Hauptstadtflughafen wird "2015 auf jeden Fall" fertig

Moderation: Klaus Pokatzky · 07.01.2013
Architektur sei die spannendste aller Künste, erklärt Architekturkritiker Nikolaus Bernau. Was man aber beachten müsse bei Projekten mit Kostenexplosionen, sei, "dass es Projekte sind, bei denen mehr erreicht werden soll als der eigentliche Zweck": wie Hauptstadtflughafen oder Stuttgart 21.
Klaus Pokatzky: Eine kleine Quizfrage, wenn es erlaubt ist: Was waren noch mal die sieben Weltwunder? Genau, bravo, die hängenden Gärten der Semiramis zu Babylon, der Koloss von Rhodos, das Grab des Königs Mausolos II. zu Halikarnassos, der Leuchtturm auf der Insel Pharos vor Alexandria, die Pyramiden von Gizeh, der Tempel der Artemis in Ephesos, die Zeus-Statue des Phidias von Olympia. Bauwerke, Bauwerke, Bauwerke.

Von heute auf morgen sind die nicht entstanden! Unser Architekturkritiker Nikolaus Bernau ist nun ins Studio gekommen, willkommen!

Nikolaus Bernau: Tach!

Pokatzky: Herr Bernau, steht der Flughafen Berlin-Brandenburg in einer würdigen historischen Tradition?

Bernau: Absolut, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass der Tempel der Artemis in Ephesos niemals ganz fertig geworden ist, kann man da wohl von einer würdigen und sehr langen Tradition reden!

Pokatzky: Wie schlampig haben die Bauherren früher gearbeitet?

Bernau: Gearbeitet ist eine andere Frage als geplant, weil, es ist ja hauptsächlich ein Planungsproblem. Und die Planung hat immer Probleme bereitet, weil es sich immer um dieses ganz extrem komplexe und ja wahnsinnig interessante Zusammenspiel von Auftraggeberinteressen, Finanzen, was ist möglich, was wollen wir möglich machen, was haben wir eigentlich wirklich in der Kasse, was können wir zur Not irgendwo auch noch auftreiben, zwischen dem Interesse, das das Publikum an einem Projekt hat, was sich ja durchaus unterscheiden kann von den Interessen, die die Auftraggeber haben, und nicht zuletzt den Interessen der Architekten, der Planer, wir wollen was Neues machen, wollen auch was Dramatisches machen, wir wollen zeigen, was wir können.

Diese ganzen komplexen Sachen müssen zusammengebunden werden und dann zuletzt in ein Stück Beton gegossen werden! Und dieses Zuletzt-ins-Stück-Beton-Gießen, das ist das eigentliche Problem. Dass man ganz, ganz viele Sachen zusammenführt und letztlich dreht es sich wirklich darum, man muss es in Materie gießen. Deswegen ist Bauen so spannend, aber deswegen ist es auch so kompliziert. Und deswegen platzen möglicherweise sehr, sehr viele Pläne und manche Pläne platzen eben leider erst dann, wenn sie schon angefangen haben zu bauen.

Pokatzky: Und hat sich im Lauf, was diese Komplexität angeht, hat sich da im Laufe der Jahrhunderte oder fast der Jahrtausende überhaupt nichts geändert, oder ist das alles immer im Grunde gleich geblieben?

Bernau: Der Planungskomplex ist relativ gleich geblieben. Also, dieses Zusammenspiel von ganz vielen verschiedenen Leuten. Deswegen ist ja Architektur so ungeheuer spannend, deswegen ist es aus meiner Perspektive eigentlich die spannendste aller Künste. Aber ...

Pokatzky: Einspruch, Euer Ehren! Sankt Petersburg, Peter I. von Russland hat einfach Zehntausende von Zwangsarbeitern hingeschickt und weniger Jahre standen 50.000 Häuser. Also, ein bisschen anders war es doch unter bestimmten Herrschern, autokratischen Herrschern. Oder die Pyramiden, die sind ja nun auch nicht von ... Brauchen wir nicht weiter drüber zu reden!

Bernau: Nicht im demokratischen Meinungsbildungsprozess entstanden! Zweifellos ist der Entscheidungsprozess in Diktaturen oft einfacher, oder in autokratischen Systemen, man muss ja jetzt gar nicht von Diktaturen reden. Oder er scheint zumindest einfacher. Aber der reale Planungsprozess ist es dann gar nicht, der Ausführungsprozess auch nicht: Was heute wirklich komplizierter geworden ist eben durch die Demokratisierung des Bauens auch, das darf man nicht vergessen, ist, dass ungeheuer viel mehr Sachen zu beachten sind.

Also, Umweltschutzgesetzgebung hat einfach mal, sagen wir mal, für einen Industriekapitän um 1900 nicht die blasseste Rolle gespielt, sondern für gar ...

Pokatzky: Und für Peter den Großen und die Pharaonen auch nicht.

Bernau: Also ... Peter der Große hat sich mit Sicherheit niemals um die Frösche im Newadelta gekümmert, da können wir ganz sicher sein! Was aber ein großer Vorteil dieser Demokratisierung, auch der Komplexitierung des Bauens ist, dass es viel besser verankert ist! Also, wenn man sich vorstellt, so ein Riesenprojekt wie zum Beispiel der Schlossbau von Versailles, von Ludwig XIV., das war mal eine kleine Jagdhütte, wurde zu einer der größten Palaststätten, die es jemals gegeben hat, und unmittelbar nach dem Tod von Ludwig XIV. gab es bereits Ideen, Versailles plattzumachen, einfach abzureißen! Und ...

Pokatzky: Also von Ludwig XV. oder ...

Bernau: Von Ludwig XV. und ... Der stand ja zuerst unter der Regentschaft, man hat gedacht, das ist viel zu teuer, viel zu komplex, wir reißen das Ganze wieder ab.

Pokatzky: Aus Kostengründen?

Bernau: Aus Kostengründen, aus betriebswirtschaftlichen Gründen, aber auch deswegen, weil es nicht mehr den aktuellen Prestigeinteressen entsprach!

Pokatzky: Aha, er wollte also auch was Neues dann schon wieder bauen?

Bernau: Er wollte was Neues machen, aber wollte zuerst mal nach Paris zurückgehen, es war nicht mehr ganz der Stil der Zeit, man konnte sich das nicht mehr so richtig vorstellen. Und vor allem ging es eben darum, man hatte eine neue Idee, die wollte man jetzt erfüllen! Und das ist der große Vorteil von demokratischen Planungsprozessen, wie wir sie heute ja wirklich weitgehend zumindest in Westeuropa beobachten, dass die Sachen sehr gut verankert werden.

Also, so eine Sache, wir brechen einfach mal ab, weil, passt uns nicht mehr, das gibt es eigentlich nicht mehr. Und das war, muss man sagen, in vordemokratischen Zeiten gar nicht so selten. Diese Projekte kennen wir eben alle gar nicht mehr, weil sie verschwunden sind!

Pokatzky: Jetzt die Finanzierung! Also, Versailles und dann natürlich die Erhaltung nicht nur dieses Riesenpalastes, der ja für den kleinsten deutschen Fürsten immer noch ein Vorbild war und wonach er strebte und was er nachbauen wollte, auch die Hofhaltung. Da kam ja irgendwann die Französische Revolution!

Wie ist die Finanzierung damals gewesen, die also Staaten ja auch fast bankrott machen konnte, und wie ist die Finanzierung heute? War damals das Geld immer schon da und heute müssen wir lauter Schulden machen, oder ist das zu einfach betrachtet?

Bernau: Das ist ein bisschen einfach betrachtet. Also, überhaupt die Idee eines verschuldeten Staates, eines dauerverschuldeten Staates ist schon eine sehr moderne Idee. Weil, sie geht ja davon aus, dass ich eine Gesellschaft habe, die über ganz lange Zeit extrem stabil ist. Das muss ja jemand finanzieren! Also, dieses berühmte "Wir hinterlassen unsere Schulden unseren Enkeln" heißt ja auch im Umkehrschluss: "Wir gehen davon aus, unsere Enkel haben genug Geld, um das zu bezahlen!" Das war in früheren Jahrhunderten durchaus mal anders. Da war das klassische Finanzierungsmodell entweder "Ich spare", das waren eigentlich nur kleinkarierte süddeutsche Kurfürstchen, die sich so was geleistet haben. Im Normalfall hat man die Steuern erhöht, ganz massiv, im Normalfall vor allem für die armen Leute.

Es gab immer das probate Mittel "Wir fangen einen Krieg an und hoffen darauf, dass wir den Krieg gewinnen, das heißt, wir können die andere Stadt plündern oder wir erheben so hohe Kriegskontributionen von unserem Gegner, dass der uns unsere Schulden bezahlt". Wenn das nicht ...

Pokatzky: Die Gründerzeit, die Gründerzeit, deutsch-französischer Krieg ...

Bernau: War ein klassisches Modell, das sozusagen ganz spät das noch mal probiert hat, wir stützen unsere Wirtschaft durch einen kräftigen Kapitalzufluss mit französischen Kriegskontributionen. Das letzte Mal, dass das richtig gescheitert ist in Europa, ist wahrscheinlich der deutsch-dänische Krieg gewesen, 1864, in dem hat Dänemark nämlich ziemlich genau so was probiert und ist daran bankrott gegangen.

Pokatzky: In Deutschlandradio Kultur unser Architekturkritiker Nikolaus Bernau über Großprojekte in der Vergangenheit. Es gab aber ja noch eine ganz andere Variante, und da kommen wir zur katholischen Kirche: Die Peterskirche in Rom wurde ja mithilfe des berühmten Peterspfennigs und dann auch dem Verkauf von Ablässen finanziert, der ja letztlich zur Reformation geführt hat. Also können Bauprojekte auch zu unglaublichen politischen Folgen führen!

Bernau: Sie können riesige politische Folgen haben. Der Peterspfennig war ja letztlich nichts anderes als eine Art freiwillige Steuer, genau so die Ablässe, könnte man mit etwas finanztheoretischem Hochblick als eine Art Steuer betrachten, auf die Zukunft gerechnet quasi. Und dieses Großprojekt war ein Projekt, in dem es darum ging, natürlich einerseits die Reformation zurückzudrängen, ganz klar, aber eben auch einen Machtanspruch darzustellen und darzustellen, wir sind die eigentlichen, also die katholische, die römisch-katholische Kirche, die dem Segen verhilft.

Also, Prestige hat im 20., späten 20. Jahrhundert, gerade in Deutschland - wir sind sehr protestantisch geprägt manchmal! - ein sehr schlechtes Ansehen. Prestige ist aber ein sehr vielfältiger Begriff, der heißt jetzt nicht nur "Wir wollen einen riesigen Bahnhof, sagen wir, in Stuttgart bauen", Stuttgart 21, der eigentlich der Stadtgröße gar nicht angemessen ist, aber dem Renommee, das die Stadt gerne haben möchte als Zentrum zwischen Budapest und Paris, eben voll entspricht dann doch! Prestige ist viel mehr, Prestige ist das, was will eine Gesellschaft von sich selbst, was wollen Bauherren von sich selbst!

Und da lohnt es sich oft, in Projekte zu investieren, die vollkommen verrückt sind auf den ersten Blick, weil, eine kleine Kirche zum Beispiel kann man auch relativ simpel finanzieren, aber eine große Kirche verkündet den Ruhm einer Stadt und damit kommen auch Investoren et cetera. Das ist immer die große Hoffnung beispielsweise bei der sozusagen modernen Kirche Elbphilharmonie, bei der ja auch die Hoffnung war: Wir bauen dieses Monster und kriegen dann neue Investoren nach Hamburg!

Pokatzky: Wenn wir jetzt über diese Sakralbauten reden, könnte da vielleicht sogar die These aufgestellt werden: Je mehr Prestige mit einem solchen Bauvorhaben verbunden ist, desto größer die Gefahr des Scheiterns? Ich denke jetzt an die Sagrada Familia in Barcelona, also diese römisch-katholische Basilika, da wurde mit dem Bau 1882 begonnen und 2026 soll er fertig sein!

Bernau: Zweifellos, also, man ...

Pokatzky: Und Kölner Dom, Kölner Dom, vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert!

Bernau: Und zwischendurch mit einer 400-jährigen Baustoppphase! Das hoffen wir jetzt für keines der moderneren Bauprojekte! Auch die Sagrada Familia hat übrigens zwischendurch fast 30 Jahre völlig ruhig gelegen, da ist ein Stein von links nach rechts bewegt worden, aber sehr viel mehr passierte da nicht.

Zweifellos, Prestigegründe, vor allem wenn sie nachträglich aufgesetzt wurden auf Projekte, sind ein zentrales Problem für aktuelle und moderne Bauprojekte. Wenn man nämlich mehr erreichen will mit einem Bauprojekt, als nur eine Notwendigkeit erfüllen.

Also, einen Flughafen kann man eigentlich an viel besserer Stelle bauen als, sagen wir mal, Schönefeld. Stuttgart 21 hätte viel simpler erledigt werden können. Eine große Konzerthalle kann man in Hamburg auch anders bauen als mitten im Sumpf des Elbtals.

Was man immer wieder beachten muss und was immer wieder auffällt bei den Projekten, die solche Kostenexplosionen haben, ist, dass es Projekte sind, bei denen mehr erreicht werden soll als der eigentliche Zweck. Der eigentliche Zweck kann ja auch reines Prestige sein, das ist ein Zweck, den man erreichen kann. Nehmen wir zum Beispiel den Petersdom, da ging es vor allem darum.

Pokatzky: Oder der Zweck kann sein, über eine Brücke zu führen wie die Tower Bridge in London, ein Zweckbau, gab es früher auch!

Bernau: Ein Zweckbau, der nebenbei eben ein wunderbares Prestige erfüllt hat! Nur, wenn wir jetzt, sagen wir mal, ein ganzes Stadtbauprojekt haben wollen wie in Stuttgart, wo ja ein ganzes Stadtviertel neu entwickelt werden soll, oder eine ganze Region ihre gesamten wirtschaftlichen Hoffnungen daran hängt, dass ein Flughafen gebaut wird, dann sollten wir immer sofort aufachten und sagen, hallo, ist das nicht zu viel, kann da nicht automatisch, um dieses Projekt doch noch durchzurechnen, die Sache deswegen runtergerechnet werden, sodass wir sie irgendwie finanzierbar kriegen?

Und dann kam garantiert am Ende des ganzen Planungsprozesses die Kostensteigerung! Das haben wir immer wieder als Beobachtung! Zu viel Aufgaben für ein Projekt führen dazu, dass es zu teuer wird!

Pokatzky: In Berlin muss man aber nie so rechnen, in alten Zeiten, als die Mauer noch stand, kam jede zweite Markt aus dem Bonner Bundeshaushalt. Letzte Frage, und nur eine Zahl bitte nennen: Wann ist der Flughafen Berlin-Brandenburg fertig?

Bernau: 2015 auf jeden Fall!

Pokatzky: Das war Nikolaus Bernau, unser Architekturkritiker über Großprojekte in Vergangenheit und Gegenwart!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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