Helgoland

Kurze Wege zu den Windparks

Die Installationshubinsel "Thor" steht am 21.05.2014 bei Montagearbeiten an der Konverterplattform "Meerwind Süd/Ost" im Offshore Windpark von WindMW in der Nordsee rund 16 Seemeilen vor Helgoland, Schleswig-Holstein.
Die Installationshubinsel "Thor" steht bei Montagearbeiten im Offshore Windpark von WindMW in der Nordsee rund 16 Seemeilen vor Helgoland. © picture-alliance / dpa / Christian Charisius
Von Alexander Budde · 06.10.2014
Windparks brauchen Wartung. Und weil Helgoland viel näher liegt als das Festland, siedeln die Betreiber der Offshore-Kraftwerke dort Servicestationen an. Nicht alle Insulaner sind von den Segnungen der Erneuerbaren überzeugt.
An diesem Morgen auf Helgoland sind gleich drei Herren in Sektlaune:
"Im Moment, glaube ich, gibt es wieder einen Push für den Standort Nordsee! Durch die Entscheidungen des EEGs, die ja gerade für Offshore sehr vorteilhaft waren, werden wir in den nächsten Monaten noch einige positive Entscheidungen sehen."
Frohlockt Hans Bünting, Chef der RWE Innogy, bei der feierlichen Eröffnung der neuen Servicestation.
"Ich bin nach Helgoland gekommen, um gemeinsam mit Ihnen Good News zu produzieren. Wir haben geliefert, in der Form, dass wir Verlässlichkeit aus dem politischen Raum heraus für die Rahmenbedingungen geschaffen haben. Und jetzt kommen die Investoren."
Bemerkt Uwe Beckmeyer, ein Sozialdemokrat mit Ursprung in Bremerhaven. Beckmeyer, nunmehr Staatssekretär beim Bundeswirtschaftsminister, zugleich Koordinator der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft, ist eigens aus Berlin auf die Insel geeilt.
"Man muss mutig sein - und gucken, wo die Chancen liegen! Das erleben wir gerade in der Offshore-Entwicklung, gerade in der Hafen-Diskussion an den Küsten: Wer früh entschieden hat, der führt auch in diesem Markt."
Lobt sich Jörg Singer als sturmfester Stratege mit Fernblick. In der Tat durfte der parteilose Bürgermeister von Helgoland mit der RWE-Tochter bereits das dritte Unternehmen begrüßen, das im Südhafen der Insel einen Stützpunkt unterhält. Auch die Windpark-Betreiber E.ON und Wind MW haben hier Pachtverträge über 25 Jahre abgeschlossen.
Die Laptops summen im Kontrollraum
Die neue Servicestation ist ein schmuckloser Flachbau. In den haushohen Regalen der Lagerhalle stapeln sich Kisten, randvoll mit Ersatzteilen. Im Obergeschoss: Büros hinter Glastüren. Schreibtische, auf denen Laptops summen. An den Wänden ringsum: Tabellen mit Messwerten, technische Zeichnungen.
Im Kontrollraum sitzen Christoph Wolff und ein Kollege vor einer Galerie von Bildschirmen. Von hier aus werden die Windturbinen überwacht. Konzentriert blickt Wolff auf die eingespielten Videobilder:
"Hier auf der rechten Seite sehen wir das komplette Baufeld - auch mit den Schiffen, die dort unterwegs sind. Auf der rechten Seite überwachen wir später den Zustand jeder Windkraftanlage. Wellengang ist für den Betrieb ein ganz wichtiges Thema, weil ab einer gewissen Höhe werden die Überstiege auf die Strukturen gefährlich - und können dann auch nicht mehr durchgeführt werden."
An den Windrädern nagen Salz und Wellen. Seevögel nisten auf Fundamenten und Leitern. Elektrische Fehler, defekte Lager, mechanischer Verschleiß: Vier bis fünf Wartungstage pro Anlage sind einkalkuliert. Wann immer es das Wetter zulässt, werden die Schiffe mit den Technikern herausfahren. Anderthalb Stunden Anreise zum Einsatzort, statt der vier Stunden Fahrtzeit, die es von der Küste aus wären.
Der große Vorteil von Helgoland ist die exponierte Lage der Insel in der Deutschen Bucht, sagt Chef-Techniker Florian Wirtz. Denn Stillstand kostet Geld - und ist ein wichtiger Faktor im Kalkül:
"Wir haben mit Helgoland eigentlich den Kompromiss gefunden, aus der Nähe zum Windpark und kurzen Wegen - und damit der besseren Nutzbarkeit von relativ kleinen Wetter-Fenstern. Und einer komfortablen Unterbringung der Mitarbeiter. Wir versuchen eben auch, ein attraktives Umfeld zu bieten. Inklusive Unterkünften, die hier auf Helgoland in der Qualität bislang schwer zu finden waren."
Der Wohnraum ist knapp bemessen auf Helgoland. Für die Offshore-Teams werden Apartment-Häuser rund um den Leuchtturm errichtet.
Exponierte Lage als Standortvorteil
Tobias Matzke führt die Besucher herum. Sein spartanisches Zimmer ist ein willkommener Rückzugsort. 14 Tage am Stück wohnen Ingenieure wie Matzke auf der Insel: aufstehen um halb sechs am Morgen, dann mit dem Schiff in den Windpark. Immerhin hat er am Ende seiner 12-Stunden-Schicht wieder festen Boden unter den Füßen:
"Es ist Mal was Anderes. Wenn man abends noch eine Runde dreht, nach der Arbeit oben auf der Insel laufen geht oder einen Spaziergang macht, dass man einmal rundum gucken kann aufs Wasser. Das hat schon was zum Abschalten abends."
Allein in den Ausbau des Hafens investiert Helgoland – mit Beteiligung von Bund und Land - rund 20 Millionen Euro. Aus der einstigen Brache ragen Erdhaufen. Mit großem Aufwand wurde hier nach explosiven Altlasten aus den Weltkriegen gesucht. Da verwundert es kaum, dass der Offshore-Ausbau auf Helgoland schwer umstritten ist:
"Ja, weil das natürlich auch Insel-Verschandelung ist! Wenn man mal da nach links guckt: Was da alles als Naturschutz mal war und jetzt alles verbaut wird. Irgendwann sind sie fertig hier - und dann hauen sie wieder ab. Die Insulaner haben nicht unbedingt was davon, finanziell, sage ich mal. Es ist jetzt ein Aufbäumen - aber in 10 Jahren ist der Boom wieder vorbei.
"Ich hoffe, das entwickelt sich zum Guten - und das es eigentlich so bleibt, wie es ist jetzt. Weil, die bauen ja jetzt alles zu!"
Tourismus und Technik kombinieren
"Die Diskussion hatten wir natürlich. Auch, weil man ja gar nicht wusste, wie sich das entwickelt. Und das Ganze war natürlich ein Experiment. Uns hat ja auch riesig viel Geld gefehlt."
Sagt Jörg Singer, der Bürgermeister. Im Binnenhafen schiebt sich die Fähre an die Kaimauer. Ein Trupp Touristen geht an Land, strebt dem Unterland mit seinen Kramläden und Hummerbuden zu.
Jörg Singer: "Ein Tag mal die Insel erleben, um die 'Lange Anna' dann zollfrei einkaufen: Natürlich, im globalen Wettbewerb, im Tourismus, wissen wir seit den 80er-Jahren, dass das nicht mehr so funktioniert. Und die Insel hat ein wenig gebraucht. Ich habe mir auch Sorgen gemacht, weil ich diese seit meinen Kindertagen kenne."
Tourismus und Technik seien keine Gegensätze, versichert Singer. Und der Bürgermeister darf sich auf steigende Besucherzahlen berufen. Reiseveranstalter bieten Rundflüge über den Windturbinen an. Auch Bootstouren werden gebucht.
Jörg Singer: "Wir wissen, dass 20 Prozent neue Arbeitsplätze auf der Insel entstehen werden. Nächstes Jahr bekommen wir ein neues Schiff. Wir haben eine hervorragende Kita! Und wir freuen uns einfach über mehr Menschen, die hier arbeiten - und dann später irgendwann mal vielleicht auch hier leben. Die Hoffnungen sind riesig, die wir haben!"
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