Donnerstag, 28. März 2024

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Bibliotheken der Antike
Wissen in Rollen

Eine Ausstellung im Kolosseum in Rom rekonstruiert die Bibliothekskultur der Antike. Damals wurde zwischen den hohen Regalen mit Tausenden Schriftrollen lautstark über Texte und Ideen diskutiert. Für die Ausstellung wurden Schreibutensilien und Schriftrollen aus dem ganzen Land zusammengetragen.

Von Thomas Migge | 08.04.2014
    Ausschnitte aus Hollywoodfilmen, wie "Cleopatra" von 1963, zeigen Szenen, in denen antike Bibliotheken zu sehen sind: Wände mit Regalen, angefüllt mit Schriftrollen, so genannten Codices. Wie aber fanden die antiken Römer inmitten Tausender von Schriftrollen genau den Text, den sie suchten? Roberto Meneghini ist einer der für das Forum Romanum verantwortlichen staatlichen Archäologen. Er zeigt auf eine circa 50 cm hohe Figur eines alten Mannes:

    "Diese Elfenbeinskulptur zeigt Kaiser Septimius Severus, Kaiser von 193 bis 211. Diese Figur war ein Lesezeichen. Sie verwies in einer antiken Bibliothek auf jene Stelle in den Regalen, wo die Schriften des Kaisers aufbewahrt wurden, der ja auch ein bekannter Historiker war."
    Die Ausstellung im Kolosseum über die altrömischen Bibliotheken hat sich ein schwieriges Thema vorgenommen, erklärt Rosella Rea, zusammen mit Meneghini Kuratorin der Kulturschau:
    "Diese Schau war nicht leicht zu organisieren, denn antike Schriften und Bücher gibt es nicht viele. So haben wir uns darauf konzentriert, die Welt antiker Bibliotheken in Form von Baumodellen, von Installationen mit Skulpturen wiedergeben und in der Ausstellung Schreibutensilien und Texte zu zeigen. Im Zentrum der Ausstellung steht das römische Friedensforum."

    Dieses von Kaiser Vespasian errichtete Forum besaß eine bedeutende Bibliothek, die in den vergangenen Jahren wissenschaftlich erforscht wurde. Antike Bibliotheken, das lernt man in dieser didaktisch gut präsentierten Ausstellung mit knappen Texten, auch in englischer Sprache, waren keine ruhigen Orte des Schriftenstudiums: Es ging laut her, man aß und trank. Viele der antiken Bibliotheken verfügten auch über ein sogenanntes Auditorium. Hier wurden Texte heftig debattiert. Bei den Grabungsarbeiten für die neue U-Bahnlinie in Rom wurden erst kürzlich die grandiosen Reste eines solchen Auditoriums an der Piazza Venezia wieder entdeckt. Auch die Thermenanlagen verfügten über Bibliotheken und Auditorien, in denen die aktuellsten Texte vorgestellt wurden und Autoren sich dem Publikum stellten.
    Schätze aus alten Zeiten
    In Rom existierten rund 12 öffentliche Bibliotheken. Reiche Privatleute verfügten über eigene Kodexsammlungen. Berühmt waren die Bibliotheken der "impresari", der Besitzer von Sprechbühnen. Rosella Rea:

    "Das war bisher immer ein eher unterbeleuchteter Aspekt der antiken Bücherwelt. Theaterdirektoren waren häufig wohlhabende Leute. Sie ließen vor allem in Griechenland griechische Theatertexte aufkaufen und dann in Rom ins Lateinische übersetzen. Sie besaßen dann die Rechte an diesen Texten."

    In der Suburra, dem heutigen römischen Stadtteil Monti, direkt bei den Kaiserforen, arbeiteten für Verleger hunderte von Schreibern. Sie übersetzen nichtlateinische und kopierten neue Texte. Ausstellungskuratorin Rea zufolge existierte im antiken Rom ein komplexes Verlegersystem, das Buchhandlungen und Bibliotheken mit immer neuen Texten versorgte.
    Von dieser untergegangenen Welt werden, entliehen aus den Schatzkammer italienischer Museen, antike Texte, marmorne Stadtpläne mit Bibliotheksgrundrissen, Autorenbüsten, Schreibgerät, Kodexbehälter, Wandmalereien aus Bibliotheken und eben auch antike Lesezeichen ausgestellt. Viele dieser Gegenstände werden übrigens zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Das erlaubt es dem Besucher der Ausstellung im Kolosseum, wohl zum ersten Mal in so umfassender Form einen Blick in die antike Welt der Bibliotheken, der Schreiber, der Verleger und jener Orte zu werfen, wo sich Autoren mit ihren jüngsten Werken dem Publikum stellten. Einem Publikum, das macht die Ausstellung deutlich, das nicht friedlich mit einem Autor debattierte, sondern, antike Autoren berichten darüber, lautstark stritt.