Henk van Rensbergen: "No Man's Land"

Wenn nur die Tiere überleben

Henk van Rensbergen fotografiert verlassene Orte wie Szenen einer postapokalyptischen Welt, Hintergrund: Wüste Dhofar.
Henk van Rensbergen fotografiert verlassene Orte wie Szenen einer postapokalyptischen Welt, Hintergrund: Wüste Dhofar. © Cover: Knesebeck Verlag / imago / imagebroker / Egmont Strigl
Von Eva Hepper · 13.02.2018
Beunruhigend seien die Fotografien von Henk van Rensbergen, meint unsere Kritikerin. Der Fotograf zeigt in seinem Bildband "No Man´s Land" verlassene Orte wie Szenen einer postapokalyptischen Welt. Der Autor präsentiert eine Welt, in der sich die Tiere ihren Platz zurückerobert haben.
Das Foto zeigt einen ehemals prächtigen, mittlerweile aber verlassenen Ort. Von der Decke und den Wänden bröckelt der Putz. Die Vorhänge modern, die Fensterscheiben sind blind und die Polstermöbel abgewetzt und durcheinander gewürfelt. Die Szenerie würde perfekt in die heute bei Fotografen so beliebten Serien sogenannter "Lost Places" passen – wäre da nicht dieser Orang Utan, der mittig platziert auf einem Sessel hockt und direkt in die Kamera blickt!
Die merkwürdige und auch unheimliche Aufnahme stammt von Henk van Rensbergen. Der 1968 in Brüssel geborene Fotograf widmet sich seit einigen Jahren dem Aufspüren und Ablichten verlassener Orte. In vielen Büchern hat er Ruinen auf der ganzen Welt eindrücklich in Szene gesetzt: verfallende Fabriken, in Schönheit sterbende Paläste, aufgegebene Einkaufszentren, Pleite gegangene Vergnügungsparks. Für seine neue Publikation geht der Belgier nun noch einen Schritt weiter: Fast jede Fotografie des opulenten Bildbandes "No Man’s Land" zeigt nicht nur von Menschen verlassene Orte – sondern wie Tiere eben diese in Besitz nehmen.

Hühner auf Hotelfluren, Schafe in Palästen

Noch bizarrere Szenen sind kaum denkbar. Van Rensbergen zeigt Hühner, die durch Hotelflure spazieren, Leguane, die auf Eichenparkett ruhen, Schweine, Kühe, Schafe, ja sogar Giraffen, Elefanten, Löwen, Schlangen und Affen, die durch Paläste, Villen, Krankenhäuser und Industriegebäude wandern. Manche schauen Richtung Kamera, andere sind scheinbar in sich selbst versunken. Und der Betrachter fragt sich unentwegt: Was ist hier passiert?
Van Rensbergen zeichnet in seinen Bildern eine scheinbar postapokalyptische Welt - mal gespenstisch wie seine Hyänen in Hinterhöfen, mal amüsant wie seine Füchse in Lehnsesseln. So könnte es wohl auf der Erde zugehen, wenn die Menschheit zugrunde gegangen ist und Tiere und Natur erobern, was dem Homo Sapiens einst gehörte. Wie und wo die Bilder entstanden sind, verrät der Fotograf nicht. Dass es van Rensbergen allerdings nicht um dekorative Spielereien geht, bezeugen unmissverständlich die Texte des Verhaltensforschers Desmond Morris und des Romanciers Peter Verhelst, die rund um die Fotos verteilt sind.

Es ist fünf vor Zwölf

So charakterisiert der Wissenschaftler in seinem sehr lesenswerten Vorwort die Arbeit van Rensbergens als Versuch, Betrachter und Betrachterinnen aufzurütteln. Unwahrscheinlich sei der Niedergang unserer Spezies nicht – angesichts von Überbevölkerung, Umweltzerstörung, möglichen Pandemien und nuklearer Bedrohung. Peter Verhelst schließlich imaginiert in seiner eigens für diesen Band verfassten Kurzgeschichte die Not eines menschlichen Überlebenden: Im Schutzanzug mit einer zur Neige gehenden Sauerstoffflasche irrt der Protagonist durch eine Welt, zerstört von einer nicht näher benannten Katastrophe.
"Wir sollten unseren menschlichen Einfallsreichtum dafür einsetzen, dies zu verhindern", schreibt Morris in seinem Vorwort. Eindringlicher lässt sich nicht formulieren und erst recht nicht in Bildern zeigen, dass es fünf vor Zwölf ist für uns Menschen. Ein beunruhigendes, seltsames Buch.

Henk van Rensbergen (Fotografie)/ Peter Verhelst (Text): No Man’s Land. Zwischen Utopie und Wirklichkeit verlassener Orte
Mit einem Vorwort von Desmond Morris
Aus dem Englischen von Claudia Theis-Passaro
Knesebeck Verlag, München 2018
192 Seiten, 50 Euro

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