Herforder Kunstausstellung

"Magie und Macht" – Drohnen kennen keine Skrupel

Eine US-Drohne vom Typ MQ-1 Predator beim Landeanflug
Eine US-Drohne vom Typ MQ-1 Predator beim Landeanflug © picture alliance / dpa / Foto: Tsgt Effrain Lopez
Jochen Stöckmann · 26.02.2016
Fluggeräte sind sie beide – aber verbindet fliegende Teppiche und Drohnen noch mehr? Eine Kunstausstellung in Herford untersucht anhand mystischer und martialischer Flugobjekte die vielfältigen Beziehungen von Orient und Okzident.
Orientalisches Kulturgut liegt auf dem Museumsboden. Aber in den Übereinandergestapelten Perserteppichen klafft ein großes Loch: Farhad Moshiri hat die Silhouette eines US-Kampfjets aus den traditionellen Knüpfarbeiten herausgeschnitten. Moussa Sar versieht einen Teppich mit Propellern an allen vier Ecken, verwandelt den Kelim in eine Drohne. Ob befremdlich oder belustigend, es geht um westöstliche Begegnungen. Marta-Direktor Roland Nachtigäller:
"Viele der Märchen, die wir heute mit dem fliegenden Teppich kennen, stammen eigentlich von Orientalisten. Gleichzeitig ist das Einsatzgebiet der Drohnen zwar auf der einen Seite mit der Steuerung im Westen, aber oft im Fernen Osten dann eben als Zielgebiet. Diese Ausstellung ist durchaus auch eine sehr bewusste Auseinandersetzung mit diesem Verhältnis zwischen Orient und Okzident.

Teppichmuster oder Luftaufnahme?

Das macht Alain Josseau anschaulich mit abstrakten Mustern, die auf den ersten Blick den Ornamenten eines Teppichs gleichen. Die sich aber als Luftaufnahmen einer US-Gefechtszentrale und einer pakistanischen Taliban-Hochburg entpuppen, streifenweise ineinander montiert und übermalt. So fügt sich künstlerisch, was die Politik getrennt sehen möchte. Kurator Michael Kröger:

"Die Distanz zwischen Täter und Opfer, symbolisch wird die angenähert. Denn beide Orte sind auf einem Tableau zu sehen."
Ein Bild, eine Landkarte des mittlerweile ganz gewöhnlichen Schreckens. An dessen Beginn womöglich die Schönheit chromblitzender, aber völlig surrealer, von einem Künstler ersonnener Flugmaschinen stand.

Der ganz gewöhnliche Schrecken

Kröger: "Panamarenko, der ist ja wirklich in die Kunstgeschichte eingegangen als der große Verherrlicher der Flugphantasien des Menschen. Diese utopische Ebene aus den Siebzigerjahren kann man hier in dieser Ausstellung auch spüren."
Schließlich wird in Herford keine Technikgeschichte präsentiert. Roland Nachtigäller:
"Flugzeuge, Drohnen oder auch Bomben, die haben eine Form, die nicht einfach nur aus der Funktion heraus abgeleitet worden ist. Und dann wurden sie ja oft von Piloten oder sonstigem militärischem Personal entsprechend angemalt – bis hin zu Gesichtern."

Ein Friedensdrohne mit Clownsnase

So, wie Axel Brechensbauer seine "Peace Drone" ausstaffiert hat: als Friedensbringer mit Clownsnase und knallrotem Kussmund auf der giftgrünen Hubschrauberkanzel. Eine hübsche Idee, die aber aufgesetzt wirkt. Nicht so handfest wie die im Video dokumentierte Performance von 56 drohnenartigen Wesen, die einen weißen Raum heimsuchen. Für Kuratorin Anne Schloen ein gelungener Feldversuch.
Schloen, Kröger: "Roman Signer – genau! – mit einem Schwarm von Helikoptern, aber ganz ohne Schwarmintelligenz. – Ein sehr schönes Bild: Die sind nicht gleichgeschaltet, sondern finden doch irgendwie ihren individuellen Weg, sich in der Luft zu bewegen. Aber sind da nach einiger Zeit erschöpft und fallen dann alle zu Boden. – Das ist wirklich eine Allegorie auf den heutigen Zustand der Technik, die alles kann – und ihren Sinn darüber verloren hat."
Der Teppich dagegen hat kaum etwas an magischer Wirkung eingebüßt – und seine Reichweite enorm vergrößert, etwa in einer Arbeit von Nevin Aladag.

Kröger: "Wie der Teppich in 25 Meter Höhe in den Raum hineingeschossen wird, das ist schon eine Geste auf dem Weg in eine höhere Sphäre, eine Himmelssphäre."

Der Fakir, ein Pilot

Weniger himmelwärts als in neue Bewusstseinsregionen wird es Urs Lüthi gezogen haben, als er sich für ein Selbstporträt wie ein Fakir auf den Teppich hockte, halbnackt und mit Sturmfrisur. Ein seltsamer Heiliger, aber auf seine Art auch ein Pilot. Das war 1976 – lange vor den heutigen, den postheroischen Zeiten.
Kröger, Schloen: "Fliegerdämmerung! Mit der Drohne hat das Fliegen mit dem Piloten am Steuerknüppel ein Ende. – Ja, die Zeiten sind endgültig vorbei. Es funktioniert unabhängig vom Menschen. – Unabhängig von Gefühlen auch: Angst, Unsicherheit oder die Gefühle, die ein Mensch hat, wenn er im Flugzeug sitzt und eine Bombe abwerfen muss, etwa Skrupel."
Die Drohne dagegen sieht nur ihr Ziel – und ist in diesem blinden Automatismus nicht zu stoppen. Wie zu Zeiten des Kalten Kriegs der B-52-Bomberpilot in Stanley Kubricks Film "Dr. Strangelove". Hoffentlich kein Vorbild für Roland Nachtigäller.

Zwischen Schönheit und Schrecken

Nachtigäller: "Haben Sie jetzt gelernt, die Drohne zu lieben? – Nein, ich war immer auch fasziniert von der Drohne. Wenn man das mal ausprobiert hat mit einer Fernbedienung sie zu steuern merkt man schon, dass es viel toller und aufregender ist als ein Videospiel. Und gleichzeitig wissen wir einfach zu viel über die Einsatzmöglichkeiten und potentiellen Gefahren."
Dieses Wissen aber bleibt folgenlos, solange es nicht durch das Feeling, die Anschauung, die paradoxen Zumutungen und Irritationen der Kunst mobilisiert wird. Wie jetzt im Marta Museum, zwischen Himmel und Hölle, mit Schönheit und Schrecken.
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