Haut und Tastsinn

Warum Berührungen gesund machen

07:21 Minuten
Eine Frau nimmt ihr eigenes Gesicht in die Hände und schließt die Augen.
Wir denken uns nicht selbst, wir fühlen uns. © picture alliance / dpa / PhotoAlto
Von Cornelius Wüllenkemper · 21.03.2019
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Berührungen sind nicht nur ein wichtiges soziales Kommunikationsmittel, sie sind auch essenziell für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden, bei Kindern für das Wachstum. Umarmt und streichelt euch häufiger, fordern daher Forscher.
Ein Handschlag, ein Kuss, die Hand auf der Schulter oder eine tröstende Umarmung: Berührungen regeln unser Leben, steuern unsere Wahrnehmung und Kommunikation. Sie sind ein soziales Gefühl und eine kulturelle Kodierung zugleich, meint Gabriele Brandstetter, Professorin für Theater- und Tanzwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
"Das heißt, wir lernen die bis zum gewissen Grad, sie sind in verschiedenen Kulturen anders erlernt. Und die tradieren sich auch: Was ist erlaubt, was ist nicht erlaubt, im Sinne von einen Kontakt herstellen? Wo berühren, wie berühren, in welcher Qualität. Das ergibt die Skala der möglichen Emotionen, von Freude oder Zustimmung bis zu Abwehr und Widerstand. Und damit arbeitet Tanzkunst unter anderem auch."

Kneipengespräch mit 180 Berührungen pro Stunde

Auch im Alltag haben Nähe, Distanz und Berührung eine wichtige kulturelle Funktion. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass Einheimische in einem Lokal in Puerto Rico sich im Gespräch etwa 180 Mal pro Stunde berühren, während es in London unter ähnlichen Bedingungen zu gar keinen Berührungen kam.
Vor ihrer Bedeutung als soziales Kommunikationsmittel sind Berührungen aber vor allem eine Grundvoraussetzung für das menschliche Leben, sagt Martin Grunwald. Der Wahrnehmungspsychologe an der Universität Leipzig hat eines der ersten deutschsprachigen Grundlagenbücher über den "Homo hapticus" geschrieben.
"In der sehr frühen Kindheit sind Körperberührungen sogar elementare Voraussetzung dafür, dass der Säugetierorganismus Mensch überhaupt wächst. Es gibt kein neuronales oder körperlich-zelluläres Wachstum ohne ein adäquates Maß an Körperverformung, sprich Körperberührungen."
Grunwalds Versuche haben gezeigt, dass befruchtete Eizellen bereits in der sechsten Schwangerschaftswoche auf Berührung reagieren und so Wachstum stimuliert wird.

Berührungen öffnen die körpereigene Apotheke

Auch für Erwachsene spielt die Sensorik eine zentrale Rolle: Rund 900 Millionen verschiedenartige Rezeptoren senden in jedem Augenblick Milliarden von Informationselementen an das Gehirn – ein Vielfaches der Seh- und Höreindrücke. Berührung ist nicht nur wichtig für unsere Wahrnehmung, sondern öffnet zugleich eine körpereigene Apotheke.
"Die körperliche Entspannung, die Regulation von Emotionen kann man mit Körperberührung sehr gut hinbekommen. Und wir haben eine ganze Reihe positiver Immunreaktionen, die nur und ausschließlich durch Köperberührung stimuliert werden. Insofern denke ich, dass wir auf Körperkontakt auf der individuellen Ebene für ein gesundes, menschliches Leben angewiesen sind. Aber ohne Körperkontakt angemessener Art in gesellschaftlichen Kontexten geht es eben auch nicht gut, das ist auch das Zusammenleben, was damit teilweise positiv reguliert wird."
Im Kernspintomografen untersucht der Psychologe die biochemischen Vorgänge, die durch achtsame Berührung ausgelöst werden.
"Der Körper wird massiert, umarmt. Und dann senden diese berührungssensitiven Rezeptoren, die senden ihre elektrischen Signale an das Hirn. Und im Gehirn, in ganz verschiedenen Gebieten, werden dann Signale ausgesendet, die dann zum Beispiel das Oxytocin ausschütten, ein ganz wichtiges Bindungshormon. Und der Inselkortex ist zum Beispiel dafür verantwortlich, dass wir während Umarmungen und während Massagen positive Emotionen empfinden und weniger Angstkognitionen ausbilden."

Mit Schulterklopfen gibt es mehr Trinkgeld

Körperkontakt regelt das individuelle und auch das soziale Leben des Menschen. Untersuchungen haben gezeigt, dass Kellnerinnen und Kellner, die ihren Gast vor dem Bezahlen kurz berühren, durchweg mit einem höheren Trinkgeld rechnen können. Bereits ein leichtes Schulterklopfen vor der Prüfung verringert den Blutdruck und das Stresslevel bei Studierenden messbar.
Die Haut ist mit zwei Quadratmetern Oberfläche das größte und sensibelste Sinnesorgan. Wir spüren bereits das Gewicht eines Konfettis, das sind knapp 0,0025 Gramm, wenn es aus zehn Zentimeter Höhe auf unseren Unterarm fällt.
"Ich habe im Studium mal gelernt, achtzig Prozent der Sinneseindrücke nimmt der Mensch über das Sehen auf."
Reiner Delgado. Er ist Sozialreferent des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes.
"Aber meine Lebenswirklichkeit spiegelt das nicht, dass ich nur ein Fünftel von dem wahrnehme, was andere wahrnehmen."

Unebenheiten können eher ertastet als gesehen werden

Menschen sind mit ihren Fingern in der Lage, Unebenheiten von nur einem Mikrometer, also 0,001 mm zu spüren, die mit dem Auge längst nicht wahrgenommen werden. Reiner Delgado ist überzeugt, dass die Bedeutung des Tastsinns generell unterschätzt wird, obwohl er einen sehr differenzierten Zugang zur Welt ermöglicht.
"Wenn ich Gemüse einkaufe, würde das jemand Sehendes womöglich nicht mehr nehmen, weil das nicht mehr danach aussieht, für mich sich aber ok anfühlt und ich das mit Genuss esse. Und umgekehrt gibt es Dinge, die ich nicht mehr essen würde, die aber noch gut aussehen. Und da gibt es viele andere Beispiele. Es gibt Sachen, die fühlen sich sauber an, die sehen aber nicht sauber aus, und umgekehrt auch, die sehen sauber aus, fühlen sich aber nicht sauber an."
Nicht nur Produktdesigner, Marketingstrategen und Finanzdienstleister nutzen den Tastsinn für ihre Zwecke. Auch an der sensorischen Kommunikation zwischen Mensch und Maschine wird geforscht, wie etwa bei der flauschigen und lernfähigen Roboter-Robbe Paro. Das japanische Robbenbaby verfügt über Tastsensoren und reagiert auf Berührung.
In der Altenpflege wird Paro auch in Deutschland bereits zur Behandlung von Demenzpatienten eingesetzt, mit Erfolg. Und trotzdem steht fest: Maschinen können menschliche Berührung nicht ersetzen. Die zahlreichen Parameter von Druck, Mikrovibration, Oberflächenbeschaffenheit, Härtegrad bis hin zur Temperatur oder der Leitfähigkeit der Haut kann künstliche Intelligenz weder zu einem stimmigen Gesamteindruck kombinieren noch imitieren.
Dass Roboter sich immer noch sehr schwer tun damit, aufrecht gehend Hindernisse zu überwinden, hängt vor allem mit dem mangelnden Tastsinn an ihren Fußsohlen zusammen. Ohne den Tastsinn wüssten wir - so wie Roboter - nicht einmal, dass wir existieren. Denn wir denken uns nicht selbst, sondern wir fühlen uns.
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