Haus der Geschichte wiedereröffnet

Angela Merkels Platz ist noch offen

Ein Flüchtlingsboot aus dem Mittelmeer ist im Haus der Geschichte in Bonn in der wiedereröffneten Dauerausstellung zu sehen.
Ein Flüchtlingsboot aus dem Mittelmeer ist im Haus der Geschichte in Bonn in der wiedereröffneten Dauerausstellung zu sehen. © picture alliance / Henning Kaiser/dpa
Von Hubert Henning · 11.12.2017
Ein Stück Mauer, ein Flüchtlingsboot, der angekokelte Hausausweis eines 9/11-Terroropfers: Jüngste Geschichte wird im Bonner Haus der Geschichte nach mehrmonatiger Schließzeit neu präsentiert. Erstaunlich unterrepräsentiert ist in der Schau die deutsche Bundeskanzlerin.
Geht es aufwärts mit der deutschen Zeitgeschichte? So wie es die Ausstellungsarchitektur vorgibt? Treppen und Rampen führen hoch bis in den dritten Stock: Vorbei an der Sprengung von Hakenkreuzen durch alliierte Truppen, durch den ansatzweise nachgebauten Plenarsaal der Bonner Republik, nach oben unters frisch sanierte Dach vors gläserne Brandenburger Tor. Durch das man von Ost nach West schreitet und von Videos geleitet wird – zu den Feiern am 3. Oktober 1990, zur Wiedervereinigungsparty vor dem Reichstagsgebäude. Überall laden – typisch für das Haus der Geschichte – Hör- und Guckstationen zur Vertiefung ein.
Günter Schabowski: "Also Genossen, mir ist hier also mitgeteilt worden, dass eine solche Mitteilung heute schon verbreitet worden ist. Sie müsste eigentlich in ihrem Besitz sein. Das tritt – nach meiner Kenntnis ist das sofort. Unverzüglich."
Doch dem Bonner Haus der Geschichte reicht nicht es nicht, UNSECO-Weltdokumentenerbe wie dieses abzuspielen. Die Bonner Stiftung wollte das Original, Günter Schabowskis Sprechzettel von der Mauerfall-PK, und bezahlte dafür im Jahr 2015 25.000 Euro an einen ungenannten Besitzer. Familie Schabowski wurde in dem Zusammenhang nicht gefragt. Hätte aber gerne über den Verbleib dieses Dokumentes mitbestimmt.

"Wir versuchen Distanz abzubauen"

Jetzt liegt Schabowskis Zettel endgültig im Westen und hinter Glas: in dem komplett neu eingerichteten Teil der Dauerausstellung über die vergangenen 35 Jahre, links neben einem Trabbi und Teilen der geöffneten Mauer. Die Mauer kann man laut Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt wie einige andere Objekte auch anfassen.
Ein Stahlträger aus dem World Trade Center in New York ist am im Haus der Geschichte in Bonn in der wiedereröffneten Dauerausstellung zu sehen.
Stahlträger aus dem World Trade Center in New York © picture alliance / Henning Kaiser/dpa
"Wir versuchen zunächst einmal Distanz abzubauen. Unser Anspruch ist ja, dass die Besucherin, der Besucher die eigene Geschichte hier wiederfindet, sich selbst wiederfindet mit seiner Geschichte und deshalb darf es keine Distanz geben. So etwas wie den Stahlträger vom World Trade Center stellen wir auf.
Und er ist in seiner ganzen Deformation, auch in seiner Gefährlichkeit – also wenn Sie da an bestimmte Ecken anfassen, müssen Sie schon vorsichtig sein. Sie stehen diesen Objekten unmittelbar gegenüber und das lässt, glaube ich, niemanden kalt."
Neben dem Stahlträger liegt der angekohlte Hausausweis eines bei diesem Terrorangriff in New York getöteten Mitarbeiters der Deutschen Bank.

Schwarz-rot-gold geschminkte Fußballfans

Daneben einer der wenigen gezeigten Lichtblicke in diesem obersten und letzten Teil der Dauerausstellung. Bonn erzählt hier das Fußballsommermärchen 2006, die Heim-WM mitsamt dem Spickzettel von Nationaltorwart Jens Lehmann für das Elfmeterschießen gegen Argentinien und den Partys der vielen schwarz-rot-gold geschminkten Fans. Hier oben erwartet die Besucher noch das Thema Flüchtlinge. Da ist ein großes hölzernes Flüchtlingsboot, das vom Ausgang her durch die Scheibe hereinzubrechen scheint. Übergeben hat es der Kölner Kardinal Woelki. Und es gibt ein großes Ölbild, das in einem Malzirkel in einer sächsischen Flüchtlingserstaufnahmestelle entstand. Zu sehen ist als Motiv das abgemalte Foto des Leichnams vom angespülten dreijährigen syrischen Jungen Aylan Kurdi. Ausstellungsdirektor Thorsten Smidt berichtet vom Zögern, bis sich das Haus der Geschichte für dieses Gemälde entschieden hatte.
"Das ist kein Foto, sondern eine sozusagen künstlerische Auseinandersetzung mit diesem ja tatsächlich selbst schon wieder ikonisch gewordenen Foto, was ja immer wieder reproduziert wurde. Wir haben lange überlegt: zeigen wir dieses Motiv? Und ich hätte nicht das Foto aufhängen wollen. Wir haben ja viele Besucher, die aus Eltern mit ihren Kindern bestehen. Und insofern war diese künstlerische Transformation dann die Möglichkeit, dieses ja wirklich grausame Motiv und dieses grausame Schicksal dieses Jungen hier in die Ausstellung zu bringen. Das dann aber in einem Kontext, wo genauso die Erfolgsgeschichte etwa der Schwestern Mardini, die mit einem Bambi geehrt wurden, dann unmittelbar daneben steht und man damit diese Bandbreite hat zwischen Tod und gelungener Integration."
Und wo ist Angela Merkel, fragt man sich am Ende? Die seit zwölf Jahren amtierende Bundeskanzlerin taucht in der Dauerausstellung bildlich nur ein einziges Mal auf, als Titelfigur vom "Time"-Magazine, das sie 2010 "Frau Europa" nannte. Sehr mager, im Vergleich mit den vielen Büsten und Fotos von Adenauer, Marx, Stalin, Pieck und Grotewohl. Und den ins Fernsehen winkenden Politikern Brandt, Genscher, Kohl, von Weizsäcker und de Maiziere. Wo Angela Merkels Platz ist, lässt das Haus der Geschichte im Jahr 2017 noch offen.
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