Herfried Münkler zu Trumps Außenpolitik

"Europa wird sich zunehmend erpresst fühlen"

US-Präsident Donald Trump unterschreibt ein Dokument, nach dem er den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen bekannt gegeben hat.
US-Präsident Donald Trump unterschreibt ein Dokument, nach dem er den Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen bekannt gegeben hat. © AFP / Saul LOEB
Moderation: Stephan Karkowsky · 11.05.2018
Der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran könnte nach Einschätzung des Politologen Herfried Münkler die weltpolitische Konstellation verändern. Denn zu einer "rabiaten, unberechenbaren" Führungsmacht USA würden die Europäer zunehmend auf Distanz gehen.
Offenbar beflügelt von den anstehenden Nordkorea-Gesprächen, die Donald Trump als Erfolg seiner Drohpolitik gegenüber Kim Jong Un verbucht, hat der US-Präsident das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Doch selbst wenn es ihm gelänge, ein neues und aus Sicht der USA besseres Abkommen mit dem Iran zu verhandeln - die Angelegenheit hat nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Herfried Münklers das Potenzial, die weltpolitische Konstellation zu verändern.
Hart aber fair am 05.09.2016 im Studio Berlin Adlershof in Berlin. Herfried Münkler stellt sein Buch "Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft?" vor.
Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler© picture alliance/ dpa/ Revierfoto
"Das wird auch dazu führen, dass man sich in Europa zunehmend durch die USA erpresst fühlt", so Münkler im Deutschlandfunk Kultur. "Und dieses Empfinden des Erpresstseins wird dann sicherlich auch über kurz oder lang dazu führen, dass die USA einen Weg gehen, in dem das, was vorher sozusagen ihre leichte und sanfte Führung des Westens war, sich in eine rabiate, unberechenbare verwandelt, und dann werden die Europäer zunehmend auf Distanz gehen."

Trump verwandelt Rechtsfragen zurück in Machtfragen

Außerdem habe Trump mit der einseitigen Aufkündigung eines multilateralen Abkommens "Rechtsfragen wieder rückverwandelt in Machtfragen", sagt der Politikwissenschaftler. Eigentlich sei man immer davon ausgegangen, dass Demokratien die bessern Vertragspartner seien, da in ihnen ein Regierungswechsel normalerweise weniger gebrochen verläuft. "Das beginnt sich zurzeit zu ändern, und damit gerät natürlich auch sehr viel, was wir von Verbindungen zwischen Demokratie und Stabilität, Erwartbarkeit, Berechenbarkeit, Vertragstreue angenommen haben, unter den gegenwärtigen Bedingungen ins Rutschen."
(uko)

Stephan Karkowsky: America first – das rigorose Motto der Trump-Regierung in Washington macht die USA selbst für seine Freunde derzeit zu einem schwierigen Partner. Bislang konnte man sich zumindest drauf verlassen, dass die USA in internationalen Vereinbarungen vertragstreu sind. Ob die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran bereits Zeichen eines Wandels ist, also dass sich da vielleicht was ändert, das möchte ich mit dem Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler besprechen. Herr Münkler, guten Morgen!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Oder ist die Aufkündigung dieses Abkommens nach Neubewertung durch Trump für Sie ein völlig normaler Vorgang?
Münkler: Na ja, ein völlig normaler Vorgang sicher nicht. Ich meine, zweifellos, man kann Verträge kündigen. Trump hat das ja auch in gewisser Weise schon im Hinblick auf die Klimaabkommen getan. In diesem Falle gab es auch Termine, innerhalb deren er es getan hat, aber wir haben es hier mit einem Abkommen zu tun, das über mehr als ein Jahrzehnt verhandelt worden ist, bei dem die USA nur einer von sechs Parteien ist, von sieben Parteien, nämlich den fünf Mitgliedern des ständigen Sicherheitsrates plus Deutschland, plus Iran.
Also, sozusagen, sie treten nicht aus einem Abkommen aus, in dem zwei – nämlich sie und ein anderer – drin sind, sondern verlassen im Prinzip hier Kooperationsstrukturen, die zentrale Fragen der internationalen Ordnung betreffen, und insofern kann man sagen, dieser Akt ist alles andere als ein normaler Akt, insofern er Rechtsfragen wieder rückverwandelt in Machtfragen.

Man macht weiter, wo die Vorgängerregierung aufgehört hat

Karkowsky: Gibt es denn überhaupt so etwas wie die moralische Pflicht eines Landes, selbst bei einem Politikwechsel nach Neuwahlen, internationale Vereinbarungen zu akzeptieren, obwohl die ja von der Vorgängerregierung ausgehandelt wurden?
Münkler: Na ja, im Prinzip ist das die Voraussetzung der Stabilität internationaler Beziehungen, dass die nachfolgende Regierung das übernimmt, was die Vorgängerregierung gemacht hat. Das kennzeichnet sozusagen die Kontinuität von Staatlichkeit jenseits des Wechsels von Regierungen. Das ist ein bisschen etwas anderes bei revolutionären Veränderungen, tiefen Brüchen, aber eigentlich wird das angenommen für die Kontinuität bei demokratischen Austauschprozessen.
Karkowsky: Überspitzt gefragt, dann wären autoritäre Staaten also per se die besseren Vertragspartner, weil ein Politikwechsel dort sehr viel unwahrscheinlicher ist als in einer Demokratie?
Münkler: Das kann man sagen, solange diese autoritären Ordnungen gewissermaßen bei einer Person bleiben, also kein Machtwechsel oder Regierungswechsel stattfindet. Wenn dort Regierungswechsel stattfinden, dann finden eigentlich tumultarische Veränderungen der Positionierung statt, und dann haben solche Machtwechsel eher revolutionsähnliche Konsequenzen.
Insofern kann man sagen, normalerweise war eigentlich die Erwartung, dass Demokratien aufgrund des nicht so sehr fraktalen Charakters eines Austauschs der Regierungen, bessere Vertragspartner sind. Das beginnt sich zurzeit zu ändern, und damit gerät natürlich auch sehr viel, was wir von Verbindungen zwischen Demokratie und Stabilität, Erwartbarkeit, Berechenbarkeit, Vertragstreue angenommen haben, unter den gegenwärtigen Bedingungen ins Rutschen. Ich meine, das ist ja nicht das einzige. Auch die britische Entscheidung zum Brexit ist in diesem Sinne ein zwar dann langwierig zu verhandelnder, aber ein Bruch von Erwartungen, die ebenfalls eigentlich auf unendlich lange Zeiten angelegt waren.

Was ist deutschen Firmen das Iran-Geschäft wert?

Karkowsky: Sehen Sie denn jetzt die Gefahr von Nachahmern, die sagen, hey, wenn die USA sich nicht mehr an ihre Pflichten gebunden fühlen, warum sollten wir es dann tun?
Münkler: Das ist im Augenblick noch nicht der Fall, sondern die anderen Mitglieder dieses Vertrags haben ja gesagt, dass sie an ihm festhalten wollen. Jetzt wird man sehen, wie sich das entwickelt. Der amerikanische Botschafter in Deutschland hat ja schon gesagt, wenn ihr dieses Abkommen weiter in dem Sinne erfüllt, dass ihr eure spezifischen deutschen oder europäischen Gegenleistungen erbringt, nämlich bei der ökonomischen Entwicklung des Irans zur Seite zu stehen, gewissermaßen als Abkauf der iranischen Fähigkeit oder iranischen Potenziale, nukleare Waffensysteme zu entwickeln, dann werden wir die betreffenden Firmen sanktionieren. So. Das ist dann schon etwas schwieriger mit der Vertragstreue, weil das so eigentlich unzulässig ist.
Das wird aber wohl der Fall sein, oder man muss es gar nicht machen. Die Firmen werden von sich aus überlegen, ob ihnen ein bisschen Irangeschäft mehr wert ist als ein hochattraktives Geschäft mit den USA. Und damit verändern sich dann die Konstellationen nicht nur weltpolitisch, sondern das wird auch dazu führen, dass man sich in Europa zunehmend durch die USA erpresst fühlt, und dieses Empfinden des Erpresstseins wird dann sicherlich auch über kurz oder lang dazu führen, dass die USA einen Weg gehen, in dem das, was vorher sozusagen ihre leichte und sanfte Führung des Westens war, sich in eine rabiate, unberechenbare verwandelt, und dann werden die Europäer zunehmend auf Distanz gehen. Das muss man sehen.
Karkowsky: Ist denn die Politik der Trump-Regierung wirklich eine ganz andere als die seiner Vorgänger? Ich frage das deswegen, weil der Unilateralismus der USA ja eine lange Tradition hat – schon George Washington hielt nichts von Allianzen mit anderen Ländern. Man hat das ja immer erklärt damit, dass die USA schon früh die Stärksten waren auf dem Schulhof und es nicht nötig hatten, mit den Schwächeren zu verhandeln.
Münkler: Ja, nicht nötig hatten sie es vor allen Dingen aufgrund ihrer geopolitisch privilegierten Situation, des Zugriffs auf zwei Meere und eigentlich in unmittelbarer geografischer Nähe kein gleichartiger großer Konkurrent. Das machte den Unterschied zu den Europäern, aber auch im Prinzip zu den Konstellationen in der euroasiatischen Landmasse von vornherein aus.
Ich würde das ein bisschen anders akzentuieren, als Sie es jetzt getan haben: Die USA haben relativ lange eine Politik des Sich-Heraushaltens aus den Händeln der Welt betrieben, wobei die Welt in der Regel von Washington in jedem Fall mit Europa gemeint war. Das haben sie in gewisser Hinsicht auch noch 1919 getan, als ihr Präsident Wilson in Paris die neue Friedensordnung mit ausgehandelt hat, aber der Kongress dem da nicht zugestimmt hat und sie sich zurückgezogen haben. Die Konsequenz daraus war dann nach 1945 der Versuch, so etwas zu stabilisieren wie ein Vertragssystem, das den Atlantik zum Zentrum hatte, den Nordatlantik und Westeuropa und Nordamerika umfasste. Und dieses System wird zurzeit eigentlich demoliert.

"Trump interpretiert sein Aufrteten gegenüber Nordkorea als großen Erfolg"

Karkowsky: Könnte es auch anders kommen, dass Trumps Hoffnungen, mit dem Iran ein härteres und damit noch besseres Abkommen auszuhandeln, doch berechtigt wäre? Was glauben Sie?
Münkler: Na ja, "Politiker lernen ja" heißt nicht, dass sie es richtiger lernen, aber sie verändern ihre Verhaltensweisen oder modifizieren sie aus den Erfahrungen, die sie zuvor gemacht haben, und Trump interpretiert sein Auftreten gegenüber Nordkorea als einen großen Erfolg, die jetzt anlaufenden Gespräche, und das hat ihn sicherlich auch noch einmal beflügelt, etwas ähnliches mit dem Iran zu machen.
Wenn ich das richtig sehe, ist Macron inzwischen doch der Auffassung, man solle versuchen, mit dem Iran ein erweitertes Abkommen zu verhandeln. Das ist sicherlich der Versuch, die USA wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen und gleichzeitig die aggressive Rolle des Iran in den Hegemonialkonflikten des Vorderen Orients mit zum Thema zu machen. Das ist ja die Pointe von Trump, beides miteinander verknüpft zu haben, nämlich die Nuklearfrage und die machtpolitische Frage. Also, im Augenblick die Konfrontation Iran–Israel muss man sehen, muss man sehen. Ich meine, wenn Trump diese Erfahrungen macht, dann ist das tatsächlich im Sinne unseres Gesprächs eine Katastrophe für Verträge, weil Verträge nur so lange gelten, wie die Machtverhältnisse die gleichen sind, die ihnen zugrundeliegen.
Karkowsky: Was sind internationale Verträge noch wert, und welche Aussicht auf Erfolg hat die Strategie von Trump im Umgang mit dem Iran? Fragen nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen an den Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Herr Münkler, besten Dank!
Münkler: Vielen Dank ebenso!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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