Helin Bölek

Türkische Sängerin stirbt nach Hungerstreik

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Trauernde Menschen am offenen Sarg der türkischen Sängerin Helin Bölek der Grup Yorum.
Im offenen Sarg aus dem "Widerstandhaus" getragen: Um die verstorbene Sängerin Helin Bölek wird in Istanbul getrauert. © dpa-Bildfunk / DHA / Ibrahim Mase
Von Susanne Güsten · 03.04.2020
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Um gegen das Auftrittsverbot ihrer Folk-Band Grup Yorum zu protestieren, trat die türkische Sängerin Helin Bölek in den Hungerstreik - nach 288 Tagen ohne Nahrung ist sie gestorben. Ein Bandkollege hungert weiterhin, damit die Repressionen aufhören.
Helin Bölek hat zu Lebzeiten mit Grup Yorum vor tausenden jubelnden Zuschauern gespielt. Sogar die Sonne sei verboten, klagt sie in einem Lied – ein recht typischer Text für die Gruppe, die seit Jahrzehnten für ihre sozialkritischen Lieder bekannt und beliebt ist. Grup Yorum ist eine Institution in der Türkei.
Als die Gruppe vor zehn Jahren ihr 25-jähriges Bestehen feierte, quetschten sich mehr als 50.000 Fans in ein Istanbuler Fußballstadion, um dabei zu sein. Im Laufe der Jahrzehnte haben die Musiker von Grup Yorum stets gewechselt, aber die Linie blieb: sehr links und sehr kritisch. So links, dass sie von den Behörden verdächtigt wird, die linksextreme DHKP-C zu unterstützen – eine in der Türkei wie auch in Europa verbotene Terrorgruppe. Helin Bölek war noch nicht geboren, als Grup Yorum gegründet wurde, aber in den letzten Jahren gehörte sie zu ihren sichtbarsten Mitgliedern.

Hungern gegen die staatliche Übermacht

Und das war Helin Bölek noch vor ein paar Wochen – deutlich abgemagert schon, aber noch bei Kräften. Im sogenannten "Widerstandshaus" der Gruppe sang sie das Klagelied, im militanten Istanbuler Stadtteil Kücükarmutlu, in dem sich schon vor 20 Jahren einmal Dutzende linksradikale Aktivisten zu Tode hungerten. Hungerstreiks haben eine lange Tradition in der türkischen und kurdischen Linken – ein Ausdruck ihrer hilflosen Schwäche angesichts staatlicher und wirtschaftlicher Übermacht.
Vor zwei Monaten war Helin Bölek noch stark genug, sich zu erklären: "Wir Mitglieder der Grup Yorum sind seit 226 Tagen im Hungerstreik. In den letzten zwei Jahren sind fast alle Mitglieder der Gruppe ohne Beweise und aufgrund anonymer Denunziationen verhaftet und mit Strafandrohungen von bis zu zehn Jahren vor Gericht gestellt worden. Als Beweis wird außer anonymen Aussagen nur ein Album von uns angeführt – ein Album, das ganz legal und unter Aufsicht des Kulturministeriums erschienen ist und in allen Musikläden verkauft wurde, das keinen Straftatbestand erfüllt."

Regierung weist Forderungen zurück

Helin Bölek zählte die Forderungen auf, die sie mit ihrem Hungerstreik durchsetzen wollte: "Erstens, die Aufhebung des seit vier Jahren gegen uns verhängten Auftrittsverbots. Zweitens, ein Ende der Polizeirazzien gegen unser Kulturzentrum. Drittens, Freilassung aller eingesperrten Mitglieder von Grup Yorum. Viertens, Einstellung der Gerichtsverfahren gegen uns und Aufhebung der Haftbefehle."
Ankara wies die Forderungen zurück. Erst müsse der Hungerstreik beendet werden, dann könne man reden, erklärte die Regierung. Die Behörden ließen Helin Bölek und ihren Mitstreiter Ibrahim Gökcek im vergangenen Monat zwangsweise in ein Krankenhaus einweisen. Beide wurden jedoch nach einer Woche wieder entlassen, weil sie die Behandlung verweigerten.

Helin Bölek wurde nur 28 Jahre alt

Im Sarg wurde Helin Bölek am Freitag unter den Klagerufen ihrer Anhänger aus dem Widerstandhaus getragen. Sie starb am 288. Tag ihres Hungerstreiks mit 28 Jahren. Die Unterstützer trugen den Sarg hoch über der dichtgedrängten Menschenmenge durch Kücükarmutlu und feierten sie als Heldin.
"Hoch lebe der Hungerstreik, hoch lebe unser Widerstand", skandierten die Unterstützer. In einem Rollstuhl sitzend und in Decken gehüllt wurde auch Ibrahim Gökcek herausgebracht, der wie zuletzt Helin Bölek auch schon zum Skelett abgemagert ist.
Eine Künstlerin sei heute gestorben, weil sie ihre Kunst ausüben wollte, sagte Gökcek am Freitag. Bald werde auch er sterben. Aber gewonnen habe nicht der Staat – gewinnen werde das Volk.
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