Heilen im Sinne des Menschen
In seinem Buch "Operation Gesundheit" stellt der Arzt und Buchautor Michael Imhof unser Gesundheitssystem zur Diskussion. Dabei nimmt er unter anderem nutzlose Operationen und uneffektive Therapien kritisch in den Blick und stößt eine Debatte über die Ethik des Heilens an.
Wir verlieren die Humanität in der Medizin, befürchtet der Arzt Michael Imhof. Angesichts immer teurer Verfahren und Techniken droht das Gesundheitswesen das Wichtigste aus seinem Blick zu verlieren: den Menschen. Konkrete Beispiele sind der Einsatz von Robotertechnik bei Operationen oder zahlreich durchgeführte Herzkathederuntersuchungen. Sie zeigen, dass neue Verfahren nicht zwangsläufig eine positive Auswirkung auf die Gesundheit haben. Häufig ist sogar genau das Gegenteil der Fall.
Deutschland ist Spitzenreiter im Einsatz der Herzkathedertechnik. Nirgendwo werden so viele Untersuchungen durchgeführt wie bei uns. Trotzdem sterben in Deutschland überdurchschnittlich viele Menschen an einem Herzinfarkt.
Ebenso erstaunlich war der jahrelange Einsatz von Robotern bei Hüftoperationen. Die Technik war selbst im Herstellerland USA nicht zugelassen, da wurde sie in Deutschland fleißig benutzt. Mit fatalen Folgen für viele Patienten: Sie litten unter erheblichen Schmerzen durch Knochen- und Muskelschäden, mussten sich weiteren Operationen unterziehen, da der Hüft-Roboter sein Programm abgearbeitet hatte, ohne die individuelle Anatomie des einzelnen Patienten zu berücksichtigen.
Ebenfalls ohne Nutzen, dafür häufig mit negativen Folgen für den Patienten, sind zahlreiche Knieoperationen, übertrieben viele Röntgenaufnahmen und ein ganzes Bataillon an Medikamenten. Die Liste der teuren und uneffektiven Eingriffe und Therapien ist lang und teuer.
Nun ist Michael Imhof kein Technikfeind. Es geht ihm um eine sinnvolle Kosten-Nutzen-Abwägung. Denn jede Neuentwicklung kostet das Gesundheitswesen zusätzliches Geld, an dem es seit einigen Jahren enorm mangelt. Hinzu kommt ein enormer Zeitaufwand für Ärzte durch die Abrechnungsbürokratie. Zeit, die dem Patienten verloren geht, für dessen Beratung im Abrechnungskatalog minimale Ausgaben vorgesehen sind.
Das ist fatal, schreibt der Autor, aber nicht überraschend. In einer Gesellschaft, in der die Ökonomie das Leben diktiert, ist auch die Medizin von dieser Strömung betroffen. Wirtschaftlichkeit macht vor Krankheit nicht halt, wie unter anderem viele viel zu frühe Entlassungen aus Krankenhäusern belegen. Die Pflege der Patienten, die ursprüngliche Aufgabe der Ärzte, droht der Ökonomie geopfert zu werden, indem Krankenhausmanager und nicht mehr Ärzte entscheiden, wann ein Patient wieder gesund ist.
Hier startet Imhof eine philosophische Diskussion über die Ethik des Heilens. Damit hebt er die Debatte über ein humanes Gesundheitswesen in einen größeren Kontext. Das tut dem Thema gut, weil zu den historischen Hintergründen grundlegende philosophische Fragen und die Verantwortung der Gesellschaft angesprochen werden. Michael Imhof geht es nicht um neue Abrechnungsmodelle oder Techniken im Gesundheitswesen, sondern um ein grundsätzliches Nachdenken über die Menschlichkeit in der Gesellschaft, in der das Gesundheitssystem ein Teil ist.
Die Frage zwischen Heilen und Menschenwürde betrifft alle, das zeigen die Diskussionen über Forschung an Embryonen, Pränataldiagnostik oder Organtransplantation. Sehr ausführlich erläutert Imhof hier die unterschiedlichen Positionen und die daraus resultierenden Konsequenzen. Er verzichtet auf Pauschalisierung und einseitige Schuldzuweisungen, wägt die Argumente ab und zieht Schlüsse, so dass manchem Leser erst hier die philosophische Dimension klar werden dürfte, die hinter Fragen steht, wie zum Beispiel der nach dem Beginn des Lebens in der Embryonenforschung.
Michael Imhof ist eine sehr umfassende und differenzierte Betrachtung über die Lage der medizinischen Versorgung gelungen. Ein historischer Rückblick auf den Berufsstand des Arztes und kleine Ausblicke in die Zukunft - in Form von konkreten Zukunftsszenarien - zeigen die gesamte Entwicklung auf.
Arztsein, so Imhof, ist und war schon immer mehr als nur ein Beruf. Arztsein ist eine Kunst, die ausschließlich dem Menschen gewidmet ist. Das darf nie vergessen werden.
Besprochen von Susanne Nessler
Michael Imhof: Operation Gesundheit. Über Risiken und Nebenwirkungen der modernen Medizin
Pattloch-Verlag 2009
385 Seiten, 19,95 Euro
Deutschland ist Spitzenreiter im Einsatz der Herzkathedertechnik. Nirgendwo werden so viele Untersuchungen durchgeführt wie bei uns. Trotzdem sterben in Deutschland überdurchschnittlich viele Menschen an einem Herzinfarkt.
Ebenso erstaunlich war der jahrelange Einsatz von Robotern bei Hüftoperationen. Die Technik war selbst im Herstellerland USA nicht zugelassen, da wurde sie in Deutschland fleißig benutzt. Mit fatalen Folgen für viele Patienten: Sie litten unter erheblichen Schmerzen durch Knochen- und Muskelschäden, mussten sich weiteren Operationen unterziehen, da der Hüft-Roboter sein Programm abgearbeitet hatte, ohne die individuelle Anatomie des einzelnen Patienten zu berücksichtigen.
Ebenfalls ohne Nutzen, dafür häufig mit negativen Folgen für den Patienten, sind zahlreiche Knieoperationen, übertrieben viele Röntgenaufnahmen und ein ganzes Bataillon an Medikamenten. Die Liste der teuren und uneffektiven Eingriffe und Therapien ist lang und teuer.
Nun ist Michael Imhof kein Technikfeind. Es geht ihm um eine sinnvolle Kosten-Nutzen-Abwägung. Denn jede Neuentwicklung kostet das Gesundheitswesen zusätzliches Geld, an dem es seit einigen Jahren enorm mangelt. Hinzu kommt ein enormer Zeitaufwand für Ärzte durch die Abrechnungsbürokratie. Zeit, die dem Patienten verloren geht, für dessen Beratung im Abrechnungskatalog minimale Ausgaben vorgesehen sind.
Das ist fatal, schreibt der Autor, aber nicht überraschend. In einer Gesellschaft, in der die Ökonomie das Leben diktiert, ist auch die Medizin von dieser Strömung betroffen. Wirtschaftlichkeit macht vor Krankheit nicht halt, wie unter anderem viele viel zu frühe Entlassungen aus Krankenhäusern belegen. Die Pflege der Patienten, die ursprüngliche Aufgabe der Ärzte, droht der Ökonomie geopfert zu werden, indem Krankenhausmanager und nicht mehr Ärzte entscheiden, wann ein Patient wieder gesund ist.
Hier startet Imhof eine philosophische Diskussion über die Ethik des Heilens. Damit hebt er die Debatte über ein humanes Gesundheitswesen in einen größeren Kontext. Das tut dem Thema gut, weil zu den historischen Hintergründen grundlegende philosophische Fragen und die Verantwortung der Gesellschaft angesprochen werden. Michael Imhof geht es nicht um neue Abrechnungsmodelle oder Techniken im Gesundheitswesen, sondern um ein grundsätzliches Nachdenken über die Menschlichkeit in der Gesellschaft, in der das Gesundheitssystem ein Teil ist.
Die Frage zwischen Heilen und Menschenwürde betrifft alle, das zeigen die Diskussionen über Forschung an Embryonen, Pränataldiagnostik oder Organtransplantation. Sehr ausführlich erläutert Imhof hier die unterschiedlichen Positionen und die daraus resultierenden Konsequenzen. Er verzichtet auf Pauschalisierung und einseitige Schuldzuweisungen, wägt die Argumente ab und zieht Schlüsse, so dass manchem Leser erst hier die philosophische Dimension klar werden dürfte, die hinter Fragen steht, wie zum Beispiel der nach dem Beginn des Lebens in der Embryonenforschung.
Michael Imhof ist eine sehr umfassende und differenzierte Betrachtung über die Lage der medizinischen Versorgung gelungen. Ein historischer Rückblick auf den Berufsstand des Arztes und kleine Ausblicke in die Zukunft - in Form von konkreten Zukunftsszenarien - zeigen die gesamte Entwicklung auf.
Arztsein, so Imhof, ist und war schon immer mehr als nur ein Beruf. Arztsein ist eine Kunst, die ausschließlich dem Menschen gewidmet ist. Das darf nie vergessen werden.
Besprochen von Susanne Nessler
Michael Imhof: Operation Gesundheit. Über Risiken und Nebenwirkungen der modernen Medizin
Pattloch-Verlag 2009
385 Seiten, 19,95 Euro