Hennig Sußebach: "Deutschland ab vom Wege"

Zu Fuß durchs deutsche Hinterland

Hennig Sußebach: "Deutschland ab vom Wege. Eine Reise durch das Hinterland"
Hennig Sußebach: "Deutschland ab vom Wege. Eine Reise durch das Hinterland" © dpa / Jens Büttner / rowohlt
Von Jörg Magenau · 22.04.2017
Mehr als tausend Kilometer ist "Zeit"-Reporter Hennig Sußebach durch Deutschland gewandert, von der Ostsee bis zur Zugspitze, querfeldein, jenseits asphaltierter Straßen. "Deutschland ab vom Wege" schildert seine Reiseerlebnisse weitab der Großstädte.
Nein, er war nicht "ab vom Wege", wie der Titel verspricht, sondern "mitten drin". Nach einem fünfzigtägigen Fußmarsch quer durch Deutschland, 800 Kilometern Luftlinie beziehungsweise 1200 Kilometern im Zickzack ohne Straßenbenutzung, hat der "Zeit"-Reporter Hennig Sußebach sein Ziel erreicht: Vom Darß ging er los, am Ostseestrand entlang, und dann bald querfeldein, immer den Asphalt meidend, bis er endlich an einem nebligen Herbsttag die Zugspitze erreichte. Der Weg von Nord nach Süd führte damit zugleich von Ost nach West, immer an der Rückseite der Dörfer und an der Peripherie der Städte entlang. Nur München ließ sich nahezu asphaltfrei an der Isar durchqueren.

Raus aus der Großstadtblase

Die Wanderung unter erschwerten Bedingungen wirkt ein wenig so wie eine Besteigung des Mount Everest ohne Atemmaske oder barfuß, wenn alles andere schon da war. Und Deutschland wurde ja schon oft durchwandert: zuerst von Michael Holzach, der 1980 ganz ohne Geld aufbrach und den Bestseller "Deutschland umsonst" schrieb oder von Wolfgang Büscher, der das Land 2005 umrundete ("Deutschland, eine Reise"). Und Hape Kerkelings "ich bin dann mal weg" gehört ebenfalls in das zwischen Selbsterfahrung, körperlicher Herausforderung, Welterkundung und Religionssehnsucht changierende Genre, in dem jeder Autor vor allem erst einmal mit den schmerzenden Blasen an den Füßen und mit dem Wetter fertig werden muss.
Doch mit den Zeiten verändern sich nicht nur die Länder, sondern auch die Wandersleute. Sußebach will seine "Reise durch das Hinterland" als Statement verstanden wissen, ja, gewissermaßen als Medienkritik, geht es doch darum, einen anderen Blick auf die Welt einzunehmen als immer nur den des akademisch gebildeten Städters, der in Redaktionskonferenzen bespricht, auf welche politische Dringlichkeit jetzt wieder zu reagieren wäre.
Mit den Straßen verlässt er die Gewohnheiten und mit ihr die Nachschubwege, sind doch Tankstellen, Restaurants, Geldautomaten und alles, was man zum Leben so braucht, entlang des weitverzweigten Mobilitätsnetzes aufgebaut. In der Weglosigkeit muss er lernen, von Früchten und Beeren oder rohen Kartoffeln zu leben und an einsamen Höfen um Wasser oder einen Schlafplatz zu bitten.

Querfeldein zu neuen Einsichten

Dass sich Zeitgefühl und Raumerleben verändern, wenn man über Land geht – geschenkt. Das gehört wohl immer und bei allen Wandersleuten dazu. Der Realitätsschock, den Sußebach erleidet, als er in Mecklenburg bei einem ehemaligen LPG-Schweinebesamer einkehrt, der heute mehr als deutlich der AfD zuneigt, ist jedoch heilsam. Sußebach, der "Systemwechsel und Abstürze nur vom Computer kennt", begreift bei ihm etwas vom gärenden Ressentiment einer Landbevölkerung, die im städtischen und journalistischen Blick einfach nicht vorkommt. Doch in dieser Begegnung ist er vielleicht selbst noch zu sehr aufs Sensationelle getrimmt.
Je länger er unterwegs ist, umso stärker öffnen sich ihm die Normalität und ihre Bewohner: eine demente alte Frau in Bayern, ein rumänischer Arzt, der sich als Landarzt versucht, der Inhaber eines Schlosshotels oder der Chef vom Golfplatz. Es sind Figuren, die zu unspektakulär wären für eine "Zeit"-Reportage, doch sie sind Teil eines Landes, in dem nichts "atemraubend", "entlegen", "wild" oder "urig" ist, weil es vor allem aus sehr viel "Gegend" besteht. Als Erkenntnis ist das ein Gewinn. Für die Dramaturgie des Buches, das abenteuerlich loslegt, um sich dann aber mehr und mehr in der Weite zu verlaufen, ist es eher ein Nachteil.

Hennig Sußebach: "Deutschland ab vom Wege. Eine Reise durch das Hinterland"
184 Seiten, 19,95 Euro, Rowohlt 2017

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