Heißzeit trotz Eiszeit

Mojib Latif im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 29.01.2010
Wer angesichts der Minusgrade die Erderwärmung bestreite, zeige nur, dass er nichts von der Dynamik des Klimas verstehe, so der Meteorologe Mojib Latif. Um den Einfluss des Menschen auf das Wetter festzustellen, müssten sehr lange Zeiträume beobachtet werden.
Jörg Degenhardt: Wir stöhnen schon mal gelegentlich über die Kälte und den Schnee und sagen, jetzt reicht’s. In der Stadt der Olympischen Winterspiele stöhnen sie auch, weil ihnen Schnee und Kälte fehlen. Verkehrte Welt! In gut zwei Wochen soll es losgehen, aber die Temperaturen in Vancouver liegen bei 14 Grad – plus wohlgemerkt. Die Veranstalter wollen jetzt Kunstschnee auf Vorrat produzieren, um ganz sicher zu gehen. Sie könnten auch welchen von uns haben, wenn das ginge. Sind das schlichte Wetterkapriolen, wie sie nun mal vorkommen, oder lässt sich das wirklich alles unter dem Stichwort Klimawandel zusammenfassen? – Am Telefon ist der Meteorologe und Klimaforscher Professor Dr. Mojib Latif von der Uni Kiel. Guten Morgen, Herr Latif.

Mojib Latif: Guten Morgen.

Degenhardt: Zunächst: was unterscheidet das Wetter vom Klima? Ich meine, ich könnte das jetzt auch erklären, aber Sie machen das mit Sicherheit besser.

Latif: Ja. Das Wetter, das sind die kurzfristigen Schwankungen, und beim Klima geht es eben um längerfristige Veränderungen, also über eine Jahreszeit, oder ein Jahr, oder Jahrzehnte und so weiter.

Degenhardt: Angesichts der frostigen Temperaturen können jetzt die frohlocken, die die Erderwärmung, also die den Klimawandel für ein Märchen halten?

Latif: Nein, natürlich nicht. Alle die das behaupten, zeigen einfach, dass sie gar nichts von der Dynamik des Wetters oder des Klimas verstehen, denn wir müssen einfach sehr lange Zeiträume betrachten, um den menschlichen Einfluss auf das Klima wirklich feststellen zu können. Das heißt, es reicht nicht, ein paar Tage, ein paar Monate, ein paar Jahre zu sehen, sondern wir müssen viele Jahrzehnte betrachten. Wenn man das tut, wenn man sich die Kurven anguckt, dann kann man diesen Erwärmungstrend global, aber auch regional bei uns messen.

Degenhardt: Nun gibt es ja auch Forscher, die behaupten wiederum, die Erderwärmung mache den Winter sogar kälter.

Latif: Das Szenarium, das dahinter steckt, ist die Abschwächung des Golfstroms, möglicherweise ein kompletter Kollaps des Golfstroms. Das ist aber zum einen sehr unwahrscheinlich. Die Modelle zeigen, dass bis zum Ende des Jahrhunderts wir mit einer Abschwächung von im Mittel vielleicht 25 Prozent zu rechnen haben. Andererseits darf man ja die globale Erwärmung, die das ganze verursacht, auch nicht unterschlagen und insofern reden wir immer von Heißzeit, aber nicht von Eiszeit und deswegen werden unsere Winter langfristig immer milder werden.

Degenhardt: Und dieser Winter, um den es jetzt geht, ist dieser Winter zu kalt?

Latif: Nein. Wir müssen erst mal abwarten, bis der Winter zu Ende ist. Wir sind ja jetzt mitten im Winter. Wir dürfen auch nicht vergessen: Im November haben alle Medien letzten Endes darüber berichtet, dass es außergewöhnlich warm gewesen ist, in vielen Regionen Rekordwärme, und insofern macht es wirklich überhaupt keinen Sinn, jetzt kurze Zeiträume zu betrachten, schon gar nicht einen Monat, denn das kann einen ganz schnell in die Irre führen.

Degenhardt: Könnte es sein, dass uns dieser Winter vielleicht doch noch länger beschäftigt, als wir uns das jetzt vorstellen können? Was sagt der Meteorologe?

Latif: Es sieht im Moment noch so aus, dass es in der Tat so bleibt, zumindest im Osten Deutschlands. Wir dürfen ja auch hier nicht vergessen: Deutschland ist ja zweigeteilt. Im Westen sind ja schon relativ lange Plusgrade zu beobachten, während der Osten immer noch unter Frost leidet. Deswegen kann das durchaus sein, dass es im Osten weiterhin so kalt bleiben wird, aber das ist eigentlich auch normal, dass es relativ lange Phasen beim Wetter gibt. Wir sprechen von Großwetterlagen oder Wetterregimen und deswegen wäre es auch keine Überraschung, wenn es noch zwei, drei Wochen länger andauert.

Degenhardt: Herr Professor Latif, ich habe gelesen, im 16. Jahrhundert ist es während eines Menschenlebens um zwei Grad kälter geworden. Also Klimawandel hat es immer schon gegeben. Überschätzen wir nicht unseren Einfluss, den Einfluss des Menschen auf das Klima?

Latif: Wir müssen zwei Dinge hier auseinanderhalten. Niemand behauptet, dass wir heute schon an jedem Ort der Erde Rekordtemperaturen haben. Darum geht es auch gar nicht. Natürlich war es beispielsweise in der mittelalterlichen Warmzeit auf der Nordhalbkugel deutlich wärmer, als es jetzt gewesen ist – zumindest in Grönland. Das wissen wir. Die Wikinger sind ja damals in Grönland gewesen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass wir gerne möchten, dass unser Klima einigermaßen im Bereich des heutigen Klimas bleibt und wir nicht in Bereiche kommen, die wirklich einmalig für die Menschheit wären, und das wären Bereiche, wo die Temperaturen noch mal im Jahresmittel um etwa vier Grad zunehmen würden.

Degenhardt: Die aktuelle Klimapolitik verfolgt ja das Ziel, die Erderwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts auf maximal zwei Grad zu beschränken. Gehören Sie zu dem Lager derjenigen, die sagen, das ist in Ordnung, oder zu dem Lager derjenigen, die sagen, es muss dringend mehr passieren, die Lage ist tatsächlich ernst?

Latif: Ich bin Pragmatiker. Mehr liegt eigentlich nicht mehr drin, weil das Klima träge ist. Insofern ist es sozusagen die beste aller Welten, dieses Zwei-Grad-Ziel, wenn wir wirklich alles Menschenmögliche tun, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Kopenhagen ist ja auch gescheitert. Das heißt, wir sehen im Moment gar nicht, dass wirklich das passiert, was wir fordern. Also ich denke, unter zwei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts wird es nicht mehr abgehen, und dann hoffen wir zumindest – wir wissen es aber nicht genau -, dass wir dann das, was wir gefährlichen Klimawandel nennen, vermeiden können.

Degenhardt: Und es könnte auch in Zukunft trotz Klimawandel noch richtige Winter geben wie diesen?

Latif: Selbstverständlich. Denken Sie an den gezinkten Würfel. Auch wenn der stark auf die sechs gezinkt ist, kommt nicht jedes Mal die sechs, sondern hin und wieder kann auch die eins kommen.

Degenhardt: Vielen Dank! – Am Telefon war der Meteorologe und Klimaforscher Professor Dr. Mojib Latif von der Universität Kiel. Ihnen noch einen guten Tag.

Latif: Danke, gleichfalls.