Heiße Sache

Klimabaustelle Deutschland

Hitzewelle: Ein Thermometer am Hamburger Rathaus zeigt 36 Grad Celsius an.
Hitzewelle: Am 3.7.15 zeigte das Thermometer am Hamburger Rathaus 36 Grad Celsius an. © picture alliance / dpa / Bodo Marks
Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster · 29.03.2016
Cabernet Sauvignon kommt künftig aus pfälzischen Weinanbaugebieten, der Riesling entsteht bald im Westharz. Auf Feldern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein könnten neben traditionellem Getreide dann Sojabohnen und Sorghum-Hirse wachsen. Die Erderwärmung macht es möglich.
Bremen, Münchener Straße. Eine Rentnerin radelt die neue Fahrradspur entlang. Vorbei an der Kneipe "Onkel Heinz". Davor hängt schlapp die Werder-Bremen Fahne vom Mast. Die 70-Jährige stoppt vor einem Café, schließt ihr Fahrrad an einem glänzenden Metallbügel an. Alles neu gemacht auf der Münchener-Straße.
"Die ist ja umweltfreundlich saniert worden, mit vielen Pflanzkübeln, mit einem besonderen Wasserabfluss bei Hochwasser und mit Freundlichkeit für Radfahrer und Fußgänger."
Die erste klimaangepasste Straße der Hansestadt. Eine Fahrbahn mit Schutzfunktion. Gegen sintflutartige Regenfälle, die in Bremen immer öfter Straßen in Wasserwege verwandeln. Und die Keller der Anwohner fluten.
"Ob das nun wirklich besser wird, seitdem war kein Hochwasser oder Starkregen oder sonst was. Keine Ahnung. Aber es soll ja, hoffen wir mal, vertrauen wir den Politikern, denke ich."

Eine Fahrbahn die zu beiden Seiten abfällt

50 Meter weiter kommt Katrin Behnken über den Zebrastreifen. Bleibt kurz in der Mitte der zweispurigen Straße stehen.
"In der Mitte ist eben der höchste Punkt der Fahrbahn und zu beiden Seiten fällt es ab."
Ein geplantes Gefälle. Als Teil der Klimaanpassung. Katrin Behnken hat den Straßenumbau koordiniert. Sie kümmert sich beim Bremer Umweltsenat um Klimaanpassung und Starkregen-Vorsorge.
"Zu den Rändern geht es ein klein bisschen runter. Und man sieht das auch an den Baumscheiben, also Baumscheiben sind die Beete wo die Bäume draufstehen, die werden normalerweise auf dem Niveau der Gehwege angelegt. Aber hier in der Münchener Straße haben wir sie einfach mal tiefer gelegt. Und zwar auf das Niveau der Fahrbahn."
Straßenmitte hoch, Beete runter – so soll das Wasser besser abfließen und versickern. Klima-Anpassungen, die auf den ersten Blick kaum auffallen.
"Die Parkflächen, die man im Seitenraum angelegt hat, sind mit einer Drainagefuge versehen, das heißt die Fugen zwischen den einzelnen Pflastersteinen sind nicht vergossen worden, sondern können Niederschlagswasser versickern."
Auch die Parkfläche fällt leicht ab, hin zum Baumbeet. Dort wächst, frisch gepflanzt,
ein neuer, klimaverträglicherer Straßenbaum
"Das ist auch ein Feldahorn, der hier gepflanzt wurde, das soll ein Baum sein, der mit den zukünftigen klimatischen Bedingungen gut zurecht kommen soll, also eher trockene und warme Sommer und eher feuchtere Winter gut abkönnen kann. Wenn ich mir das für die Zukunft vorstelle, die Bäume sind alle frisch angepflanzt, die werden relativ groß und kriegen einen mittelgroßen Kronenbereich, und dann stelle ich mir das ganz schön vor, was im Sommer dann eben auch zu Beschattungen führen soll. Und dadurch auch zu einer gesamten Abkühlung des Straßenraums, hier."
Neue Pflanzen, neues Pflaster, keine Fugen-Füllung, leichte Schrägen, Absenkung der Baumbeete – die Planung der klimaangepassten Straße war ein Experiment.

Die Planung war umfangreich. Nun kommt der Praxistest

Denn sie verlief quer zu den Verwaltungsstrukturen. Grünflächenamt, Straßenbauer, Stadtplaner, Kanalbetreiber - alle machten mit. Ein Zukunftsmodell. In Zeiten des Klimawandels. Nun fehlt noch der Praxistest.
"Wir hatten leider noch keinen Praxistest, man wünscht sich jetzt auch nicht unbedingt ein nächstes Starkregen-Ereignis. Aber ich finde es ganz spannend mal zu sehen, wie die Straße und der Straßenraum reagieren."
Peter Hoffmann klickt durch die Wetter-Simulation vor sich am Laptop. Die Tabellen zeigen den Niederschlag für die Hansestadt Bremen im Jahr 2030.
"Das ist auch eine Entwicklung, die sich abzeichnet, dass sich die Verteilung der Niederschläge übers Jahr ändert. Das heißt weniger Niederschläge im Frühjahr, dafür mehr Einzelereignisse im Sommer, die dann wenn es regnet, dann intensiver ausfallen."
Starkregen wird künftig zunehmen, besonders im Sommer. Während das Frühjahr immer trockener wird. Peter Hoffmann ist Meteorologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ermittelt, wie sich das Wetter infolge des Klimawandels verändern wird.
"Extreme Jahre, wie wir sie jetzt kennen, werden in der Zukunft, d.h. in der Mitte des Jahrhunderts etwa, können durchaus zur Normalität gehören. D.h. jetzt extreme Jahre können zukünftig etwa dem normalen Jahresverlauf entsprechen."
In den 1960er Jahren lag die Durchschnittstemperatur für ganz Deutschland bei 7,7 Grad. Zwischen 2000 und 2010 betrug der Wert bereits 9 Grad und bis 2030 prognostiziert Hoffmann einen Anstieg auf 9,8 Grad. Das klingt erst einmal nicht so dramatisch. Doch damit ändern sich die Großwetterlagen:
"Der letzte Sommer war genauso ein Beispiel, die ersten beiden Monate, Juni, Juli waren eher so dieser Wechsel zwischen den Drucklagen und diesen Südwestlagen, verbunden mit lokalen Hitzeextremen, vor allen in Süddeutschland mit über 40 Grad lokal. Und dann der Rekord-August mit den höchsten gemessenen Temperaturen bislang und natürlich in der Summe mit über 12 heißen Tagen innerhalb eines Monats. Und das war schon bisher recht außergewöhnlich."

Vielen Regionen in Deutschland droht Dauerhitze

Auf Dauerhitze im Sommer müssen sich in Zukunft viele Regionen Deutschlands einstellen. In einigen Gegenden könnte es Ende des Jahrhunderts unerträglich heiß werden. Hoffmann ruft das sogenannte "Hochemissions-Szenario" auf, es rechnet mit einer globalen Erwärmung von 4,8 Grad am Ende des Jahrhunderts. Für den Oberen Rheingraben ergeben sich daraus bis zu 45 oder gar 50 "heiße Tage" pro Jahr, an denen die Temperatur auf über 30 Grad klettert.
"Das würde bedeuten, dass fast die Hälfte der Sommertage durchaus heiße Tage sein können."
Hoffmann klickt Freiburg an. Und den Sektor "Landwirtschaft" – dann den Unterpunkt Weinaustrieb. Wein wächst in gemäßigten Breitengraden. Auf der Nordhalbkugel ist das zwischen Mainz und dem Maghreb-Gebirge. Heizt sich das Klima auf, ändern sich die Wachstumsbedingungen
"Der Weinaustrieb, der Tag des Jahres, d.h. also Tag 123 in der Gegenwart (klickt) und jetzt beginnt er früher (klickt) also Tag 105."

Trinken wir bald Riesling aus dem Westharz?

Der Austrieb kommt nach und nach früher. Damit aber steigt das Risiko, dass Spätfröste die Triebe ruinieren. Der Klimawandel verändert auch die Weinbaulandschaft. Anbaugebiete können immer weiter nach Norden rücken. Wärmeliebende Trauben wie Cabernet Sauvignon können künftig auf pfälzischen Weinhängen wachsen, der Riesling im Westharz.
Uta Steinhardt parkt ihr Fahrrad auf dem schmalen Grünstreifen an der Schwärze. dem Stadtbach von Eberswalde. Am Ufer stehen einige moderne, weiße Wohnhäuser. Dreigeschossig, kubisch, leicht verschachtelt, mit kleinen Gärten, Terrassen auf den Zwischenebenen, Rank-Hilfen für Grünpflanzen an den Außenwänden.
Steinhardt: "Wenn man die hängenden Gärten von der Semiramis- sieht und dann die Konzepte der Michaelisgärten, dann ist das ähnlich gedacht."
Die "hängenden Gärten von Eberswalde" - Uta Steinhardt lächelt. Sie ist Professorin an der Fachhochschule für nachhaltige Entwicklung. Fachgebiet Landschaftsökologie und Nutzungsplanung. Und freut sich über jeden sichtbaren Beitrag zur Klimaanpassung.
"Das soll also hier spalierartig Fassaden begrünen dann auf den verschiedenen Ebenen Gärten angelegt sein, so dass also über Grün in der Stadt eine Anpassung an den Klimawandel, was das Thema Hitze betrifft, geleistet werden kann."
Steinhardt radelt weiter durch die 40.000 Einwohnerstadt. Wohnraum innerstädtisch schaffen, eine Zersiedelung der Landschaft vermeiden, Fassaden begrünen - all das sind Beiträge zur kommunalen Klimaanpassung, erzählt sie. Doch längst nicht alle Planer haben den Klimawandel im Blick. Steinhardt stoppt am Marktplatz. Große Steinplatten, dicht an dicht, keine Lücken, keine Bäume, kein Grün. Eine Fläche, komplett versiegelt.
"Da frage ich mich: wenn man solche Bauprojekte neu angeht, was sowieso gemacht wird, ob das der Bahnhofsvorplatz in Bernau ist oder der Marktplatz in Eberswalde: warum muss man so einen Platz, wenn man den neu gestaltet, zu einhundert Prozent versiegeln?"
Weiter geht’s, den Erlebnisweg an der Schwärze entlang. Der Radweg ist nicht versiegelt.

Wenig Bodenversiegelung nützt– so oder so

Kein Asphalt, sondern feine Steine - vorbildlich sagt die Professorin. Eine klassische "No Regret-Maßnahme".
"'NoRegret-Maßnahmen', also Maßnahmen, die sozusagen nichts schaden also auch nicht, wenn der Klimawandel so wie er projiziert ist, nicht eintritt. Aber es kann ja ohnehin nicht schaden, weniger Fläche zu versiegeln im Siedlungsbereich, egal wie heftig der Klimawandel nun kommt. Und solche Maßnahmen, denke ich, die zu propagieren, das wäre auch eine Strategie zum Erfolg."
Im Umweltbundesamt in Dessau mahnt ein Schild neben dem Aufzug zum Treppensteigen. Mit dem eingesparten Strom, so ist zu lesen, könne man sieben Becher Kaffee kochen, drei Stunden Musik hören oder acht Stunden einen Kühlschrank betreiben.
Dr. Inke Schauser balanciert eine dicke, leuchtend blaue Studie während sie den Besprechungsraum aufschließt. Vier lange Jahre Arbeit stecken in der Untersuchung.
Schauser: "Das Ergebnis ist ein relativ umfangreiches Werk von über 600 Seiten (blättert), zudem wir aber auch noch eine Kurzfassung produziert haben von ungefähr 60 Seiten."
"Vulnerabilität Deutschlands gegenüber dem Klimawandel" ist der Wälzer überschrieben. Dafür haben 16 Bundesoberbehörden Datensätze und Modellrechnungen zusammengetragen, ein wissenschaftliches Mammut-Projekt.
"Vulnerabilität ist ein sehr kompliziertes Wort und ist auch methodisch sehr schwierig zu fassen. Deshalb benutz ich gerne den Begriff Klimawirkung anstelle von Vulnerabilität. Also, welche Klimawirkungen treffen Deutschland besonders in welchen Räumen ist eigentlich unsere zentrale Frage."
Die Untersuchung ist weit mehr als eine Klima-Prognose.
Sie kombiniert meteorologische Datensätze mit soziologischen Prognosen. Um die Entwicklung in Deutschland umfassend abzubilden.
"D.h. wir haben Veränderungen im Alter der Einwohner, der demographische Wandel, wir haben einen technischen Wandel, einen sozialen Wandel, die sozioökonomischen Bedingungen werden sich auch bis Mitte - Ende des Jahrhunderts verändern und das abzuschätzen ist noch sehr, sehr viel schwieriger als etwa ein physikalisches System wie das Klimasystem abzuschätzen, was ja auch schon relativ kompliziert ist."
Für 15 Handlungsfelder von Bauwesen, Biologische Vielfalt und Industrie bis Küsten- und Meeresschutz, Tourismuswirtschaft und Verkehr haben die Wissenschaftler Vorhersagen getroffen.

Junge, ältere und kranke Menschen besonders betroffen

Errechnet, wie sich der Klimawandel auswirken wird – einmal in der nahen Zukunft, in den Jahren 2021 bis 2050. Und in der fernen Zukunft, also Ende dieses Jahrhunderts. Inke Schauser schlägt die Studie auf, beginnt zu blättern. Deutet auf eine Deutschlandkarte.
"Das ist vor allem jetzt Oberrheingraben, aber auch die Kölner Tiefebene, ja, und hier ostdeutscher Bereich, blättert, hier sieht man das nochmal schöner, in der Karte man sieht, das diese roten Flecken, die werden immer größer."
Diese Hitze-Regionen wachsen. Je dichter ein Gebiet besiedelt ist, und je höher der Altersdurchschnitt seiner Bewohner liegt, desto größer wird seine Empfindlichkeit auf der Vulnerabilitäts-Skala.
"Weil es dort teilweise Bereiche sind, die sehr stark vom Wirtschaftswachstum (geprägt sind) und dort sehr viele Leute hinziehen und teilweise auch sehr viele alte Leute. Das heißt, wir können hinterher sagen, welche Schwerpunkte haben wir. Wir haben also in diesen warmen Klimaten Ballungsgebiete, dort gibt es vorwiegend auch ältere Leute in Zukunft und die werden unter Hitze besonders leiden in Zukunft."
Starke Bebauung und Bodenversiegelung treiben die Temperaturen in den Ballungsräumen weiter nach oben. Hitze wird zum Gesundheits-Risiko, das vor allem die sehr Jungen, die Alten und die Kranken trifft.
Menschen und Maschinen verlangen nach Kühlung. Infolge dessen steigt die Energienachfrage. Neben der Hitze wird auch Trockenheit in Zukunft ein immer größeres Problem werden. Trotz solcher Befunde, attestieren die Wissenschaftler dem Bereich Landwirtschaft bundesweit nur eine insgesamt geringe Anfälligkeit.
"Weil es auch viele Bereiche gibt, wo Landwirtschaft auch einen gewissen Gewinn hat, also verlängerte Vegetationsperiode gibt es, kann auch genutzt werden. Geht teilweise auch einher mit Gefahr von Spätfrösten – aber die Landwirtschaft hat vor allen Dingen das, was wir sagen: Hat eine hohe Anpassungskapazität. Sie kann relativ kurzfristig sich auf veränderte Klimabedingungen einstellen, anders als z.B. die Forstwirtschaft. Dementsprechend haben wir gesagt, ganz generell ist die Landwirtschaft nur gering vulnerabel. Das bedeutet nicht, dass einzelne Landwirte in einzelnen Regionen Deutschlands nicht hoch vulnerabel sein können."
In Eberswalde schließt Uta Steinhardt ihr Fahrrad auf dem Campus der Fachhochschule für nachhaltige Entwicklung an. Ihr helles Büro liegt ganz oben, unterm Dach. Vier Jahre lang hat die Professorin mit ihren Studenten die Auswirkungen des Klimawandels auf die Region erforscht, Handlungsanweisungen erarbeitet. In der Vulnerabilitäts-Studie des Umweltbundesamtes leuchtet die Gegend um Eberswalde tiefrot. Das steht für höchste Anfälligkeit. Trockene Sommer, heiße Nächte, knappe Wasserressourcen.
Steinhardt: "Wir sind sozusagen gestartet als Modellregion Trockenheit unter dem Titel 'Brandenburg versteppt', das war so ein Szenario. Am Anfang waren alle interessiert, aber verschiedene Gemeinde, Städte in der Region, wir haben in der Uckermark, Barnim geschaut, für die das Problem durchaus schon jetzt hin und wieder auftaucht."
Doch als klar wurde, dass die Wissenschaftler auch kommunale Datensätze, zum Beispiel zur Wasserversorgung und Entsorgung einsehen wollten, machten viele Kommunen einen Rückzieher.
"Und da war dann doch, als es zur Sache ging, die Zurückhaltung erstaunlich groß, sich auf solche Kooperationen einzulassen. Warum auch immer. Also das konnten wir am Ende nicht so nachvollziehen."
Die Wissenschaftler erledigten trotzdem ihre Arbeit. Analysierten die Entwicklung in der Region von 2011 bis 2014. Machten Handlungsvorschläge. In Sachen Klimaanpassung.
Uta Steinhardt klettert auf einen Bürostuhl, sucht in einem angestaubten Karton, der ganz oben im Regal steht.
"Das ist also die Abschlussdokumentation zum Teilprojekt klimaadaptierte Regionalplanung."

Eine Maßnahme: Flächen sichern und angepasst nutzen

90 Seiten – detaillierte Handlungsempfehlungen. Erosions-Gefahr von Äckern, Anfälligkeit von Wäldern. Unbequeme Feststellungen: Zuviel Kiefern in den Wäldern, zu viel Mais auf den Feldern. Flächensicherung, empfehlen die Wissenschaftler, angepasste Landnutzungen für exakt ausgewiesen Flächen. Als Klimaanpassungs-Maßnahmen.
"Insofern sind wir auf der einen Seite gescheitert, um das gleich mal vorwegzunehmen. Wir haben zwei solche Pläne entwickelt, aber die fanden keine Akzeptanz, insbesondere auf der Ebene der Landesplanung. Wo wir aber in der Umsetzung Erfolge hatten und wesentlich weiter gekommen sind, ist in dem Bereich Siedlungswasserwirtschaft in der Gemeinde Panketal."
Immerhin. Dort entwickelten sie zusammen mit Kommunalpolitikern eine Niederschlagswasser-Satzung. Um zukünftige Bodenversiegelungen bei Neubauvorhaben zu vermeiden. Allerdings: Verabschiedet ist die Satzung bis heute nicht.
"Weil Panketal als Gemeinde in dieser Zeit wiederum ein ganz anderes prioritäres Problem hatte, mit größerem Entscheidungsdruck, da ging es nämlich darum, kriegt die Gemeinde, will die Gemeinde eine dritte Grundschule haben oder nicht. Und das hat eben die politische Debatte eben dominiert in dieser Zeit. Und deshalb sind Fragen der Anpassung an den Klimawandel immer wieder an den Rand gedrängt worden."
Vetter: "Was wir aus Umfragen wissen, die repräsentativ durchgeführt wurden in Deutschland, kann man sagen, die Kommunen haben schon ein sehr gutes Bewusstsein dafür, dass es das Thema Klimawandel gibt, dass man sich anpassen muss, sehen das aber für sich oft nicht als Thema, wo man jetzt beginnen muss, sondern sagen oft, naja, das ist ein langfristiges Thema. Da müssen wir in Zukunft aktiv werden, aber jetzt haben wir andere Aufgaben, die dringender sind."
Weiß Andreas Vetter aus vielen Gesprächen mit Vertretern von Städten und Kommunen. Er kümmert sich beim Umweltbundesamt um die Klima-Anpassung auf kommunaler Ebene. Derzeit laufen auf Bundesebene Beratungen zum sogenannten Klimaschutzplan 2050, der noch vor der Sommerpause verabschiedet werden soll. 97 Maßnahmenvorschläge, erarbeitet von Bund, Ländern und Kommunen, werden auf ihre Klimawirkung geprüft und auf Kosten und Nutzen untersucht.

In vielen Großstädten läuft es gut bei der Vorbereitung

"Generell kann man sagen, dass die Großstädte in Deutschland sehr weit sind, also nach den letzten bekannten Zahlen, die mir vorliegen, haben 60 Prozent schon eine Anpassungsstrategie, d.h. mehr Städte befassen sich schon mit dem Thema. Die haben oft sehr viele Kapazitäten, d.h. gute Personalressourcen, gute Vernetzung in die Wissenschaft, mit Universitäten, die dort angesiedelt sind, dort klappt es aus unseren Erfahrungen sehr gut, die Vorbereitung."
Auch die meisten Bundesländer haben eine Klima-Anpassungsstrategie, vielerorts gibt es Aktionspläne mit konkreten Maßnahmen. Doch in der Fläche geht es nur langsam voran.
"Wir schauen eher in diese kleineren und mittleren Städte und Gemeinden, wo man das Thema viel schwieriger in die Breite bekommt und ganz einfach, es gibt weniger Personalressourcen, man kann sich mit neuen Themen nicht so schnell befassen. D.h. ein ganz typisches Hindernis sind dann die geringeren Ressourcen, ein Hindernis sind andere dringende Aufgaben."
Derzeit vor allem die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge. Und dann sind da noch die klammen Kassen und schrumpfenden Personalschlüssel – kein gutes Klima für Anpassungsmaßnahmen. Oft fehlt es auch an kommunalpolitischem Weitblick:
"Mit den Kommunen ist es so, dass oft gesagt wird, naja, wir in der Verwaltung der Kommune, wir sehen das Thema, wenn wir fachlich arbeiten, erkennen wir die Notwendigkeit, aber wir kommen nur voran, wenn wir einen politischen Beschluss haben oder wenn der Bürgermeister das Thema für sich annimmt."
Bund und Länder können die lokalen Anpassungsstrategien unterstützen, vor allem durch Know-how- und Finanz-Transfer.
"Der Bund hat eben entsprechende Förderprogramme, um die Städte bei Anpassungskonzepten – dass sie erstmal eine Idee dafür bekommen, was muss ich tun, also was muss ich in meiner eigenen Stadt tun und wie setze ich das konkret um, dafür gibt es Fördermittel. Und es gibt Fördermittel für konkrete Pilotvorhaben."
Um kommunale Anpassungsstrategien zu fördern, hat das Umweltbundesamt eine sogenannte "Taten-Bank" eingerichtet.
In dieser Datenbank werden Projekte zur Klimaanpassung dokumentiert. Vetter klickt ein Beispiel aus Nordhessen an.
"Dort hat man Hitzetelefone entwickelt, also ein System in der Stadt, wo man sagt, insbesondere ältere Leute sind stark betroffen, wie kriegt man das in die Senioren- und Pflegeeinrichtungen transportiert und dort werden Netzwerke gebildet. D.h. Senioren werden bei dieser täglichen Betreuung auch befragt: Haben sie Probleme mit der Hitze? Werden bei Hitzewellen vorher angerufen und daraufhin gewiesen, dass man mehr Trinken muss."
Rund 150 Projekte sind in der Taten-Bank gespeichert. Von "Klimarobust Planen und Bauen" über "Klimagerechte Gewerbeflächenentwicklung" bis hin zu "Zukunftsstrategien für Aquakulturen". Dazu gibt es Hintergrundinfos und die Adresse eines Ansprechpartners vor Ort.
"Wir fragen in einem Abfrage-Formular wirklich explizit ab: Was lief erfolgreich? Was waren die Hindernisse? Was hat die Maßnahme gekostet? Also wir wollen wirklich Informationen haben, die anderen bei einer eigenen Umsetzung helfen können und wertvoll sind."
In der Taten-Datenbank findet sich auch das Projekt, das Prof. Christian Bergmann an der Berliner Charité über drei Jahre betreute.

Klimawandel auch für Ärzte und Pflegepersonal ein Thema

Die "Klimaanpassungsschule", die bundesweit Ärzte und Pflegepersonal über gesundheitliche Folgen des Klimawandels aufklären sollte.
Bergmann: "Bei den Lungenärzten haben wir gesprochen über mehr Pollen, Feinstaub, Dieselpartikel. Bei den Hautärzten wurde gesprochen über den Einfluss von UV oder über die Prozessionsspinner. Bei den Internisten wurde gesprochen über die Infektionskrankheiten, die wir haben."
Denn mit Tigermücken, die sich vom Süden her ausbreiten, kommen neue Erreger nach Deutschland, wie z.B. das Dengue - oder das Chikungunya-Virus. Mehr als 2000 Ärzte und Pflegekräfte nutzten das Angebot der Klimaanpassungsschule. Dann endete nach drei Jahren die Finanzierung. Heute finden sich nur Restbestände der Informationen im Internet. Bergmann zuckt mit den Schultern.
"So dass es eigentlich sehr schade ist, das aus finanziellen Gründen diese Sammlung medizinischer Inhalte eingestellt wurde. Denn es gibt, soweit wir wissen, keine andere Sammlung."
Die Klimaanpassungsschule ist nicht das einzige Projekt, das im Gesundheitsbereich aus finanziellen Gründen auf der Strecke blieb. Auch die Berliner Ambrosia-Scouts, die medizinisch von Bergmanns Kollegen betreut wurden, sind mittlerweile nicht mehr im Einsatz. Jahrelang durchkämmten sie die Straßen der Hauptstadt. Und machten der wärmeliebenden, hoch allergenen Pflanze, die sich immer weiter ausbreitet, planmäßig den Garaus. Schlechte Zeiten für Allergiker – sie werden auf jeden Fall zu den Leidtragenden des Klimawandels gehören. Schon heute beobachten Wissenschaftler, dass der Pollenflug immer früher einsetzt.
"Insbesondere die Pollen der Bäume und da meine ich die Haselnuss und die Erle, besonders aber die Birke, dieser Pollenflug hat sich verändert. Er tritt zeitlich gesehen häufig früher auf im Frühjahr, sodass wir in den letzten 10, 15 Jahren eine Vorverlegung von rund zwei Wochen erlebt haben im Schnitt. Sie blüht auch etwas länger und in der Tendenz sind in Deutschland auch mehr Birkenpollen in der Luft."
Der Allergologe mahnt deshalb, schon heute an die Allergiker von morgen zu denken. Und bei der Anlage von Grün für die sich aufheizenden Städte genau zu überlegen, was angepflanzt wird….
"Aber die Städte und Kommunen sollten zur Kenntnis nehmen, dass wir jetzt schon zum zweiten Mal eine Liste publiziert haben, die im Internet auch zu sehen ist, wo man sagt: Bitte verzichtet auf das Neuanpflanzen von bestimmten Baumarten, dazu zählt natürlich Hasel, Birke und Erle. Es gibt Linden, es gibt Eichen, es gibt andere Pflanzen, die auch schön sind – baut diese an."

"2015 war ein Jahr der Extreme"

Beim Umweltbundesamt in Dessau blättert Inke Schauser durch die Vulnerabilitätsstudie. Binnenschiffer auf dem Trockenen, Landwirte vor verdörrten Feldern – diese Bilder schafften es im letzten Sommer in die Tagesschau. 2015 war ein Jahr der Extreme
Schauser: "Es wird einfach mehr. Die Extremereignisse, die wir heute schon haben werden häufiger und stärker."
Die Häufung der Extreme – das sind weithin spürbare Folgen klimatischer Wandlungen. Andere Veränderungen geschehen ungleich weniger spektakulär. Und bleiben meist unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle.
"Im Meer sieht man schon eine Artenverschiebung. Die wärmeliebenden Arten kommen mehr und mehr in die Nordsee, das sieht man schon im Wasser…"
Der maritime Lebensraum verändert sich durch den Klimawandel. Das Meer erwärmt sich. Und der Wasserspiegel steigt, weil die Polkappen schmelzen. Eine bedrohliche Entwicklung für das Leben an Land.
Wilhelm Koldehofe geht die "Schlachte" entlang, die Uferpromenade an der Weser. Mitten in Bremens Innenstadt.
Koldehofe: "Die letzte hohe Sturmflut war das Sturmtief Xaver, das war Nikolaus 2013, da stand hier Wasser wo wir jetzt langgehen, ... es drohte die Pauliner Marsch mit dem darin befindlichen Weserstadion unterzugehen… im Moment läuft ein Planfeststellungsverfahren für die Erhöhung der Deiche in dem Bereich."
Koldehofe leitet das Referat Hochwasserschutz beim Bremer Umweltsenator. Um einen Meter muss die Deichanlage rund ums Weserstadion erhöht werden. Damit die Werder-Fans in Zukunft keine nassen Füße bekommen. Trotzdem wird das Stadion weiter im Überschwemmungsgebiet liegen. Langsam, aber beständig steigt der Meeresspiegel. Koldehofes Aufgabe ist es, mit dem Schlimmsten zu rechnen. 7 Meter 40 über normal Null – das ist im Augenblick die kalkulierte Höchst-Wassermarke für ein vertretbares Risiko.
"Wir haben als Grundlage den IPPC Bericht, also den Weltklimabericht, da gibt es verschiedenen Szenarien, was also die Erhöhung des Meeresspiegels anbetrifft, wir haben uns da auf einen Wert verständigt, eigentlich deutschlandweit also 50 Zentimeter in den nächsten hundert Jahren. Darauf können wir reagieren."

240 Millionen Euro für die Bremer Deiche bis zum Jahr 2025

65 Prozent der Deiche im Land Bremen müssen erhöht werden. Bis 2025 werden Bund und Land 240 Millionen Euro investieren. Koldehofe stoppt, deutet auf die andere Weserseite:
"Auf der gegenüberliegenden Seite haben wir einen grünen Deich, einen Erd-Deich, der dann sehr stark bewachsen ist mit großen alten Platanen. Und dieser Deich muss massiv umgebaut werden das ist ein großes Projekt was da ansteht, das ist das Projekt der sogenannten Stadtstrecke, da müssen also große Umbaumaßnahmen stattfinden, weil dieser Deich nicht standsicher ist."
Die Platanen müssen weg. Das sorgt jetzt schon für heftige Diskussionen bei den Anwohnern. Doch in Sachen Hochwasserschutz soll es keine Kompromisse geben. Mehr als ein halbe Millionen Menschen leben in Bremen in überflutungsgefährdetem Gebiet, rechnet Koldehofe vor. Ohne Deiche würden schon heute große Teile der Hansestadt zweimal pro Tag unter Wasser stehen. Der Klimawandel, der Anstieg der Meeresspiegel, hat diese Situation weiter verschärft.
In Eberswalde geht Uta Steinhardt über den neu gestalteten Campus ihrer Fachhochschule. Große Bäume spenden Schatten. Ein Teich liegt zwischen den Gebäuden. Das Flüsschen Schwärze fließt vorbei. Sogar ein Biber lässt sich regelmäßig auf dem Campus blicken, erzählt die Professorin lächelnd.
"Dank der Biber werden wir in diesem Teil Brandenburgs deutlich weniger Nöte haben mit der Abpassung an den Klimawandel, weil die uns in der Unterstützung des Landeswasserhaushaltes dann doch unterstützen, dadurch, dass sie durch ihre Bauwerke Wasser in der Landschaft zurückhalten."
Der Biber - ein zuverlässiger Verbündeter. Bei der Anpassung an den Klimawandel.
Uta Steinhardt eilt ins Institutsgebäude. Ihre kommunalpolitische Klimabilanz von fünf Jahren Beratungsarbeit ist durchwachsen.
"Wo wir am Anfang sehr enttäuscht waren, dass wir mit ganz konkreten Projektergebnissen gar nicht so vorangekommen sind. Weil uns das viel Zeit gekostet hat mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Letzten Endes war es, glaube ich, ein Anfangsinvestition, die es wert war und die sich gelohnt hat."
Eine Anfangsinvestition - für einen Klimawandel in den Köpfen. Der findet auf kommunaler Ebene langsam statt, sagt Steinhardt. Wobei seine Auswirkungen noch nicht immer sichtbar sind.
"Es ist eine gewisse Grundsensibilisierung da. Aber jetzt zu behaupten, es ist in den Köpfen jeder Entscheidungsträger, Landnutzer präsent, das wäre zu hoch gegriffen. Also braucht es immer mal wieder, ich sage es jetzt mal ketzerischer Weise, ein Erinnerungshochwasser, um diese Thematik mal wieder ins Bewusstsein zu rücken. Das ist glaube ich ein dickes Brett, was man da bohren muss."
Mehr zum Thema