Heiliger Nikolaus

Der Mann, der Geld verschenkte

Von Bettina von Clausewitz · 30.11.2013
Nikolaus ist der vielleicht beliebteste Heilige des Christentums. Die Volksfrömmigkeit machte aus ihm eine Art Superman. Als Bischof von Myra lebte er im vierten Jahrhundert in der heutigen Türkei – und war bekannt für seine Großzügigkeit.
"Er ist der am meisten verehrte Heilige in der Ostkirche, und vor allem die Russen sind ganz verrückt nach ihm, muss man fast so sagen, die verehren ihn so sehr, dass es sogar ein Sprichwort gibt: 'Wenn der liebe Gott mal stirbt, dann wählen wir den Nikolaus als Nachfolger'."
Das meint die Kunsthistorikerin Eva Haustein-Bartsch. Eine Perspektive, die im deutschen Weihnachtstrubel weitgehend untergegangen ist. Und so zeigt das Ikonen-Museum Recklinghausen in diesem Jahr - rechtzeitig zum Nikolaustag - eine Sonderausstellung über den menschenfreundlichen Heiligen: wertvolle Stücke orthodoxer Kirchenkunst vom 11. bis 19. Jahrhundert. Ein echtes Kontrastprogramm zum dicken Mann im knallroten Kapuzenmantel mit Rauschebart, der die Weihnachtsmärkte derzeit bespaßt.
Die Ausstellung ist von Eva Haustein-Bartsch konzipiert worden. Sie leitet das Museum seit 30 Jahren und übernimmt auch gern mal eine Führung. Häufig abgebildet etwa ist das Wunder, das Nikolaus vollbracht haben soll, als er von drei verarmten Schwestern hörte, die der Vater ins Bordell bringen wollte, weil er sie nicht verheiraten konnte:
"Und Nikolaus hat davon erfahren, hatte kurz vorher von seinen Eltern relativ viel Geld geerbt, und hat dann heimlich drei mal einen Beutel mit Goldstücken durch das Fenster zu den schlafenden Mädchen reingeworfen, so dass immer für eine die Hochzeit ausgerichtet werden konnte."
Diese Legende ist der Ursprung des Brauchs, der hier im Westen bekannt ist, dass die Kinder am Abend vor dem Nikolaustag Geschenke bekommen. Für Kinder heute geht es um ein paar Süßigkeiten. Für die Menschen jedoch, die Bischof Nikolaus zu Lebzeiten im vierten Jahrhundert in seiner Heimat Myra begegneten - heute an der türkischen Südküste - ging es um ihre Existenz.
Die Schwestern sollten ins Bordell, Nikolaus warf Goldstücke
Der Legende nach rettete Nikolaus unschuldig Verurteilte vor dem Tod, indem er Kaiser Konstantin im Traum erschien, er rettete Seeleute vor dem Ertrinken, eine ganze Stadt vor dem Ansturm der Tartaren und brachte verlorene Kinder zurück zu ihren Eltern. All diese volkstümlichen Wunder spiegeln sich in Ikonen wider, den Heiligenbildern der Ostkirchen. "Ein Heiliger für alle Fälle" hat Kustodin Eva Haustein-Bartsch die Ausstellung deshalb genannt.

"Hier oben haben wir viele russische Metall-Ikonen ausgestellt, die sind meistens aus Bronze oder Messing, manchmal vergoldet wie diese hier oder manchmal auch versilbert oder sehr oft auch mit farbigem Emaille geschmückt. Die waren auch fürs Reisegepäck oft gedacht. Hier sehen wir so Diptychen, so Zweiteilige, die zusammen geklappt werden konnten, da vorne sind Dreiteilige, die konnte man also sehr bequem mitnehmen, die waren auch sehr unempfindlich.“

Das Ikonen-Museum Recklinghausen hat die umfangreichste Sammlung ostkirchlicher Kunst in der westlichen Welt. Unter den 3000 Stücken befinden sich allein 250 Nikolaus-Ikonen, 114 davon sind jetzt in der Ausstellung zu sehen. Aus unterschiedlichen Epochen und Kunstrichtungen: vielfarbig mit Tempera auf Holz gemalt, Buchmalereien, rumänische Hinterglasmalerei, viele Metall-Ikonen und ein gut 800 Jahre altes Werk aus Speckstein. Oft sind die Ikonen nicht nur Porträts, sondern erzählen ganze Bildergeschichten mit liebevoll ausgestalteten Details. Eine Vita-Ikone aus dem 15. Jahrhundert etwa, vor der eine Besuchergruppe mit russischer Führerin länger Halt macht:

"In der sowjetischen Zeit wurden viele Kirchen geschlossen oder zerstört oder in etwas anderes verwandelt, aber die Kirche des Heiligen Nikolaus in St. Petersburg - da gab’s immer Gottesdienste, wurde nicht zerstört, also auch in der atheistischen Zeit in der Sowjetunion war der Heilige Nikolaus besonders verehrt. Und bis heute bleibt das so. Fast in jeder Familie kann man eine Ikone des Heiligen Nikolaus finden, egal ob sie gläubig sind oder nicht, der Heilige Nikolaus – für alle Fälle (Gelächter), der Schutzheilige der Familie.“
Kontrastprogramm zum Mann mit Rauschebart im roten Mantel
Ein Heiliger mit weit mehr Strahlkraft, als Kinderüberraschungen und Weihnachtstrubel vermuten lassen. Was sie über den Nikolaus gelernt haben? Frage an Seniorinnen aus dem Rheinland, die mit einer Tagestour ins Ikonen-Museum nach Recklinghausen gekommen sind:
- "Viele Sachen, die ich bisher überhaupt nicht gewusst habe, zum Beispiel, dass er immer dargestellt wird mit hoher Stirn, mit dem aufgeschlagenen Buch, mit dem gestutzten Bart, bei den Ikonen, aber dat war uns sonst nie bekannt, also mir wenigstens nicht."
- "Ich kenn' die Nikolaus-Legende schon von Kindesbeinen an. Der Nikolaus, der heute gemacht wird, das ist ja eigentlich ein Weihnachtsmann, und der kommt ja aus Amerika, ist eigentlich nur für Kapitalisten gemacht worden, für die Werbung - für Coca Cola - ja, und unser Nikolaus, der heilige Nikolaus, der trägt ja auch immer die Mitra und das Bischofsgewand und hat den Krummstab in der Hand.“
Einige Ältere kennen die ursprüngliche Nikolausgeschichte noch, und auch in Kindergärten und Grundschulen ist sie seit einiger Zeit wieder präsent: Die Geschichte eines Bischofs, der Nächstenliebe nicht nur predigte, sondern lebte. Der vielen Menschen Hoffnung und Lebensmut gab, bis heute. Davon erzählen die Ikonen und auch ein farbenprächtiger Katalog, der hilft, die Bildsprache zu entschlüsseln. Kustodin Eva Haustein-Bartsch hätte nichts dagegen, der bildgewaltigen Weihnachtswerbung mit deren scheinbaren Nikolaus-Monopol Paroli zu bieten.
"Ja, das wäre natürlich schlecht, wenn man den Leuten das etwas vermitteln könnte, den Besuchern der Ausstellung, dass der historische Nikolaus nichts mit dem Coca-Cola-Nikolaus zu tun hat oder mit den Schokoladenfigürchen oder all dem Schnickschnack, den man jetzt zu Weihnachten kaufen kann, und der eben auch Nikolaus und den Weihnachtsmann vermischt und mit dem Bischof von Myra überhaupt nichts zu tun hat.“
Hinweis: Die Sonderausstellung "Nikolaus – ein Heiliger für alle Fälle" ist noch bis zum 23. Februar 2014 zu sehen: Ikonenmuseum Recklinghausen, Kirchplatz 2a. Öffnungszeiten täglich außer montags von 11 – 18 Uhr