Heinrich Detering: "Menschen im Weltgarten"

Die Welt ist ein anfälliges Uhrwerk

05:56 Minuten
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein Buch über die Beziehung zwischen Mensch und Natur. © Wallstein Verlag / Deutschlandradio
Von Hans von Trotha · 27.04.2020
Audio herunterladen
Wie und wann entwickelte sich in der Literatur ökologisches Bewusstsein? Seinen Anfängen im 18. und 19. Jahrhundert spürt Heinrich Detering nach – immer dabei ist der Gedanke, der Mensch könnte die Natur und damit auch die eigene Existenz zerstören.
Literatur setzt Natur anders zusammen als Wissenschaft, sollte man meinen. Aber das war nicht immer so. Im Gegenteil, das Zusammenspiel von, mit Alexander von Humboldt: "dichterischer Prosa" und "wissenschaftlichen Erläuterungen" war ein Motor der Herausbildung einer "Ökologie in der Literatur" oder auch einer "ökologischen Poetik". Die erkennt Heinrich Detering in Alexander von Humboldts "Ansichten der Natur" (1808).
Bei Humboldts Konzept der Natur als eines "alles Lebendige einschließlich des Menschen umfassenden, dynamischen und offenen Lebenszusammenhangs" endet Deterings Lektüre des 18. Jahrhunderts als Quellgebiet einer Literatur der Ökologie, die mit dem dichtenden Arzt Albrecht von Haller beginnt. Dessen Gedicht "Die Alpen" (1732) strebt als eines der ersten Werke der deutschen Literatur eine "Individualisierung bestimmter Landschaften, einzelner Ökosysteme und der aus ihnen hervorgehenden Kulturen" an, ohne die es nach Detering die Humboldtsche "wissenschaftlich-literarische Reiseprosa" nicht gegeben hätte.

Pakt zwischen Mensch und Natur

Das ist, knapp angedeutet, einer der Bögen, die Detering schlägt. Um klar zu machen, dass das viel mit uns zu tun hat, stellt er zwei Zitate voran, eines von Horst Stern aus dem Jahr 1980: "Wir sind als Art biologisch ein Teil der Natur – lebend an ihr Leben, leidend an ihr Leiden, sterbend an ihr Sterben gebunden", eines aus dem "Guardian" von 2020, in dem Brigid Delaney erschüttert feststellt, dass sie als Australierin vergangenen Sommer den Eindruck haben musste, der Pakt zwischen Mensch und Natur sei plötzlich und für immer annulliert.
Auch von diesem Pakt erzählt Detering, indem er ausgewählte Werke für uns liest, Schlüsseltexte der Herausbildung einer Ökologie in der Literatur, zumindest der Sache nach, der Begriff findet erst ab 1866 Verwendung.
Heinrich Detering gehört zu Deutschlands profiliertesten Literaturwissenschaftlern. Mit den Mitteln eines close reading (bisweilen auch eines very close reading) vor weit gespanntem literatur- und kulturhistorischen Horizont bringt er seine Texte zum Leuchten. Immer dabei ist der Gedanke, die Spezies Mensch könnte die Natur und, indem sie ihr angehört, die eigene Existenz auch zerstören.

"Apocalypse Now" in Schweden

So schildert Carl von Linné die erste große "Industriezerstörung" im schwedischen Falun, "nichts weniger als eine apocalypse now". Barthold Hinrich Brockes gestaltet die Welt als "katastrophenanfälliges" Uhrwerk, Lichtenberg durchkreuzt die Grenze zwischen science und fiction "zielstrebig", und die romantischen Dichter Achim von Arnim und Novalis zeichnen schon eine Welt, in der die Akkumulation dessen begonnen hat, was Marx in "Das Kapital" analysieren wird.
Zentral für die Epoche, für den resümierenden Alexander von Humboldt, aber auch für Detering ist: Goethe. Auf den geht auch der titelgebende Begriff des "Weltgartens" zurück, eine "Leitmetapher" für "die Gesamtheit der Lebewesen und ihrer Beziehungen, die mit den Pflanzen beginnt und sich über die Tiere fortsetzt bis zu den Menschen" – die Welt als Ökosystem.

Heinrich Detering: Menschen im Weltgarten. Die Entdeckung der Ökologie in der Literatur von Haller bis Humboldt
Wallstein Verlag, Göttingen 2020
464 Seiten, 36,90 Euro

Mehr zum Thema