Haus mit Höllenschlund

19.04.2011
Er lief in Maßanzügen über die Buchmesse und rauchte Zigarren. Dann zog er sich plötzlich - frei nach Dante - in die Einsamkeit zurück. Dieser witzige und federleicht verfasste Roman ist voller Anspielungen auf den aktuellen Literaturbetrieb.
Er war einer, der es geschafft hatte. Einer, der in Maßanzügen über die Buchmesse lief, dicke Zigarren rauchte, den Medienbetrieb mit Bonmots fütterte, zwischendurch gefällige Bücher produzierte und von allen hofiert wurde. Ausgerechnet dieser Schriftstellerdarsteller namens Georg Laub hat seine Vergangenheit abgestreift wie eine alte Larve.

Als der Großteil seiner Ersparnisse durch spekulative Geschäfte eines Bankberaters in dunklen Löchern verschwand, zog Laub in ein heruntergekommenes, ererbtes Berliner Häuschen. Nun fristet er inmitten von Bauschutt ein improvisiertes Dasein. Das Merkwürdige ist: Georg Laub gefällt seine "Verkargung".

Allerdings taucht bald der erste Störenfried auf, außerdem packt ihn immer öfter ein merkwürdiger Schwindel, und schließlich wird er Opfer einer obskuren Theateraktion, die ihn quer durch die Stadt in finstere Cafés, unheimliche Bankkeller und verlassene Tonstudios lockt. Sein großes Projekt bleibt dennoch das Verschwinden.

Silvia Bovenschen, Jahrgang 1946, Literaturwissenschaftlerin und Verfasserin einer Reihe glänzender Essays, legt mit "Wie geht es Georg Laub?" ihren zweiten Roman vor. Sie erzählt die Geschichte einer zeitgenössischen Jenseitsreise. Der frischgebackene Eremit, der genau wie Dantes Reisender in der "Göttlichen Komödie" die Eitelkeit irdischer Verführungen erkannt hat, befindet sich auf dem Läuterungsberg und übt sich in einer mittelalterlichen Büßerhaltung.

In der Wand seiner Behausung gibt es sogar einen veritablen Höllenschlund, ein Loch, das ein Vormieter im Furor in die Wand gehauen hat. Dann taucht auch noch eine Wiedergängerin von Dantes Beatrice auf, jener ätherischen Frauengestalt, die den geläuterten Wanderer durch die Sphären des Paradieses geleitet: eine "unstofflich" wirkende, aber umso begehrenswertere Mieterin aus dem ersten Stock, der Georg Laub sofort verfällt. Bovenschen nennt sie Stella Remota, was wortwörtlich übersetzt "längst vergangener Stern" bedeutet und zum flüchtigen Charakter dieses anziehenden Traumgespinstes passt.

Die literaturgeschichtlich gestählte Autorin arbeitet in ihrem anspielungsreichen Roman mit einer verschachtelten Erzählstruktur, die den überraschenden Gängen, Türen und Verzweigungen in Georgs verwittertem Haus nicht unähnlich ist. Es gibt einen klassischen, allwissenden Erzähler, der von Georg in der dritten Person berichtet: "Georg Laub erwachte, und die Welt war sofort bei ihm. Er wusste, wo er war, und er wusste, wer er war – so gut man das wissen kann", wird der Zustand des Helden ironisch kommentiert.

Bald darauf macht sich ein weiteres Stimmenpaar bemerkbar, das sich im Dialog über den Weltverweigerer austauscht: "Wie geht es eigentlich Georg Laub?", heißt es refrainartig immer wieder, wobei die Antworten jedes Mal lakonischer ausfallen. Schließlich ergreift auch noch Georg Laub selbst das Wort und mogelt typographisch abgesetzte Manuskriptteile in den Roman.

"Wo ist Georg Laub?" ist ein witzig-grimmiger und zugleich federleichter Roman über die Eitelkeit des Literaturbetriebs und die Abgründe des Medienzeitalters, den vor allem Kenner des Sujets und Vielleser goutieren können. Das Artifizielle von Handlung und Figuren ist Programm. Ästhetische Theorie blitzt ebenso auf wie Genreszenen aus Krimis und Agententhrillern.

Für jeden dechiffrierbar ist die gepfefferte Medienkritik: Silvia Bovenschen prangert die alberne Gegenwartsversessenheit von Zeitungen, Fernsehen und Internet an und beklagt den Verlust des Subjekts. "Jetzt stirbt das Autorentum den schleichenden Google-Tod". Im Grunde nimmt sie noch einmal Partei für das gute alte Ich, das nur ist, wenn es spricht und schreibt.

Besprochen von Maike Albath

Silvia Bovenschen: Wie geht es Georg Laub?
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011,
285 Seiten, 18,95 Euro