"Haus der Sünde"

Von Anke Leweke · 18.04.2012
Als Bertrand Bonellos Film letztes Jahr in Cannes im Wettbewerb lief, kam es nach der Vorführung zu heftigen, empörten Diskussionen. Tatsächlich teilte der Film, der den Zuschauer mit in ein Pariser Luxusbordell Ende des 19. Jahrhunderts nimmt, in zwei Lager.
Für seine Widersacher ist "Haus der Sünde" ein voyeuristischer Film, bei dem die Frauen wie die Freier zum bloßen Objekt der Begierde werden. Und kann/darf man aus dem harten Alltag der Prostituierten einen schönen Film machen? Ja! Bonellos Film ist schön. Und ja! Er hat uns keine Botschaft mitzuteilen, er wirft keine moralischen Fragen auf. Aber manchmal führt der Blickwinkel der Political Correctness auch in eine Sackgasse.

Denn eines tut Bonello garantiert nicht: die Situation von Prostituierten zu beschönigen. Schon mit der ersten Einstellung nimmt er ihre Perspektive ein, wenn eine Frau nach getaner Arbeit aus einer Tür tritt und von ihrer Müdigkeit spricht. Dieser erste Satz setzt den Zuschauer ins Bild, ohne dass die Kamera erkunden müsste, was sich hinter den anderen Türen abspielt. Wenn man die Frauen in diesem Film nackt sieht, dann nur im Waschraum, beim Anziehen, beim Schminken – also bei den Vorbereitungen zur Arbeit. "Haus der Sünde" ist eine Sozialgeschichte des Bordells, aber auch eine Rekonstruktion einer Epoche.

Mit seinen gemäldeartigen Einstellungen zitiert Bonello die Malerei der Belle Époque, und auch der damalige Zeitgeist ist zu Gast im Haus. Die Männer im Frack diskutieren die Folgen der Dreyfuss-Affäre. Jacques Offenbachs Visionen aus "Hoffmanns Erzählungen" werden hier im Bordell ausgelebt. Wie die Puppe Olympia muss sich eine der Prostituierte permanent im Kreise drehen.

Darsteller: Hafsia Herzi, Céline Sallette, Jasmine Trinca, Frankreich 2011, 122 Minuten, ab 16 Jahren

Weitere Informationen:
Filmhomepage "Haus der Sünde"
Mehr zum Thema