Heinrich Detering: "Die Stimmen aus der Unterwelt"

Dylans Masken- und Mysterienspiele

Der Musiker Bob Dylan mit schwarzer Sonnenbrille, aufgenommen bei einer Zeremonie im Weißen Haus in Washington 2012, bei der Dylan eine Friedensmedaille erhielt.
Der Musiker Bob Dylan © imago/Xinhua
Von Jörg Magenau · 29.04.2016
Sein Song "Love and Theft" und andere Lieder haben Bob Dylan den Vorwurf eingebracht, ein Plagiator zu sein. Der Literaturwissenschaftler und "große Dylanologe" Heinrich Detering geht dem in "Die Stimmen aus der Unterwelt" auf den Grund.
Mit "Love and Theft" lässt Heinrich Detering, Literaturwissenschaftler und großer Dylanologe, das "Spätwerk" des Meisters beginnen. "Liebe und Diebstahl" ist das im Titel ausgestellte poetische Verfahren dieser Songs, in denen kaum eine Zeile von Dylan selbst stammt. Vielmehr hat er sich nach Lust und Laune in der Literatur- und Musikgeschichte bedient – bei Homer, Ovid, Juvenal und Petrarca ebenso wie bei Tennessee Williams, Lewis Caroll oder Mark Twain, vor allem aber und immer wieder bei Shakespeare, dessen "Sturm" dann auch in der Titanic-Untergangs-Kapellen-Musik "Tempest" anklingt, auch wenn bei Dylan gar kein Wind bläst.
Der Titel "Love and Theft" ist seinerseits bereits ein Zitat und steht auf dem Cover deshalb in Anführungszeichen. Ursprünglich handelte es sich dabei um eine gelehrte Abhandlung über amerikanische Minstrel Shows – eine traditionelle, burleske Volkstheatertradition, bei der schwarz geschminkte weiße Darsteller Texte der High Culture zelebrierten. Dass Dylan in den 70er-Jahren während seiner "Rolling Tunder"-Tournee mit weiß geschminktem Gesicht aufzutreten pflegte, belegt, wie sehr er sich in dieser Tradition sah, dass er aber auch die rassistische Komponente darin erkannte und umkehrte.

Dylan nimmt auch seine eigenen Songs auseinander

"Love and Theft" und all die folgenden Veröffentlichungen haben Dylan den Vorwurf eingebracht, ein skrupelloser Plagiator zu sein. Detering zeigt nun Dylans Technik des Zitierens, Collagierens und Verbindens als ästhetisches Prinzip. Leichter wird der Weg zum fertigen Liedtext auf diese Weise sicher nicht, zumal Dylan auch seine eigenen, älteren Songs auseinandernimmt und wieder eingehen lässt in den großen Strom der Tradition, aus dem er schöpft. Aber das ist nicht alles: Dylan verschwindet auch als Figur, als Sprecher und Sänger in der "Vielstimmigkeit des Zitatengestöbers". Selbst in den wenigen Interviews, die er gibt, spricht er oft in Zitaten. "Masked & Anonymous", ein merkwürdig unergründlicher Film aus dem Jahr 2003, in dem Dylan einen Sänger mit dem Namen "Fate" spielt, gerät nicht nur wegen des sprechenden Titels in Deterings Blick.

Seine Eitelkeiten sind befriedigt

Viel einfacher als diese ausgesuchte Disparatheit der Person wäre es, als ein übersichtliches "Ich" aufzutreten und simpel Songs zu schreiben, wie gehabt. Das aber – so Detering – will Dylan nicht, nicht mehr. Seine Eitelkeiten sind befriedigt. Wenn er Botschaften verkündet, dann nur als Zitat und mit dem doppelten Boden der "Selbstironie und Entpersönlichung". Dieser Spur folgt Detering konsequent. In einzelnen Kapiteln untersucht er die Songs "Working Man’s Blues #2", "Tempest", "Roll on John" – und entdeckt schließlich sogar in den doch eher faden Sinatra-Adaptionen von "Stay with me" Dylans abgründige Anwesenheit im bloßen Arrangement.
Detering betreibt philologische Hermeneutik im besten Sinne. Darüber hinaus ist dieses Buch aber auch spannend zu lesen – nicht bloß für Dylanologen, sondern auch für Leser, die sich dafür interessieren, was eine Person eigentlich ausmacht jenseits der schlichten Subjekt-Vorstellung, und wie Kunst entsteht jenseits des künstlerischen Ego-Narzissmus‘. Dylans Masken- und Mysterienspiele geben da eine gute Einführung.

Heinrich Detering: "Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele"
C. H. Beck, München 2016
256 Seiten, 19,95 Euro

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