Heldinnen mit Opernfimmel

05.03.2010
Es gibt sie immer noch: bislang unbekannte Geschichten von waghalsigen Rettungsaktionen aus Hitler-Deutschland. So auch die der englischen Schwestern Ida und Louise Cook, die, als unauffällige Reisende getarnt, zwischen 1937 und 1939 zahlreichen Juden die Flucht aus Deutschland nach England ermöglichten. Dabei war die Heldinnenrolle den beiden Cooks nicht in die Wiege gelegt.
Aus einfachsten Verhältnissen stammend und nicht gerade mit Schönheit gesegnet, schien für sie nichts als die Laufbahn der Stenotypistin vorgesehen. Bis eine Arie aus Puccinis "Madame Butterfly" ihr Leben schlagartig verändert. Die beiden werden zu Opernfans, sie sparen eisern, reisen in schwärmerischer Verehrung den Primadonnen bis an die New Yorker Met nach und schaffen es sogar, dank liebenswürdiger Hartleibigkeit, Freundschaften mit den singenden Berühmtheiten wie der Anna Netrebko der 1920er-Jahre, Amelita Galli-Curci, zu schließen.

Während Louise sich bis zu ihrer Rente als Sekretärin in der Zollbehörde verdingt, sattelt Ida zwischenzeitlich um: Sie verdient mit dem Schreiben von schwülstigen Liebesromanen ein kleines Vermögen, was die vielen Reisen zu wichtigen Opernpremieren finanziert, nach Salzburg, Wien und Berlin.

Nicht nur das: angestiftet durch den von ihnen verehrten Dirigenten Clemens Krauss und dessen Frau, der Sopranistin Vioricia Ursuleac, setzen Ida und Louise ihre einzigartige Hilfsaktion in Gang. Zunächst übernehmen sie finanzielle Bürgschaften für jüdische Freunde des Musikerpaares, die in England Zuflucht suchen. Später – das ist ihr eigentlicher Coup – schmuggeln sie reihenweise mit strengstem Exportverbot belegte Kostbarkeiten aus Deutschland heraus. Auf ihren Kaufhauspullovern, die alles wie billigsten Strass aussehen lassen, tragen sie offen Brillanten, Perlen, Schweizer Armbanduhren über die Grenze, umhüllt durch teuerste, von ihnen mit englischen Etiketten versehene Pelze, die deren jüdische Besitzer in England dann in Geld umwandeln konnten.

Mit leichter Hand, im Stil einer Reportage zeichnet die Journalistin Louise Carpenter den ungewöhnlichen Lebensweg der beiden furchtlosen Schwestern nach. Sie vergewissert sich bei einigen wenigen Zeitgenossen der Ereignisse, aber auch in der 1950 erschienenen (vergriffenen) Autobiografie Ida Cooks "We followed Our Stars".

Carpenter zitiert auch immer wieder aus deren sentimentalen Liebesromanen, die einen hinreißenden Kontrast bilden zu dem so biederen Leben der beiden. Denn "statt einen unsympathischen Mann zu heiraten", wie Ida Cook das nannte, suchten sie das Abenteuer auf der Bühne – und im Leben. Denn, so spekuliert die Autorin mit psychologischem Spürsinn überzeugend: Indem sie hin und her reisten, die Gestapo an der Nase herumführten, Juwelen versteckten, war es, als würden sie ihre eigene, nur für sie geschriebene Oper erleben. Mehr noch: Sie schrieben sie selbst.

Das schmälert ihr Verdienst keineswegs. Im Gegenteil. Selten genug erlebt man, dass Kunst und Leben so ungeniert in eins fallen wie in diesem schönen Nachruf auf zwei couragierte Damen.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Louise Carpenter: Ida & Louise. Wie zwei Schwestern die Gestapo überlisteten
Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow.
Dörlemann Verlag, Zürich 2010
126 Seiten, 16,90 EUR