Haus der Kulturen der Welt

Eskapismus vom Feinsten

Schauspieler, Musiker und YouTube-Star Friedrich Liechtenstein
Brummte mit beim Festival "Doofe Musik": das Berliner Unikum Friedrich Liechtenstein. © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Von Laf Überland · 10.05.2014
Musik, die zur Weltflucht einlädt. Beim Berliner Festival "Doofe Musik" gibt es seit Donnerstag im Haus der Kulturen der Welt Installationen, Vorträge, Filme und natürlich Konzerte. Ist das wirklich so doof?
Musik: Roy Black – "Du bist nicht allein"
Ist diese Musik doof? Oder die, die diese Musik hören?
Wie doof, bzw. dumm, solche Zuschreibungen sind, das rammte einem dieses Festival gleich beim Auftaktkonzert in die Ohren: "Pocket Symphonies"nannte sich das, und zehn Einzelmusiker und Gruppen führten darin vor, was man alles aus einer der dööfsten (und nervtötendsten) Melodien machen kann – dem Akustiklogo eines Telekommunikationsriesen...
Musik: Meriel Price & Kathi Wagner *
Das reichte vom impressionistischen Klavierstück über verfremdete E-Gitarre bis zum Kammerensemble Neue Musik oder dem wilden Experimental-Dancefloor-Elektroniker Guido Möbius mit seiner Armada von Effektpedalen, auf denen er aber gerne mit den Fäusten herumhämmert.
Musik: Guido Möbius *
Auf dem intellektuellen Prüfstand
Und nachdem diese Darbietungen den Begriff "Doofe Musik" auf den musikalisch-intellektuellen Prüfstand geschoben hatten, ging’s gleich ins andere Extrem - und aus dem Konzertsaal eine Etage tiefer ins Foyer:
"Zu doofer Musik gehören auch dämliche Tänze",
rief da die Hamburger Choreografin Rica Blunck in ihr Headset und brachte das Publikum dazu, sofortdrei Modetänze zu lernen! Und dazu sang der Chor des Hauses der Kulturen der Welt. Ach war das herrlich doof!
Musik: Wolfgang Voigt *
Die spätabendlichen Themen-Discos zu Polka oder Arabesk-Musik dienten, wenn nötig, der Erholung vom doofen Hauptprogramm.
"Miracles: Flüchtige Momente der schönen Musik"hieß darin nämlich am Freitag zum Beispiel ein langes Konzert, das irgendwie ums Thema "Smooth Jazz"kreiselte: also diese glitschige Musik, die widerstandsfrei in den Hörer eindringt, wenn er im Kaufhaus, im Fahrstuhl, im Restaurant sich tummelt. Ein Berliner Avantgarde-Club namens "ausland"hatte nun 14 Musiker versammelt, die zerlegten, zerdehnten diese Musik bis zur Unerkennbarkeit als – Musik. Nun ja, das Publikum versenkte sich andächtig, ich fand’s eher doof - eskapistisch, irgendwie...
Vehikel der Wirklichkeitsflucht
Aber genau das ist ja auch der Generalschlüssel überhaupt beim Thema Doofe Musik: Musik dient ja so bereitwillig als Vehikel zur Wirklichkeitsflucht. – Ist das denn nicht schrecklich? Detlef Diedrichsen, Mitkurator des Festivals:
"Also ich hab mittlerweile das Gefühl, daß es in der menschlichen Natur angelegt ist, daß es irgendein evolutionärer Vorteil sozusagen ist, daß man in der Lage ist, sich irgendwann auszublenden aus dem ständigen Trommelfeuer der Sinneseindrücke und dem ständigen Zwang, diese Sinnenseindrücke zu verarbeiten und zu reflektieren. Irgendwie braucht man sozusagen den Break und das Sichwegträumen, dann arbeiten womöglich im Hintergrund die Programme weiter und lösen irgendwelche Dinge oder sortieren sie. Aber ich denke, ohne dieses Sichwegträumen geht’s anscheinend nicht."
Das heißt: Doofe Musik ist gar nicht schlimm?
Diederichsen: "Das ist ja unsere zentrale Frage. Es gibt ja dieses klassische Kulturbild".
Ja! "Kultur" bedeutet meistens "Klassische Musik". Und zum richtigen Umgang mit der wird sie kanonisiert: für Kulturmenschen als Vorschrift!
Ebba Durstewitz: "Die findet dann Eingang in die entsprechenden Reclam-Kulturführer, wo dann von außen gesagt wird: Das hier ist Kultur – und geichzeitig implizit gesagt wird: Das andere nicht! Und das schafft dann gleich so einen hermetischen Rahmen, wo alles andere ausgegrenzt wird. Und das ist der Vorworf: daß es also vom klassischen Bildungsbürgertum, von dem wir jetzt nur noch die Reste haben, auch so zu Abgrenzungszwecken benutzt wird."
Ebba Durstewitz, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Musikerin der Hamburger Band JaKönigJa, ist keine pophörige Klassikfeindin. In ihrer wunderbaren Performance-Lesung stellte sie aber fest: Das Gute, Wahre, Schöne – dieses alte und definitiv nicht doofe Kulturideal des Bildungsbürgertums – wird längst vor allem gepflegt:
"Praktisch so zum Distinktionsgewinn - und nur zu einem Attribut wird, zu einem normativen Begriff, der sagt: Wir Bildung, ihr nicht!"
Musik: Adriano Celentano Gebäckorchester *
Spärlich besuchte Gesprächsrunden
"Doofe Musik"ist ein Festival, das die sowieso salopp formulierte Frage nach "doofer Musik" nicht beantwortet – auch nicht in den spärlich besuchten Gesprächsrunden. Aber es konfrontiert den Besucher unterhaltsam – und durchaus lehrreich – mit seinem eigenen doofen Musikgeschmack.
Besonders heute Abend: Bei der Gala mit dem Motto "Silly Love Songs" zelebrierte das vielköpfige Adriano Celentano Gebäckorchesterdie doofen italienischen Momente, dazu brummte das Berliner Unikum Friedrich Liechtenstein.
Musik: Der Tourist feat. Friedrich Liechtenstein – Supergeil
An den Knöpfen drehten der Elektroniker Lifafaaus Delhi und: Justus Köhncke, Lounge-Techno-Künstler mit einer Schwäche für Flitter und Tand. Der kommentierte dann noch zusammen mit der Szene-Chronistin Christiane Rösinger und anderen den live aus Kopenhagen übertragenen Eurovision Song Contest. Und gerade Justus Köhncke ist dafür wie geschaffen. Denn der hat sogar mal ein Stück darüber gesungen, wie man die Frage "Was ist doofe Musik?" eigentlich stellen müßte:
MUSIK: Justus Köhncke - Was ist Musik
* Liveaufnahmen/DJ-Set