Helge Schneider: "Die Reaktion – The Last Jazz Vol. II"

Verstimmtes Klavier mit rumpelndem Schlagzeug

05:46 Minuten
Helge Schneider singt in ein Schwanenhalsmikrofon und spielt auf einer Akustikgitarre.
"Ich bin immer Außenseiter geblieben und das finde ich auch gut so", sagt Helge Schneider. © imago / Dennis Duddek
Von Ulrich Habersetzer · 16.07.2021
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"Die Reaktion – The Last Jazz Vol. II" heißt das neue Album von Helge Schneider. Fast jedes Stück darauf ist ad hoc entstanden, ohne Planung, ohne festes Arrangement. Es geht - wie immer - um Alltags-Absurditäten. Und auch um Jazz-Geschichte.
Unverkennbar: Helge Schneider. Jazzer, Komiker, am besten wohl: Musikclown. Er hat reagiert. "Ja, das Leben ist 'ne Reaktion", sagt Schneider. Und so heißt auch sein neues Album: "Die Reaktion", Untertitel "The Last Jazz Vol. II".
1987 gab es schon mal eine Schneider-Scheibe mit dem Titel "The Last Jazz". Den letzten Jazz hat Helge also wohl noch nicht gespielt, und Improvisation und Reaktion, das passt gut zusammen.

Komponieren im Kopf

"Jazz ist eine Musik, mit der man relativ schnell reagieren kann, auch während des Spiels. Ja, man komponiert im Kopf und spielt gleichzeitig. Also, das ist eigentlich die schnellste Reaktion, kann man sagen", so Schneider.
Ein Schneider-typisches Album ist "Die Reaktion" geworden, allerdings mit hohem Instrumentalanteil: herrliche Improvisationen an verstimmten Klavieren, mit rumpelndem Schlagzeug, wild-gezupftem Kontrabass und erstaunlich virtuosen Trompeten- und Saxofoneinlagen.

Ein tiefer Griff in die Jazzgeschichte

Fast jedes Stück ist komplett ad hoc entstanden, ohne Planung, ohne festes Arrangement: das Titelstück "Die Reaktion" etwa:
"Ich habe einfach drauflos gesungen, und den Text mir während des Singens einfallen lassen. Bevor ich ans Mikrofon getreten bin, bevor ich auf Aufnahme gestellt habe - mein dickes Tonbandgerät - wusste ich überhaupt nicht, was ich da singe. Dann fiel mir ein, Mensch, das passt aber gut: Dies ist meine Reaktion. Und dann habe ich gedacht, ja, worauf denn? Ja, auf das Geschehen!"
Aktuelles und Alltags-Absurditäten, darum geht's. Andere Stücke auf "Die Reaktion" gehen richtig tief rein in die Jazzgeschichte: Da nimmt sich Helge Schneider auch mal Saxofonlegende John Coltrane und dessen Drummer Elvin Jones zum Vorbild:
"Ich hatte mir Elvin Jones angeguckt mit Coltrane am Sopransaxofon, ich fand eben die Art klasse, wie die manchmal diese langsamen, leicht schwingenden Sounds gemacht haben, mit wenigen Tönen. Da bin ich ein Freund von, weil ich mich selber auch mehr als Dichter sehe denn als Schriftsteller zum Beispiel – in der Musik", beschreibt Schneider seine Herangehensweise.

Sein Sohn, 11, ist auch dabei

Fast alle Instrumente hat er nacheinander alleine eingespielt, bei einem Stück ist aber sein Sohn Charlie mit dabei, am Schlagzeug. "Der ist erst elf", stellt Schneider klar. Und sorgt trotzdem schon für ordentlich Swing.
Helge Schneider zeigt auf "Die Reaktion" seine Jazz-Liebe, aber auch seinen Sinn fürs Schräge, beides gehört ja auch irgendwie zusammen, und zum Leben. "Man muss auch mal einen Dexter Gordon gesehen haben, der besoffen war und gar nicht mehr spielen konnte. Das muss man auch mal erlebt haben, weil: Das ist das Leben", sagt Schneider. Und wieder ist es der Clown, der vielleicht die bedeutungsvollsten Worte findet:
"Ich bin auch immer Außenseiter geblieben, und das finde ich auch gut so, denn unsere Gesellschaft braucht Außenseiter ganz stark, gerade jetzt in dieser Situation. Man muss einfach bekennen, als nicht-relevanter Künstler und als Außenseiter wahnsinnig wichtig zu sein. Aber diese Nicht-Relevanz beizubehalten, ist auch ganz wichtig. Das man nicht wichtig ist. Verstehste?"
Wichtig, relevant, nicht-relevant, wer blickt da noch durch? Helge Schneider spielt, spricht, singt - und das ist gut so.
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