Haseloff schließt Steuersenkung aus

Reiner Haseloff im Gespräch mit Susanne Arlt und Heidrun Wimmersberg · 23.07.2011
Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff, hat Einkommensteuersenkungen als "nicht denkbar" bezeichnet. So hätte der Staat während der Finanzkrise prinzipiell Steuererhöhungen vornehmen müssen, um Rechtsverpflichtungen zu sichern, erklärte der CDU-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: Unser Gesprächspartner ist heute Rainer Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.

Herr Haseloff, Sie werben ja für Sachsen-Anhalt als attraktives Reiseland, das sich nicht verstecken muss. Ist Ihr Land eigentlich so wenig bekannt, dass die Menschen nicht wissen, dass sie nicht nur durchfahren, sondern auch anhalten können?

Rainer Haseloff: Das Land ist bekannt, aber nicht unter dem Begriff Sachsen-Anhalt. Das ist für viele noch ein abstrakter, sehr schwer verortbarer Begriff. Wenn man aber Wittenberg sagt, Eisleben, Magdeburg, Halle, dann ist, denke ich mal, klar, dass man sich irgendwo im Herzen und dem mittleren Teil Deutschlands befindet, zumindest im mittleren Teil des heutigen Ostdeutschlands. Ich glaube, dann weiß man schnell was mit anzufangen.

Deutschlandradio Kultur: Wo sind denn die wirklich attraktiven Urlaubsorte in Sachsen-Anhalt?

Rainer Haseloff: Nach wie vor fährt ein Drittel aller Besucher in den Harz, der Harz selber ist ne Marke für sich, mehrheitlich sogar und mit steigender Tendenz in den Ostharz, also in den Teil, der in Sachsen-Anhalt liegt. Das sind natürlich im Bereich des Harz-Vorlandes Städte wie Quedlinburg, Halberstadt für sich schon allein sprechend, aber auch Stollberg, Wernigerode. Das sind natürlich im Zusammenhang mit Thale und auch den Höhen, die wir da zu bieten haben, viele attraktive Punkte mit benannt.

Deutschlandradio Kultur: Sie waren ja jetzt bis März ja auch Wirtschaftsminister in Magdeburg und ja da für den Tourismus schon zuständig. Hat’s denn bisher mit der Werbung nicht so geklappt?

Rainer Haseloff: Doch, wir hatten ja eine eigene Investitions- und Marketinggesellschaft, die nach wie vor intensiv wirbt, aber es ist so, dass Sie, wenn Sie neue Produkte oder neue Marken in den Markt hineinbekommen wollen, aber auch halten wollen, ständig arbeiten müssen. Es ist nicht so, dass die Ostsee oder die Bayerischen Alpen Selbstläufer sind. Sie sind natürlich wesentlich etablierter und sind natürlich die Kernbereiche auch der Urlaubsnachfrage in Deutschland. Aber auch dort muss man sich jedes Jahr was Neues einfallen lassen mit neuen, auch Kulturangeboten, auch Schlechtwettervarianten. Und so geht’s uns Newcomern genauso.

Deutschlandradio Kultur: Tourismus oder in Tourismus punkten ist ja eine Sache und den auszubauen, aber Sachsen-Anhalt hat sich ja auch vorgenommen, vor allen Dingen auch seine immensen Schulden abzubauen. Und da wollen Sie ja zusammen mit ihrem Koalitionspartner SPD dem Land ja auch einen harten Sparkurs verordnen, den Sie dann ja auch im Parlament im September debattieren werden. Und warum fängt das Land aber jetzt erst damit an?

Rainer Haseloff: Also, mit dem Schuldenabbau hat kaum ein Land in Deutschland begonnen, sondern wenn, dann ist es höchstens zeitlich mal befristet gelungen, keine neuen Schulden zu machen.

Der Bund macht bis 2016 durchgängig Schulden. Wir haben übrigens in den zwei Jahren vor der Wirtschaftskrise ebenfalls keine neuen Schulden gemacht. Das reicht aber für uns nicht. Für uns reicht, den Status quo zu halten, deswegen nicht, weil jeden Tag die Pro-Kopf-Verschuldung steigt, denn die Bevölkerungszahl sinkt. Das heißt, die vorhandene Schuldenmenge verteilt sich auf immer weniger Köpfe. Das ist ein ostdeutsches Phänomen. Deswegen sind wir gut beraten, jetzt einen Schlussstrich zu machen und wirklich jetzt den Hebel umzuwerfen.

Deutschlandradio Kultur: Sie und Ihr Finanzminister Jens Bullerjahn von der SPD wollen die Kabinettsmitglieder ja künftig härter an die Kandare nehmen. Künftig bekommen die Minister nämlich ihre Budgets vorgelegt und müssen sie dann selbst verwalten. Also, man kann nicht mehr justieren oder nachfordern. Sprich: Sie sind selbst für Einnahmen und Ausgaben verantwortlich. Versprechen Sie sich von dieser Taktik mehr Erfolg, nämlich auch dass die Kollegen die Sparziele dann langfristig besser durchsetzen werden?

Rainer Haseloff: Ich bin fast zehn Jahre in der Landesregierung und habe ja die anderen Aufstellungsmodalitäten erlebt. Und wenn man das von unten nach oben kommen lässt, das heißt, der Sachbearbeiter fängt an seine Wünsche aufzuschreiben, dann wissen Sie nachher zum Schluss, wenn Sie alles zusammenziehen, wie viel Milliarden Euro fehlen, um einen ausgeglichenen Haushalt zu machen. Und dieses Verfahren können wir uns nicht mehr leisten. Es ist auch methodisch falsch, weil nicht die richtigen Prioritäten gesetzt werden.

Für uns ist klar, nur das, was reinkommt, kann auch ausgegeben werden. Demzufolge ist die Gesamtsumme des Haushaltes nach oben limitiert. Ohne Schulden muss das Ganze dargestellt werden. Jetzt geht es darum, die richtigen Proportionen auf die richtigen Ressorts zu machen. Es gibt unabweisbare Leistungen im Kultusbereich, die Lehrer müssen bezahlt werden, und im Innenbereich, die Polizisten müssen bezahlt werden. Das ist klar. Darüber hinaus gibt es gestaltbarere Bereiche.

Deutschlandradio Kultur: Welche zum Beispiel?

Rainer Haseloff: Na zum Beispiel, wie viel Investitionsquote ich noch realisieren kann. Es ist immer gut, eine hohe Investitionsquote zu haben, aber jeder Euro, den wir aus Bundes- und europäischen Mitteln versuchen zu binden, muss auch kofinanziert werden. Das haben wir in den letzten Jahren mit Schulden gemacht.

Und die Frage ist: Sind die Investitionen so nachhaltig, dass man nach drei, vier Jahren das wieder refinanziert bekommt, oder ist es eine Infrastruktur, die geschaffen wurde, die eher dann noch dauerhaft Mehrkosten erzeugt durch die Unterhaltung, die man hat? Diese Überlegungen müssen jetzt in den Ressorts vorgenommen werden. Und deswegen ist mit der Eckpunktebeschlusslage, die wir jetzt haben, das heißt, jeder Minister weiß, wie viel er bekommt, von unten nach oben jetzt dieses Volumen auch belegbar mit entsprechenden Forderungen. Und da werden ganz andere Schwerpunkte gesetzt als das in der Vergangenheit der Fall war.

Deutschlandradio Kultur: Anfangs haben aber gerade die CDU-Kollegen darüber ein bisschen gemurrt, über die angedrohten Sparmaßnahmen. Und oft haben Sie auch gesagt, dass die CDU-Amtsinhaber viel mehr einsparen müssen als ihre SPD-Kollegen. Auch beim Koalitionsvertrag selber fanden ja einige Ihrer Parteikollegen, der trüge zu sehr die Handschrift der SPD. Das wurde ja anfangs doch sehr kritisiert. Warum kommen Sie eigentlich Ihrem Regierungspartner doch in so vielen Fragen so entgegen?

Rainer Haseloff: Also, erstens muss man sagen, der Koalitionsvertrag beschreibt den Änderungsbedarf gegenüber dem, was man hat. Das heißt, wenn es zum Beispiel – ein Stichwort – Gemeinschaftsschulen gibt, dann nur deswegen, weil es keine Regelschule ist, sondern eher die Ausnahme, und das Regelsystem das CDU-entwickelte System darstellt. Und so muss man das in den einzelnen Themenfeldern sich vorstellen, dass nur Modifikationen, Änderungen, auch leichte Änderungen niedergelegt wurden gegenüber dem Standardsystem, was nach wie vor deutlich unsere Handschrift trägt.

Und dass meine Kolleginnen und Kollegen aus der CDU am stärksten sich betroffen fühlten, hängt damit zusammen, dass wir uns immer, auch in den früheren Legislaturperioden um die investitionsintensiven und auch steuernden Ministerien bemüht haben. Das sind aber genau die Ministerien, die bezüglich des Finanzvolumens viele Beeinflussungsmöglichkeiten bzw. Freiheitsgrade besitzen, während eben ein Kultusminister weiß, dass er die Lehrer auf der pay roll hat, bezahlen muss und ein Innenminister auch seinen Polizeibestand für die nächsten Jahre bezahlen muss und da kaum Spielräume hat.

Aber ob ich einen Gewerbepark erschließe oder einen Kanal baue, das ist durchaus nach Kassenlage und nach Schwerpunktsetzung einer Bundes- oder einer Landesregierung frei übertragen, kann gegebenenfalls gestreckt werden. Und das muss an bestimmten Stellen auch getan werden.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn Ihre Fraktion und auch die CDU-Minister besänftigen können?

Rainer Haseloff: Wir haben natürlich erstmal harte Bandagen an alle Häuser angelegt. Das muss man klar sagen. Und logischerweise ist in den Bereichen, wo die Investitionen darzustellen waren, vor allem die Kofinanzierung, natürlich von einem niedrigen Stand verhandelt worden, weil diese Ministerien auch eine ganze Reihe von nachgeordneten Einrichtungen hatten und haben, die auch Erträge bringen, die oftmals überhaupt nicht Berücksichtigung fanden in der Gesamthaushaltsaufstellung.

Wenn man eigene Verwertungsgesellschaften besitzt, dann ist es die Frage, ob nicht dort ein gewisser Ertrag, wie es in der privaten Wirtschaft üblich ist, auch dem Eigentümer oder dem Zuständigen auch für den Haushalt oder für die weitere Verwendung zur Verfügung gestellt wird. Und das haben wir durch erstes Deckeldraufhalten durchaus erzeugt, dass plötzlich innovative Ideen kamen, wie man mit dem Eigentum umgeht – nicht im Sinne von Verkauf.

Das ist immer die Ultima Ratio und das hat man nur einmal im Haushalt. Und dann muss man sehen, wie man zukünftig Löcher stopft. Aber wenn man deutlicher auf die betriebswirtschaftlichen Verfahren Einfluss nimmt, die man im Zuständigkeitsbereich besitzt, kann man plötzlich zu Einnahmen kommen, die einen Haushalt besser darstellen lässt. Und das ist uns gelungen.

Deutschlandradio Kultur: Also, Sie verordnen Ihrem Bundesland jetzt einen harten Sparkurs. Gucken wir nach Berlin. Die schwarz-gelbe Bundesregierung denkt über Steuersenkungen nach, die aber gerade eher Besserverdienenden zugute kommt. Ist das eigentlich dem Sachsen-Anhalter noch vermittelbar?

Rainer Haseloff: Also, eine Steuernsenkung würde erst mal allen Lohngruppen zur Verfügung stehen, vor allen Dingen, wenn es um das Thema kalte Progression geht, was eine Ungerechtigkeit im System auch darstellt. Die Frage ist nur, ob dieses gut gemeinte Ziel, was man ja im Bereich der Spitzeneinkommen durchaus modifizieren kann, dass es also die unteren vor allen Dingen betrifft im positiven Sinne, ob dieses Ziel zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt gerechtfertigt ist.

Da gibt es für mich zwei ganz nüchterne Feststellungen. Erstens, der Bund will mindestens bis 2016 noch Schulden machen. Die Frage ist, ob man Schulden machen kann und parallel die Einnahmen reduziert. Es geht gar nicht erst mal um Steuern, sondern es geht um die Einnahmen, die ein Staat hat oder braucht, um vernünftig arbeiten zu können. Und das Zweite ist, ob es richtig ist, Einnahmen weniger zur Verfügung haben zu wollen und auf der anderen Seite aber in den letzten Jahren Schulden machen musste, damit man Steuererhöhungen vermeidet.

Denn eigentlich wäre in den Krisenjahren, wie in vielen Ländern, eine Steuererhöhung notwendig gewesen, um die Rechtsverpflichtungen zu sichern. Das haben wir dem Volk insgesamt und auch der Wirtschaft erspart. Stattdessen haben wir mit Schulden Konjunkturprogramme aufgelegt, die dazu geführt haben, dass wir am besten von allen Ländern auf dieser Welt durch die Krise durchgekommen sind.

Und jetzt geht es darum, diese Schulden einfach wieder auf Null zu stellen und das rezufinanzieren, was wir im Prinzip im Sinne einer Vorkasse in den letzten Jahren organisiert haben. Und deswegen ist eine Steuererhöhung sicherlich genauso wenig denkbar wie eine Steuerabsenkung derzeit. Unsere Verfahrensweise im Bundesrat steht fest.

Deutschlandradio Kultur: Denken Sie, dass es ein Geschenk ist an die Liberalen, die ja das fast als einziges Thema haben – Steuersenkung.

Rainer Haseloff: Geschenke kann man in der Politik nicht verteilen, zumal es sich ja um das Geld handelt, was Menschen erarbeitet haben, aufbringen und in Teilen zum Staat führen, damit der seine Aufgaben erfüllen kann. Und da kann man sich über die Höhe durchaus unterhalten. Sondern es ist legitim, wir im Lande regieren nicht mit absoluter Mehrheit, aber auch die CDU auf Bundesebene regiert nicht mit absoluter Mehrheit, und das heißt, man hat einen Koalitionspartner, der einem vom Wähler an die Seite gestellt wurde – mit ganz klaren programmatischen Zielstellungen, aber auch mit ganz klaren Vorstellungen, wie er ordnungspolitisch vorgehen möchte. Und deswegen ist es legitim, dass die FDP dieses Thema bringt. Die Frage ist nur, ob man es aufnimmt und wie man es generell einfängt.

Ich hab manchmal das Gefühl, wir haben ja auch mal mit der FDP regiert, dass man in bestimmten Phasen, wo man an der Fünf-Prozent-Hürde knabbert, die FDP manchmal vor sich selber schützen muss. Das heißt, für mich ist liberales Gedankengut im demokratischen Spektrum unersetzbar. Wir brauchen die FDP in der Demokratie. Die Frage ist nur, ob sich die FDP verkürzen lassen möchte auf Dauer mit dem Steuerthema oder ob es nicht andere Grundwerte gibt, wie Bürgerfreiheiten, wie Datenschutz und ähnliche Dinge, wofür man sich dort traditionell stark macht. Und das sind Themen, die derzeit unterbelichtet sind. Ich würde der FDP eine andere Profilierungsstrategie vorschlagen. Aber ich bin nicht Mitglied dieser Partei und deswegen halte ich mich da demütig zurück.

Deutschlandradio Kultur: Aber ein kleiner Vorschlag vielleicht?

Rainer Haseloff: Ein kleiner Vorschlag bestünde zum Beispiel darin, dass man eher, wenn man das Steuerthema zu Recht aufgreift, mal über die Unsinnigkeiten des Mehrwertsteuersystems nachdenkt, wo sogar vor dem Hintergrund einer Verfassung die Schwerpunkte völlig falsch gesetzt werden. Familien- und Kinderförderung muss immer vor Tiernahrung gehen, sag ich mal. Und da kann man – ohne dass es mehr kosten muss – einfach im System erstmal für Ordnung sorgen, um dann im nächsten Schritt, vielleicht im Jahre 2014/ 15 darüber nachzudenken, was man, wenn sich die Einnahmen weiter gut entwickeln, gegebenenfalls an Entlastung organisieren kann.

Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über die FDP geredet. Ich möchte nun gerne wieder zu Ihrer Partei, der CDU, zurückkommen. Die hat sich ja in den letzten Monaten, sagen wir mal, rasant neu orientiert. Ich nenne da nur ein paar Themen: also, Atomausstieg, weg von der Hauptschule, Abschaffung der Wehrpflicht. Kommen Sie bei diesem vorgelegten rasanten Änderungstempo überhaupt noch mit?

Rainer Haseloff: Also, ich komme da hervorragend mit, weil, wenn alles das so eintreffen würde, wie Sie es jetzt formuliert haben, ich in der falsche Partei bin. Sondern, erste Korrektur, wir sind nicht aus dem Ausstieg ausgestiegen und dann wieder ausgestiegen, sondern der Ausstieg aus der Atomenergie, der 2001 beschlossen wurde, der stand auch für die CDU immer als Grundentscheidung. Man war sich nur zu unterschiedlichen Zeiten uneins, in welchem zeitlichen Ablauf das erfolgt.

Und die gestreckte Variante ist wieder kassiert worden und auf die Ursprungsvariante zurückgeführt worden. Ich kann damit übrigens gut leben, weil, wir haben kein Atomkraftwerk, aber wir waren Kohleland. Und von dem Ursprungsbeschluss im letzten Herbst waren wir negativ betroffen, denn wir haben viele tausend Arbeitsplätze im Braunkohlebereich. Und die waren dadurch gefährdet und wären schneller vom Markt gekommen als uns das lieb gewesen wäre. Ich begrüße diesen Beschluss ausdrücklich vor dem Hintergrund unserer eigenen Energiepolitik und der Arbeitsplätze, die sehr stark mit fossilen Rohstoffen verbunden sind.
Und das andere Thema Bildung ist für uns ein Dauerbrenner. Es geht ja nicht darum das Gymnasium abzuschaffen, sondern einfach festzustellen, dass bestimmte Schultypen überhaupt nicht mehr nachgefragt werden, nur noch auf dem Papier stehen, aber nicht in der Realität eine Rolle spielen, wie zum Beispiel Hauptschule und Realschule, übrigens bei uns in Sachsen-Anhalt schon deshalb kein Thema, weil wir das in einer Schulform integriert mitführen und das immer als klassische CDU-Politik verstanden haben.
Und ich muss Sie noch mal nachfragen. Das dritte Stichwort?

Deutschlandradio Kultur: Wehrpflicht abschaffen.

Rainer Haseloff: Die Wehrpflicht, die haben wir nicht abgeschafft, sondern ganz im Gegenteil. Wir haben diese Wehrpflicht gegenüber anderen nur ausgesetzt. Das heißt, sie kann jederzeit aktiviert werden. Da es keine Wehrgerechtigkeit gegeben hat in den letzten Jahren, sondern nur noch ein Bruchteil eines Jahrganges überhaupt eingezogen wurde, musste etwas verändert werden. Man hat jetzt sozusagen ein Experiment gewagt. Man muss sehen, ob man auf der Basis der Freiwilligkeit dieses System aufrechterhalten kann.

Die Anfangsschwierigkeiten scheinen sich langsam aufzulösen, aber es muss auf jeden Fall jetzt mit der endgültigen Strukturreform eine Planungssicherheit für alle Beteiligten, auch für die nachfragenden Wehrpflichtigen dort herkommen, dass sie als frühere Wehrpflichtige überhaupt bereit sind, freiwillig in den entsprechenden Bundeswehrdienst einzutreten.

Deutschlandradio Kultur: Aber für einige Wähler, glaub ich, ist das schon eine recht sprunghafte Neuausrichtung gewesen von der CDU. Bleibt denn da eigentlich noch Raum für den Konservativen in Ihrer Partei?

Rainer Haseloff: Die Frage, die ich immer wieder jetzt gestellt bekomme, ist die: Warum verabschiedet ihr euch eigentlich von diesen CDU-Themen? Dann muss ich erstmal aus der Historie sagen: Die meisten Atomkraftwerke hat die SPD in dieser Bundesrepublik gebaut. Ich bin froh, dass in Sachsen-Anhalt mal geplante, in Stendal 1989/90 von der Planung her, von der Bauseite her unterbrochen wurde und abgerissen wurde.

Man muss mal wirklich ganz konsequent nachfragen: Was ist denn eigentlich existenziell originäre CDU-Grundlage, programmatische Grundlage? Das ist doch nicht ein Energiemix, der sich mit Braunkohle oder mit Atomenergie beschäftigen kann. Es ist auch nicht die Existenz einer Hauptschule, die nicht mehr in Anspruch genommen wird, sondern es ist doch ordnungspolitisch eine Wettbewerbsgesellschaft, die trotzdem sozial ausgerichtet ist, die sich auch christlichen Grundwerten verpflichtet fühlt, die die 10 Gebote durchaus noch ernst nimmt, dass man eben, sagen wir mal, eine stabile Partnerschaft eingeht, dass man Kinder groß zieht, dass man möglichst für diese Kinder die besten stabilen Rahmenbedingungen organisiert, dass man seine Frau nicht betrügt, sondern dass man schlicht und einfach ein Leben nach Grundwerten versucht zu führen – bei aller Fehlerhaftigkeit und Sündhaftigkeit, die mit dem menschlichen Dasein verbunden ist –, wo ich viel mehr Grundwerte mit verbinde, als ob ein Atomkraftwerk im Netz ist oder nicht.

Deutschlandradio Kultur: Aber an der Aussetzung der Wehrpflicht hat ja schon der eine oder andere Christdemokrat zu knabbern gehabt.

Rainer Haseloff: An der Aussetzung der Wehrpflicht haben deswegen einige zu knabbern gehabt, weil die berechtigte Angst da ist, was passiert, wenn ich eine Armee, die international eingesetzt wird, von ihrer Herkunft, von der Bevölkerung, vom Bürger und von der Bürgerin trenne bzw. die Gefahr einhergeht, dass ich sie nicht mehr real erlebe, auch dadurch, dass ich meine eigenen Söhne oder meine eigenen Töchter inzwischen ja auch dort in den Dienst schicke und weiß, was dort passiert, was man mit ihrem Schicksal macht, welche Einsätze man plant und ob das opportun ist oder ob das für mich nachvollziehbar ist.

Und diese Gefahr ist richtig formuliert, weil, wir haben in vielen Ländern ja durchaus Profiarmeen unterwegs und kennen auch durchaus negative Effekte. Und gerade mit unserer deutschen Vergangenheit sollte man, was den Einsatz einer Armee anbelangt, sehr, sehr sorgsam umgehen und sich immer am Grundgesetz orientieren.

Und dieser Wert an sich, nämlich dieses Grundgesetz, spielt natürlich an dieser Stelle für uns weiterhin auch eine Rolle. Und deswegen ist der Versuch, mit dieser Wehrungerechtigkeit, dass nur noch 20, 30 Prozent eines Jahrgangs überhaupt zum Zuge kamen und der Rest leer ausging oder nicht gefordert war und auf der anderen Seite trotzdem versucht wird, eine enge Verbindung zwischen Bundeswehreinsatzorten, Einsatzzielen und Gesamtgesellschaft zu organisieren, bleibt dieses Experiment spannend. Und deswegen ist es gut, dass wir nur ausgesetzt haben und jederzeit auch wieder zur Wehrpflicht zurückkehren können. Gegebenenfalls muss man dann ein dänisches Modell wählen, wo das Los entscheidet, wer eingezogen wird.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben das Thema Braunkohle schon gerade angesprochen, Herr Haseloff. Es gibt ja Pläne für ein neues Braunkohlekraftwerk in Profen in Sachsen-Anhalt. Dafür müssten aber eigentlich neue Tagebauflächen aufgeschlossen werden.

Rainer Haseloff: Diese Planungen gibt es ja schon viele Jahre, weil die MIBRAG als Eigentümer noch drei alte Kraftwerke besitzt, die unter heutigen Gesichtspunkten Dreckschleudern sind, teilweise aus der DDR-Zeit noch stammen und die auch ersetzt werden müssen.

Das Bergrecht ist ein eigenes Recht, was auch verfassungsmäßig rückgekoppelt ist, wo also auf der einen Seite Verpflichtungen mit diesem Rohstoff eingegangen werden im Sinne von Eigentum verpflichtet, aber auf der anderen Seite auch Rechte des Eigentümers dieses Rohstoffes sichergestellt sind. Und der tschechische Eigentümer hat Überlegungen dort zu investieren. Ob sie zum Tragen gebracht werden, muss man sehen.

Was wir auf jeden Fall brauchen in Sachsen-Anhalt, ist neben einem starken Erneuerbare-Energien-Bereich auf absehbare Zeit noch eine grundlastfähige Energieerzeugung. Und da das bei uns nicht Atomkraftwerke sind, können es nur Gas- oder Kohlekraftwerke sein. Und das ist inzwischen unbestrittene Philosophie in allen Bundesländern, die ja 16:0 auch im vorletzten Bundesrat sich zu dieser Strategie des Atomausstiegs bekannt haben.

Deutschlandradio Kultur: Aber wieso neue Kraftwerke, wenn ja jetzt schon mehr Strom in Sachsen-Anhalt produziert wird, als der Bürger überhaupt verbraucht?

Rainer Haseloff: Ganz im Gegenteil, wir haben immer noch 18 Prozent im Jahresdurchschnitt Atomenergie im Netz in Sachsen-Anhalt. Wir sind zwar über das Jahresmittel Exporteur, aber allein die Verfügbarkeit von Windstrom beträgt zwischen 1000 und 3000 Stunden im Jahr. Und ein Jahr dauert 9000 Stunden. Und in Zeiten, wo nicht die Sonne scheint oder der Wind nicht weht, brauchen wir Stromimport. Und deswegen kann man eigentlich ein Energieland wie Deutschland nur unter Summation aller einzelnen Komponenten der Energieerzeugung stabil sicherstellen.

Und deswegen ist es wichtig, dass wir sowohl Kohle- als auch Gaskraftwerke haben, die dauerhaft betreibbar sind, die zurückgefahren werden können, wenn die anderen Angebote hoch sind. Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten zu Speichermöglichkeiten anderer Art kommen als heute, physikalisch ist das sehr, sehr schwierig, dann kann sukzessive die fossile Einsatzseite zurückgefahren werden. Aber solange wir eben nicht ohne Stromsperren auskommen wollen, muss schlicht und einfach auf Kohle und auf Gas weiterhin gesetzt werden.

Wenn ich Atomkraft vom Netz nehme, das ist ein Sonderweg, den wir als einzige Nation auf dieser Welt bisher bereit sind zu gehen, es ist kein risikofreier Weg, aber ich bin optimistisch, dass wir das mit deutscher Ingenieurkunst und Investitionsbereitschaft und Investitionsfreude, vor allen Dingen auch im ländlichen Raum schaffen werden. Das setzt voraus, dass wir an vielen Stellen Kompromisse machen müssen, die wir jetzt zurzeit noch nicht bereit sind zu machen.

Das ist auch ein Wink an die Grünen, für die ich immer ein weites Herz habe, aber die sich im Sinne der Güterabwägung entscheiden müssen, worum geht es hier von der Prioritätenliste als Erstes.

Deutschlandradio Kultur: Heißt Kompromissmachen dann auch, dass es vielleicht dann doch auch Pläne gibt für ein neues Kohlekraftwerk zum Beispiel und dafür dann auch neue Flächen erschlossen werden müssen, was wiederum auch heißt, dass vielleicht auch irgendein Dorf von der Landkarte verschwinden wird?

Rainer Haseloff: Es ist so, dass diese Planungen ja schon Jahrzehnte alt sind, die Menschen, die dort leben, seit Jahrzehnten wissen, was an Abbauaktivitäten schon zu DDR-Zeiten dort geplant war. Und unsere Zielstellung ist, das haben wir der MIBRAG immer klar gesagt, dass die Kernortschaften unbeeinflusst davon bleiben sollten. Das ist also unsere Zielmarke, die wir gesetzt haben. Aber zum Beispiel war für mich immer tabu, dass wir im Bereich Lützen, wo auch die Gedenkstätten von Gustav Adolf sind und das Schlachtfeld, dass wir dort auch das alles erhalten lassen. Da wird man sogar ein größeres Gebiet außen vor lassen, damit sozusagen auch diese historischen Orte besichtigbar sind.

Genauso ist das Grab von Nietzsche in Röcken für uns tabu. Da gibt es klare Zusagen, dass man da nicht rangeht und dass wir auch nicht bereit sind etwas zuzulassen, was an diese Kernbereiche unserer deutschen Geschichte und der sachen-anhaltischen Geschichte rührt.

Deutschlandradio Kultur: Sie werben ja für Sachsen-Anhalt als Urlaubsland. Wir haben ja am Anfang des Gesprächs darüber gesprochen. Und da sind wir natürlich neugierig, wohin denn bei Ihnen dieses Jahr die Reise geht im Sommer.

Rainer Haseloff: Also, ich mache zweimal Abstecher außer Landes, und zwar nur stundenweise. Ich fahre nach Görlitz und schaue mir dort die Landesausstellung des Landes Sachsen an, und zwar Via Regia. Des Weiteren werde ich die Landesausstellung von Thüringen besuchen in Weimar, Franz Liszt gewidmet.

Ansonsten werde ich an unterschiedlichen Orten im Harz Urlaub machen. Ansonsten bin ich eine Woche zu Hause in Wittenberg, weil der Kindergarten geschlossen hat und meine Kinder nicht so lange Urlaub machen können. Und deswegen übernehme ich zwei der vier Enkel für fünf Tage und versuche sie als Großvater so vernünftig wie möglich zu betreuen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Haseloff, wir danken Ihnen für das Gespräch.