Haruki Murakami: "Die Ermordung des Commendatore. Band 2"

Ein Maler auf der schwierigen Suche nach der richtigen Kunst

Im Vordergrund das Cover von Haruki Murakamis "Die Ermordung des Commendatore. Band 2", im Hintergrund ein Ausschnitt aus einem experimentellen Kunstwerk, bei dem verschiedene Flüssigkeiten in Blau- und Grüntönen ineinanderfließen.
Haruki Murakami lässt in "Die Ermordung des Commendatore. Band 2" einen Maler auf Sinnsuche gehen. © Unsplash/Joel Filipe/ Dumont Verlag
Von Katharina Borchardt · 17.04.2018
Haruki Murakami wird immer wieder als Träger des Literaturnobelpreises gehandelt. Wird Teil 2 von "Die Ermordung des Commendatore" diesem Anspruch gerecht? Unsere Rezensentin ist nicht überzeugt.
Was ist ein gutes Porträt? Ein Bild, das die äußeren Merkmale eines Gesichts realitätsgetreu wiedergibt? Diese kunsttheoretische Frage treibt den 36-jährigen Erzähler in "Die Ermordung des Commendatore" um, dem Doppelroman von Haruki Murakami. Er ist Maler und hat bislang gutes Geld mit handwerklich soliden Porträts verdient, die allerdings keinen größeren künstlerischen Wert besitzen.
Doch gerät er in eine persönliche und auch in eine kreative Krise: Seine Frau verlässt ihn, er fährt eine Weile mit dem Auto durch Japan, bezieht das leerstehende Haus eines alten Malers und merkt, dass ihn seine Standardporträts nicht mehr zufriedenstellen. Erste Erfahrungen mit einer neuen Art des Malens macht er mit seinem rätselhaften Nachbarn. Davon, wie er diesen in seiner ganzen Eleganz unergründlichen Mann auf völlig neue Art porträtiert, erzählte der erste Band des Romans, an den der neue Band nun nahtlos anschließt. Jetzt tritt das Nachbarsmädchen Marie ins Zentrum der Geschichte.

Busenfixiert und kunsttheoretisch unbeleckt

Auch sie soll gemalt werden, allerdings ist der busenfixierte Maler von Sitzung zu Sitzung vor allem daran interessiert, ob wohl langsam eine Doppelschwellung unter dem Pullover der Dreizehnjährigen auszumachen ist. Doch so wenig sich ihm das unter Stoffschichten Verborgene enthüllt, tritt für ihn das wahre Wesen seiner Modelle zutage. Dabei müsse ein gutes Porträt doch genau diesen inneren Kern erfassen, wiederholt er ständig - von jeglicher Kunsttheorie völlig unbeleckt.
Künstlerisch reagiert er, indem seine Porträts ab sofort unscharf, abstrakt oder unfertig bleiben. Das ist logisch, aber nicht einfallsreich. Der arme namenlose Maler entkommt dem Gewöhnlichen nicht, auch wenn er seine Einsiedelei mit tiefenpsychologischen Bildern (im Garten entdeckt er eine vulvaartige Grube), mythologischen Verweisen (auf einer Reise durch die Unterwelt überquert er den Styx) und musikalischen Angaben (von Monk bis Mozart ist alles dabei) ausstaffiert.

Murakami entwickelt sich künstlerisch nicht weiter

Derlei Ingredienzien arbeitet Murakami gerne in seine Romanen ein, buchmarkttechnisch hat sich das bewährt. Dadurch aber gerät die profunde Frage "Was kann Kunst?" ins Abseits. Denn Murakami schafft es nicht, sich anhand seiner Hauptfigur ernsthaft mit ihr auseinanderzusetzen. Stattdessen erstickt er sie in einem Wust erzählerischer Redundanzen und bedeutungsvoll wirkender, aber völlig sinnfreier kulturgeschichtlicher Querverweise. Die fiktive Figur und der reale Autor scheitern.
Es gelingt Murakami mit seinem neuen Roman nicht, sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Wie sein Porträtmaler, der genau weiß, was sich gut verkauft, und der am Ende ebenfalls zum Altbekannten zurückkehrt, rührt Haruki Murakami hier bloß die Elemente - Mystik, Unterbewusstsein, Popkultur - zusammen, die man schon aus all seinen vorherigen Romanen kennt. "Die Ermordung des Commendatore" ist also kein Roman, den man unbedingt lesen muss.

Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore. Band 2: Eine Metapher wandelt sich
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Dumont Verlag, 492 Seiten, 26 Euro
Als Hörbuch: Ungekürzte Lesung von David Nathan. Hörbuch Hamburg, 11 CDs, 26 Euro

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