ausnahmeerscheinung, sie waren schon immer hier.

Es herrscht Nachholbedarf

Selbstverständlich ist diese Ansicht noch nicht, es herrscht Nachholbedarf – ganz im Gegensatz etwa zur Performancekunst, aus deren Geschichte Wegbereiterinnen wie Mabrina Abramovic oder Yoko Ono gar nicht wegzudenken sind, wie Sabine Sanio aus dem Kuratorinnenteam erklärt. Auch deshalb wolle man hier verschiedene Positionen miteinander ins Gespräch bringen, führt die an der Universität der Künste lehrende Musik- und Kunstwissenschaftlerin aus: Die Pionierinnen sind "einfach irgendwann aus dieser Geschichte rausgeschrieben worden", sagt sie.
"Die tauchen gar nicht mehr auf. Die muss man wirklich wieder entdecken. Und Eliane Radigue ist ein ganz berühmtes Beispiel, die jetzt in den letzten zehn Jahren überall rumgereicht wird, weil man es gar nicht glauben kann, dass man die so wenig kennt und die ist ja schon sehr, sehr alt. Heutzutage sind Helden Fußballspieler, die Tore schießen, und früher war das mal der tragischer Held der Tragödie und die haben ja tatsächlich auch noch ein bisschen was Tragisches - die vergessenen Komponistinnen, die oft ja auch nicht davon leben konnten und erst im Nachhinein wieder ausgegraben werden müssen. Also da, find' ich, passt der Begriff der Heldin schon auch."
Dennoch empfinden manche Künstlerinnen auch einen Zwiespalt. Sie wollen in erster Linie wegen ihrer Kunst wahrgenommen werden, nicht wegen ihres Geschlechts. "Don‘t call me a female artist, I am an artist", dieser Satz fällt oft. Dennoch: Die Form des Festivals hat Potenzial, einfach weil Geschlecht eine performative Kategorie ist – wir stellen bestimmte Geschlechterbilder also her. Und da bildet ein vielseitiges Line-Up automatisch einen Gegenentwurf zu einer männlich dominierten Musikwelt.

Die Entdeckung des Klangs an sich

Im Mittelpunkt des Festivals steht die polnische Komponisten Elzbieta Sikora. Sikora hat in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Tontechnik und klassische Komposition in Warschau studiert. Später ging sie nach Paris um dort im Umfeld des berühmten Klangforschungslabor Groupe de Recherches Musicales, der GRM, zu lernen. In diesem Umfeld bewegten sich auch namhafte Künstler wie Pierre Schaeffer, François Bayle, Michel Chion, Luc Ferrari und auch der leider vor kurzem verstorbene Pierre Henry.

Eine Komposition von Elzbieta Sikora von 1976:

Musikalisch stand man damals vor einem fundamentalen Umbruch: Erstmals konnte man Klänge aufnehmen, modifizieren und über Lautsprecher abspielen. Das gab es bis dahin nicht, was dazu geführt hat, dass man plötzlich ganz anders über Sound nachgedacht hat. Weg vom Instrument, weg von der Partitur hin zu der Frage "Was macht Musik eigentlich aus?". Und zur Beschäftigung mit dem Klang an sich.

Das Bewusstsein wandelt sich

Was dabei entstanden ist, klang in vielen Ohren erstmal nur schräg. Damit hatte auch Elzbieta Sikora zu kämpfen. Im Gespräch erinnert sie sich daran, als ihr Vater zum ersten Mal eine ihrer Kompositionen gehört hat:
"Die lief im polnischen Radio und mein Vater sagte nur, ist schon in Ordnung, aber es klingt wie ein fliegendes Flugzeug. Die Leute waren also zunächst verblüfft. Aber allmählich fanden sie doch Gefallen daran, sich das anzuhören. Nicht jeder, versteht sich. Auch die Musik wandelte sich allmählich. Sie ist nicht mehr dieselbe wie vor 50 Jahren. Heute gibt es so viele Genres. So viele unterschiedliche Arten von Musik. Die elektronische Musik wanderte von Pop über Jazz bis hin zu anderen Kategorien. Heute stellt sie ein sehr weites Feld dar."
Was man auch bei dem Festival selbst nachvollziehen kann. Die Debatte hat die Nische verlassen und ist im Mainstream angekommen. Inklusion und Diversität werden heute breiter gedacht, als noch vor ein paar Jahren. Es geht nicht mehr alleine um Genderfragen - auch queere Identitäten und People of Color werden mitgedacht. Das zeigt sich auch darin, wie etablierte Festival wie die Club Transmediale und das Berliner Theatertreffen diese Themen aufgreifen. Das Bewusstsein dafür hat sich gewandelt.

Hören Sie hier die ganze Fazit-Sendung vom 07. Juli 2017:

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