Hauptsache in Bewegung bleiben

Von Gerhard Richter · 06.07.2012
Das niedersächsische Landesamt für Ökologie (NLÖ) ist vor Jahren der Verwaltungsreform zum Opfer gefallen. Es wäre wahrscheinlich längst vergessen, gäbe es nicht den Ö-Chor: Der Mitarbeiter-Chor des ehemaligen Amtes singt und swingt immer noch.
"Das war ein prächtiges Amt seinerzeit. Sehr liberal, mit sehr guten, modernen Ideen zur Mitarbeiterförderung. Flache Hierarchien, wir standen alle voll dahinter, dass nur motivierte Menschen gute Arbeit machen und das hat sich auf uns übertragen."

Waldemar Bülow schwärmt noch heute vom NLÖ, dem niedersächsischen Landesamt für Ökologie. Dort hat er Gewässer- und Bodenproben analysiert - und gefeiert.

"Und zum zehnjährigen Jubiläum des Amtes schon mit Blick auf die etwas düstere Zukunft haben wir entschlossen, noch ne Riesenfeier zu machen. Dazu haben sich einige Gruppen spontan gegründet, unter anderem auch der Ö-Chor."

"Ja, irgendwie kam ein Rundschreiben, denk ich, na? Es gab ein Rundschreiben - und dann hab ich gesagt: Gerne! Ich sing gerne mit."

Brigitte Hans, Waldemar Bülow und die anderen Mitarbeiter des Amtes beginnen zu proben, texten Lieder um. Damals noch unter der Leitung einer echten Frontfrau.
"Unsere erste Chorleiterin war Amerikanerin. Opernsängerin , aber mit dieser amerikanischen Unternehmerpower. Und die hat uns sehr mitgerissen und diesen Stil so auch ein bisschen in uns geprägt, auch wenn das schwer für uns ist, weil wir nicht so frei sind, wie sie halt durch ihre lange Bühnenerfahrung. Und uns daran gewöhnen mussten auch mal ein bisschen lächerlich aufzutreten oder so. Aber diesen Samen hat sie schon in uns eingepflanzt."

Der erste Auftritt in der Fahrzeughalle des Amtes ist so hinreißend., dass die Chorleiterin gleich weitermachen will.

"Und die hat gesagt, O.K. hört zu – Chöre gibt es viele in Hildesheim, aber nach ihrer Erkenntnis gab es wenig Chöre, die so ein bisschen die Unterhaltungsschiene bedienen wollten. Also die nicht nur das Publikum mit Gesangskunst beeindrucken wollten, sondern auch dafür sorgen, dass sie sich nicht so arg langweilen. Und da hat sie gesagt, wir machen so nen Showchor. Swing und Jazz und Gospels, was uns so vor die Flinte kommt."

Dazu bastelt der Ö-Chor fantasievolle Bühnenbilder und Kostüme. So bringen die Ökologen bei ihren jährlichen Showkonzerten eine Prise Broadway in die Aula der Realschule, wo sie gern auftreten.

Das Amt schließt, der Chor öffnet sich für neue Mitglieder. Und vor fünf Jahren wechselt die Chorleitung. Heute dirigiert Julia Schönleiter den Ö-Chor. Sie ist selbst Jazzsängerin und zusätzlich Gesangspädagogin. Jeden Montagabend arbeitet sie mit den 35 Sängerinnen und Sängern an Stimme und Klang.

"Ähm, ja, is ok. Lass mich kurz überlegen. Music is my life. Mach mal ah! Babymöwe.”

"Ah..ah..ah ... "

"Ich hab große Freude sie zu fordern und ihnen zu zeigen, was noch in ihnen steckt und was noch geht. Und gleichzeitig muss ich aber schauen, dass ich sie nicht überfordere, also sie nicht stresse oder es zu langweilig wird, wenn es zu viel Technik wird."

"Weiter aus der Probe

"O.k?"

"Music is my life. My life!”

"Also, dass find ich auch sehr schön am Ö-Chor, weil die machen viele schöne Scherze mit. Und also das Schlagerkonzert haben wir glaub ich letztes Jahr gemacht und da haben sie sich auch schrill bunt angezogen. Da war halt die Ansage bunt und Pailletten und das haben sie durchgezogen und das war einfach superspaßig."

Nach der Gesangsprobe klappt Julia Schönleiter den Notenordner zu und geht. Jetzt feilt der Chor noch eine halbe Stunde an den Choreografien. Birgit Bülow, die vorher im Alt gesungen hat, versucht nun, den Chor zum Tanzen zu bringen.

"Na das lockert unheimlich auf. Na man merkt das, wie das beim Publikum ankommt. Ist einfach toll. Da kann man auch so ein paar schiefe Töne dabeihaben – Hauptsache man bewegt sich – dann ist die Stimmung gut."

"Und ganz zum Schluss wird’s wieder kompliziert. Rechts hinten, oben links vorne unten. Auf ‚Cabaret’."

35-Jährige und Rentner üben die Bewegung: Arm hoch, Bein nach hinten. Jeder schaut noch unsicher zum Nebenmann.

"Na die Defizite sind bei der Präzision. Also wenn man Choreografie macht – finde ich – dann muss das wirklich auch gleichmäßig und gleichzeitig passieren. Und da hakt es so ein bisschen. Und die Männer, na ja, die sind der Problemfall bei der Choreografie, aber die sind schon gut geworden."

Zum Jubiläumskonzert bringt der Ö-Chor seine Lieblingslieder auf die Bühne, aufgepeppt mit frischen Show-Elementen. Berthold Jandel, einer der Tenöre freut sich schon auf den Auftritt, noch mehr als vor zehn Jahren.

"Es hat - glaub ich - jetzt keiner mehr irgendwelche Hemmungen auf der Bühne, irgendwas an sich Lächerliches zu machen, um das Publikum zu unterhalten. Das ist schon ne tolle Sache und das macht Spaß."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.

Links bei dradio.de:
Der Kirchenchor Kerpen-Manheim hat ein Ablaufdatum
Chor der Woche: Der Gemischte Chor Ludwigsfelde
Chor der Woche: Der Zamirchor Bayreuth
Chor der Woche: Berliner Kneipenchor
Chor der Woche: Die "Trivias" aus Köln
Der Ö-Chor aus Hildesheim bei einem Auftritt im Jahr 2011.
Der Ö-Chor aus Hildesheim bei einem Auftritt im Jahr 2011.© privat