Hermann Stresau: "Von den Nazis trennt mich eine Welt"

Zeugnis der inneren Emigration

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Von den Nazis trennt mich eine Welt" von Hermann Stresau.
Die Tagebücher Hermann Stresaus sind ein außergewöhnliches Zeitdokument, das vielfach auch Anlass zu Überlegungen zu unserer Gegenwart gibt. © Deutschlandradio / Klett-Cotta
Von Carsten Hueck · 22.05.2021
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Der ehemalige Bibliothekar Hermann Stresau hat während der Zeit des Nationalsozialismus Tagebuch geschrieben. Darin beschreibt er den Alltag unter dem Regime. Die Aufzeichnungen zeugen aber auch von der inneren Emigration des Autors.
Hermann Stresau ist fast vierzig, als er 1933 seine Arbeit verliert. Mangelnde Nähe zum Nationalsozialismus wird dem Bibliothekar der Städtischen Bücherei Spandau vorgeworfen. Gerade hat er sich mit seiner Frau ein Häuschen am Rande Berlins gekauft, wird dabei vom Bauunternehmer und Architekten übers Ohr gehauen und hat keine Chance, sich auf dem Rechtsweg gegen sie durchzusetzen: Sein Anwalt rät von einer Klage ab, beide seien Parteigenossen. Die Geschichte einer inneren Emigration erzählt Hermann Stresau eindringlich in seinen Tagebüchern.

Nicht dem Zeitgeist unterworfen

Es erstaunt, mit welchem Gleichmut, empört aber doch gefasst, Hermann Stresau die neue, existenziell bedrohliche Situation hinnimmt. In die Partei oder SA will er nicht eintreten, um seine Lage zu verbessern. Er zeigt Haltung, innere Größe, unterwirft seine Moral nicht dem Zeitgeist. Er beginnt, ein Tagebuch zu schreiben, in dem er festhält, wie Deutschland sich verändert.
Innere Emigration – Stresau darf diesen Begriff mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen, denn er macht sich nicht gemein mit den neuen Machthabern und ihrer hohlen Ideologie, ist weder physisch noch emotional an der neuen Politik beteiligt, doch geht sie ihn an.

Bildungsbürger und Nationalkonservativer

Er fühlt und denkt als deutscher Patriot, beobachtet mit unbestechlichem Blick, auch eigene Gefühle und Gedanken immer wieder hinterfragend, Alltagsgeschehen. Sammelt Zeitungsausschnitte, berichtet von Begegnungen und Gesprächen. Hält seine Eindrücke fest, beschreibt, wie das Versagen der bürgerlichen Intelligenz, Denuziantentum sowie Karrieredenken und vorausseilender Gehorsam vieler Bürger die Naziherrschaft stabilisieren, entlarvt deren plumpe Rhetorik, notiert, warum die meisten dennoch mitmachen. "Das ist kein Glaube, sondern nur so eine Art Kirchlichkeit."
Stresau, ein Bildungsbürger, Nationalkonservativer und Freiwilliger des Ersten Weltkriegs, sieht sehr schnell, dass der Nationalsozialismus Deutschland in eine Katastrophe führen wird. In seinen Tagebüchern deutet er philosophisch, politisch und kulturhistorisch Ereignisse und Entwicklungen. Stilistisch hervorragend, sind sie ein außergewöhnliches Zeitdokument, das vielfach auch Anlass zu Überlegungen zu unserer Gegenwart gibt.

Hermann Stresau: "Von den Nazis trennt mich eine Welt. Tagebücher aus der Inneren Emigration 1933–1939"
Herausgegeben von Peter Graf und Ulrich Faure
Klett Cotta, Stuttgart 2021
448 Seiten, 24 Euro

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