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Lianne La Havas
Auf den Flügeln von Gitarre und Gesang

Mit verzauberndem Vibrato in der Stimme singt die 1989 in London geborene Lianne La Havas über den Tod oder über Glück und Verzweiflung in Liebesdingen. Ihrem sparsam instrumentierten Debüt zwischen Folk, Soul und Jazz folgte 2015 das Grammy-nominierte Album "Blood".

Von Michael Frank | 26.06.2016
    Die britische Sängerin Lianne La Havas beim North Sea Jazz Festival 2015 in Rotterdam
    Die britische Sängerin Lianne La Havas beim North Sea Jazz Festival 2015 in Rotterdam (dpa / picture alliance / Paul Bergen)
    Musik "Midnight" (Solo-Version) - Lianne La Havas
    "Eines Tages wussten die Muskeln in meiner Hand einfach, was zu tun war. Aber erst nachdem ich ganz lange hart dafür gearbeitet hatte. Das geschah ganz plötzlich. Und dann entdeckte ich Dinge auf der Gitarre, die sich gut anfühlten, und auch gut klangen".
    Ihr Gitarrenspiel: filigran, leicht, mühelos. Doch auch ihr Gesang ist wichtiger Teil des Erfolges. Kaum vorstellbar, dass sie einmal falsche Töne singt.
    "I do. I just don't record the bum notes."
    Musik "Unstoppable" (Solo-Version) - Lianne La Havas
    Musik "Lost And Found" - Lianne La Havas
    "Lost And Found", der Titelsong von Lianne La Havas' allererster EP, veröffentlicht im Herbst 2011. Die Komposition entstand in Zusammenarbeit mit ihrem Produzenten Matt Hales, auch bekannt als Aqualung. Anders als viele weibliche Singer/Songwriter begleitet sich Lianne La Havas nicht auf einer akustischen Gitarre - sie spielt meistens auf elektrischen Gitarren, und das virtuos. Ungewöhnlich ist auch, dass sie sich von Anfang an nicht auf einen bestimmten Stil festlegen ließ. Lianne La Havas' sparsam instrumentiertes erstes Album oszilliert zum Beispiel zwischen Folk, Soul und Jazz. Es erschien im Sommer 2012 und schaffte es auf Platz 4 der britischen Album-Charts. Seither gewann sie durch viele internationale Tourneen ein immer größer werdendes Publikum für sich. Lianne La Havas ist auch im Internet sehr präsent: es gibt zahlreiche Videos von ihren Konzerten mit Band oder kammermusikalische Perlen nur mit einem Begleiter am Flügel und einer ebenbürtigen Backgroundsängerin. 2015 veröffentlichte sie das später Grammy-nominierte Album "Blood". Zu ihren Fans gehören u.a. Stevie Wonder und die Band Coldplay. Prince war so begeistert von dem Song "Lost And Found", dass er ihn einmal live coverte, was schließlich sogar zu gemeinsamen Plattenaufnahmen mit Lianne La Havas geführt hat. Und in einem Interview verglich er sie sogar mit Joni Mitchell – wegen ihrer Art eine Geschichte zu erzählen, und wegen ihrer interessanten Begleitakkorde auf der Gitarre.
    Musik "Green And Gold" (A-cappella-Version) - Lianne La Havas
    Lianne La Havas heißt eigentlich Lianne Charlotte Barnes. Sie wurde 1989 als Tochter einer Jamaikanerin und eines Griechen in London geboren. Ihre Eltern trennten sich, als sie zwei Jahre alt war, wegen der ungünstigen Arbeitszeiten der Mutter wuchs sie überwiegend bei ihren jamaikanischen Großeltern auf. Der Kontakt zum Vater blieb aber erhalten: von ihm, dem Hobby-Musiker und Multi-Instrumentalisten bekam siem musikalische Anregungen wie ihr erstes Mini-Keyboard oder griechische Volkslieder, die er ihr auf dem Akkordeon vorspielte. Ihre Mutter hatte jede Menge Soul-Platten im Schrank, die Lianne für sich entdeckte. Ihre absolute Lieblingssängerin ist aber die Jazz-Sängerin Ella Fitzgerald.
    Der Weg zum Gesang
    Mit sieben Jahren sang Lianne La Havas einen Song aus dem Film "Sister Act 2" vor sich hin und entdeckte dabei, wie gut sich das anfühlte. In einem Interview sagte sie, das Besondere beim Singen wäre die Erfahrung, wie sehr das ein Teil von einem selber, vom eigenen Körper ist. Als Kind dachte sie, Singen wäre etwas Ungezogenes, so als ob sie sich selbst entblößen würde. Deshalb achtete sie immer darauf, dass ihr ja niemand dabei zuhörte, und wenn dann doch jemand etwas davon mitbekam, war ihr das sehr peinlich.
    "Als ich das erste Mal sang, war das einfach ein gutes Gefühl. Ich wusste nicht, was genau ich da tat, aber es fühlte sich eben sehr gut an. Also habe ich immer gesungen. Ich war damals ungefähr sieben Jahre alt. Ich hatte lange Zeit keine Ahnung, wie meine Stimme für andere Leute klang, erst mit 15 hörte ich das erste Mal eine Aufnahme von mir. Ich nahm damals ein paar Songs für ein Medienprojekt von Freunden auf. Aber meine Stimme klang damals nicht gut, weil ich noch nicht meine eigene Stimme gefunden hatte. Ich habe andere kopiert und versuchte, meine eigene Stimme zu finden. Erst auf der weiterführenden Schule und durch den Chor dort bekam ich mehr Selbstvertrauen."
    Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Lianne La Havas' Selbstbewusstsein spielte ihre Musiklehrerin.
    "Für den Chor musste man eine Aufnahmeprüfung machen. Ich war da allein nur mit meiner Gesangslehrerin, sie ist übrigens noch heute meine Gesangslehrerin. Ich habe ihr ein Lied von dem Album "Sincere" von MJ Cole vorgesungen, "Hold On To Me". Ungefähr nach der Hälfte unterbrach sie mich und fragte: "Wo hast Du die ganze Zeit diese Stimme versteckt?" Ich war damals etwa 13 Jahre alt. Sie kannte mich da schon seit drei Jahren. Ich hatte bei ihr schon Musikunterricht gehabt, aber noch nie etwas vorgesungen. Nach der Aufnahmeprüfung für den Chor bekam ich Gesangsunterricht von ihr, zweimal in der Woche sang ich im Chor, ich habe bei Wettbewerben mitgemacht – mit dem Chor und als Solistin. Das waren dann so Songs aus Musicals. Es brauchte dann noch bis zum Ende meiner Schulzeit, bis ich als Sängerin genug Selbstbewusstsein hatte. Damals fing ich auch an, selber Songs zu schreiben".
    Lianne La Havas damalige Unsicherheit in Bezug auf ihre Stimme ist heute kaum nachzuvollziehen. Viel von deren Anziehungskraft liegt in ihrem unaufdringlichen aber berührenden Vibrato. Dessen Ursprung scheint aber selbst für Lianne La Havas ein Mysterium zu sein.
    "Das Vibrato in meiner Stimme war immer schon da. Ich weiß nicht, wieso. Meine Gesangslehrerin hat versucht mir beizubringen, ohne Vibrato zu singen. Das hat auch was für sich, du wirst eine bessere Sängerin, wenn Du Dich nicht nur auf das Vibrato verlässt. Ich kann mein Vibrato nicht erklären, aber es fühlt sich gut an beim Singen."
    Musik "Wonderful" (Solo-Version) - Lianne La Havas
    Erfahrungen mit mehrstimmigem Gesang machte Lianne La Havas schon während ihrer Schulzeit im Chor, und später zu Beginn ihrer Karriere als Backgroundsängerin, u.a. bei Paloma Faith. Die ganz besonderen Gesangsharmonien in ihrem Song "Don't Wake Me Up" haben aber einen anderen Ursprung.
    "Matt Hales hatte eine Software mit einem besonderen Klangeffekt für die Stimme. Die Software hat sie in mehrere Gesangsharmonien aufgeteilt, so dass sie wie die von einem Computer klang. Ich habe dann vorgeschlagen, die einzelnen künstlichen Stimmen zu isolieren und selber in echt einzusingen. Und dann haben wir sie alle miteinander kombiniert. Das war schon komisch: normalerweise käme ich nie auf solche Gesangsharmonien. Die musste ich erst noch üben. Echt witzig, sowas."
    Musik "Don't Wake Me Up" - Lianne La Havas
    Wenn Lianne La Havas ihre Lieder live singt, schließt sie oft die Augen, sie wirkt so, als ob sie ihre Songs jedes Mal neu erlebt. Manchmal, wenn sie auf einer großen halbakustischen Gitarre von Gibson spielt, verschwindet die zierliche Person fast hinter dem Instrument. Es gibt aber auch Momente, in denen sie auf der Bühne ausgelassen tanzt. Sie ist also nicht nur introvertierte Musikerin und beim Interview lacht sie auch gern.
    Die Gitarre – eine späte Entdeckung
    Lianne La Havas sagt, sie habe ihre ersten eigenen Songs schon mit 11 Jahren geschrieben, sich aber erst Jahre später getraut sie anderen zu zeigen. Zu diesem Zeitpunkt begleitete sie sich noch auf dem Klavier. Die Gitarre entdeckte sie erst später für sich, mit 18. Bis sie ihren ersten Vertrag von einer Plattenfirma angeboten bekam, sollten dann nur noch zwei weitere Jahre vergehen. Was ihr Gitarrenspiel angeht eine wirklich steile Lernkurve:
    "Als ich noch klein war, hatte ich gar nicht so ein großes Interesse an der Gitarre, weil ich so fasziniert vom Klavier war: das war so elegant, außerdem sah man einfach mehr Frauen, die Klavier spielten, als Gitarristinnen. Und so einen schönen Sound zu machen, das gefiel mir. Und dann kam Alicia Keys groß raus, und genau so wollte ich sein. Mit 18 sang ich dann mit zwei Freundinnen in einer Band, mit Roxanne und Sharleen. Die gingen auf eine Hochschule für Darstellende Künste, und beide spielten Gitarre. So wie Sharleen hatte ich noch nie einen Mann, geschweige denn eine Frau, Gitarre spielen sehen. Das war fantastisch. Sie war also der Grund für mein plötzliches Interesse an der Gitarre. Und es schien so, als ob jeder, mit dem wir zu tun hatten, Gitarre spielen konnte – außer mir. Also dachte ich mir, das muss doch machbar sein. Ich habe also meinem Vater gesagt, ich glaube, ich will Gitarre spielen lernen, und er hat sich riesig darüber gefreut. Ich hatte nämlich eine Zeit lang auch mit dem Schlagzeug geliebäugelt, und das hat ihm nicht so gut gefallen. Wir haben dann sofort auf ebay eine Gitarre gekauft, und haben sie abgeholt. Mein Vater hat mir alles, was er konnte, auf der Gitarre beigebracht. Er hat ein exzellentes Rhythmusgefühl, und er kann alles Mögliche spielen. Mir gefiel das dann viel besser als Klavier zu spielen.
    Mit beeindruckender Lässigkeit spielt Lianne La Havas heute auf der Gitarre komplexe Begleitfiguren zu ihren Songs zwischen Pop, Soul, Jazz und Folk. Wenn sie davon erzählt, wie sie eine bestimmte Klangvorstellung in die Spielpraxis umsetzt, könnte man zunächst meinen, dass das nicht allzu schwer wäre.
    "Irgendwie hörst Du in Deinem Kopf, was Du tun willst – und dann siehst Du zu, dass Du das auch hinbekommst. Die Rhythmen, die ich oft verwende, denke ich mir sozusagen selber aus, aber sie basieren auf dem, was ich mal gelernt habe. Das allererste, was ich auf der Gitarre gelernt habe, war z.B. eine Zupftechnik, die man "Clawhammer" nennt. Die gibt es in vielen verschiedenen Varianten. Bei der, die ich gelernt habe, schlägt man die Saiten mit dem Daumen und zwei weiteren Fingern der rechten Hand an. Man muss den Rhythmus ziemlich schnell spielen, so was hört man oft in Country 'n' Western-Musik oder im Folk. Das habe ich dann ewig lang geübt, bis es im Gedächtnis meiner Hand gespeichert war. Und dann wollte ich mit dieser Spieltechnik einfach einen Song schreiben. Sobald ich diese Technik beherrschte und alle Grundakkorde mit leeren Saiten kannte, entstand ein Song. Und dann musste ich üben, bis ich den Song im richtigen Tempo spielen konnte und in der Lage war, gleichzeitig darüber die Melodie zu singen. Und daraus entwickelten sich all die anderen Songs."
    Musik "Fairytale" Lianne La Havas
    "Gleichzeitig zu spielen und zu singen ist immer noch ziemlich anspruchsvoll, manche Songs sindbesonders schwierig, zum Beispiel, wenn sie in einer ungewöhnlichen Taktart stehen, wie "Is Your Love Big Enough". Bei der Aufnahme habe ich den Gitarren-und Gesangspart getrennt aufgenommen. Für Live-Auftritte musste ich das dann erst noch üben, aber inzwischen ist das in Fleisch und Blut übergegangen. Man muss einfach an den Punkt kommen, an dem alles synchron läuft."
    Musik "Is Your Love Big Enough" - Lianne La Havas
    Das war der Song mit der ausgetüftelten Gitarrenbegleitung im 6/8-Takt, für den Lianne La Havas noch einmal extra üben musste, damit sie bei Auftritten gleichzeitig dazu singen konnte. Er heißt "Is Your Love Big Enough" und ist der Titelsong ihres Debutalbums. Die Frage, ob Du genug Liebe im Herzen hast, sagt sie, richtet sich nämlich an einen selber, es ist die Frage, ob Du Dich selbst genug liebst. Dann kann man nämlich auch andere lieben. Auch dieser Song von Lianne La Havas hat autobiographische Züge. Ihre erste Reise nach New York, gab ihr die Fähigkeit wieder zurück, sich selbst zu lieben. Der Song schildert glückliche Erlebnisse in New York beim Tanzen, in der U-Bahn, und den identitätsstiftenden Moment eines Gitarrenkaufs. 2011 entdeckte sie ein kleines Musikgeschäft in der Lower East Side. Sie hatte etwas Geld für eine besondere Gitarre gespart und der Verkäufer empfahl ihr ein gebrauchtes Instrument der Firma Danelectro, ein Silvertone-Modell aus dem Jahr 1964, eine Gitarre, auf die sie selber nie gekommen wäre - und sie passte einfach perfekt zu ihr. Daraus entstand die Zeile "I found myself in a second-hand guitar" in ihrem Song "Is Your Love Big Enough". Lianne La Havas' Fähigkeiten als Gitarristin entwickelten sich trotz steiler Lernkurve nicht über Nacht. Sie übte jeden Tag mindestens drei Stunden.
    "Ich hatte ja sonst nichts anderes zu tun. Ich ging nicht mehr zur Schule und habe als Background-Sängerin gearbeitet, aber ich hatte nicht allzu viele Jobs. Irgendwie war ich auf der Suche, ich wusste nicht, wo es hingehen sollte, aber ich spielte schrecklich gern Gitarre. Ich hätte ein Studium anfangen können, entschied mich aber dagegen, und spielte einfach und komponierte. Ich sah mir auch viele Konzerte an und lernte Leute kennen, die etwas mit Musik zu tun hatten. Und dabei entdeckte ich eine Welt, von der ich noch keine Ahnung hatte."
    Beginn der Karriere
    Statt einer ursprünglich anvisierten Ausbildung zur Kunstlehrerin wurde nun also Musik das Wichtigste in ihrem Leben. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich selbst in ihrer Musik auszudrücken, und das ging nicht als Begleitsängerin. Ihr erster Auftritt mit eigenen Songs fand in einem Londoner Pub statt. Später gründete sie zusammen mit Christian Pinchbeck das Duo "Paris Parade". Fast ein ganzes Album produzierten die beiden, zu einer Veröffentlichung kam es aber nicht, nicht einmal im allwissenden Internet lassen sich bis jetzt Klangspuren des Duos finden. Im Dezember 2009 erhielt Lianne La Havas von einer großen US-amerikanischen Plattenfirma ein in der Branche heutzutage äußerst seltenes Angebot, sie war damals 20 Jahre alt. Sie überlegte eine Weile und unterschrieb ein halbes Jahr später eine Art Entwicklungsvertrag bei dem Label. Teil des Vertrages war auch, dass Lianne La Havas schon etablierte Musiker bzw. Produzenten als Songschreibepartner zur Seite gestellt wurden.
    "Sie haben mir 12 Monate Zeit gegeben und Geld, und dafür sollte ich fünf zu Ende produzierte Aufnahmen meiner Songs liefern. Wenn sie ihnen gefielen, bekäme ich einen Vertrag für ein ganzes Album. Ich habe das Angebot angenommen, und jetzt habe ich schon zwei Alben veröffentlicht. Den Vertrag bekam ich bei der Hauptfirma in den USA, aber dann hat der Manager, der sich dort um die Acts kümmerte, einen Posten bei einer anderen Firma angenommen, der mehr seinen Interessen entsprach. Wir sind aber immer noch gute Freunde. Ich tappte dann eine Weile im Dunkeln, weil ich nicht wusste, ob sie meine Songs mochten, nur bei einem war klar, dass sie ihn gar nicht mochten. Den liebte ich aber heiß und innig. Da stimmte irgendetwas nicht. Aber letztlich ging es doch gut aus und der Song kam auf die Platte. Nach diesem Fegefeuer rief mich eines Tages meine britische Anwältin an, und sagte mir, dass die dortige Abteilung von Warner Brothers mir einen Vertrag für das ganze Album geben wollte. Jemand von der Firma hatte mich des öfteren live gesehen, getroffen habe ich ihn nur einmal, aber er hat halt meine Entwicklung beobachtet, und er hat mich unter Vertrag genommen, und dann haben wir das Album "Is Your Love Big Enough" gemacht."
    Musik "Ghost" - Lianne La Havas
    "Ghost" heißt dieser Song von Lianne La Havas zweitem Album. Sie meint, er hätte sich von selber geschrieben, als sie vor sich hin klimperte.
    "Ich stellte mir so vor, wovon der Song handeln könnte, und dann fielen mir die Melodie und die Begleitakkorde gleichzeitig ein, ich ließ das einfach passieren. Die Textzeilen hatte ich schon lange vorher fertig, also wusste ich ungefähr, was ich vorhatte. Letztlich wurde daraus ein Song über einen früheren Partner. Es geht darum, dass man schon noch Kontakt zu ihm halten, aber nicht mehr mit ihm zusammen sein will. Aus irgendeinem Grund geht er Dir nicht aus dem Kopf. Der Song heißt "Geist", weil es so war, als ob die vergangene Beziehung die zum neuen Partner heimsucht. Man möchte sich irgendwie davon befreien, aber dann lässt man es auch wieder zu."
    "Blood" heißt das Album von Lianne La Havas, auf dem der Song "Ghost" zu finden ist. Ein anderer Song dieser Platte heißt "Never Get Enough", wieder ein Lied, das von einer neuen Gitarre inspiriert wurde. Lianne La Havas hatte sich in Los Angeles ihre erste klassische Gitarre mit Nylon-Saiten gekauft und war von deren Klang so begeistert, dass sie direkt damit aufnehmen wollte. Und dann fielen ihr im Studio die Akkorde eines ihrer Lieblingssongs ein.
    "Ich habe die Akkorde aus einem Song von jemand anders, das habe ich aber erst später gemerkt. Ich wollte sie schon immer mal für einen Song von mir verwenden. Und das war die Gelegenheit dazu. Ich habe den Song in Amerika zusammen mit dem Produzenten Mark Batson geschrieben. Ich sang so eine kleine Melodie über die Akkorde, und plötzlich hörte ich in meinem Kopf ein Riff, das gut zu den Akkorden passte. Ich beschrieb Mark die Noten und bat ihn, sie genau in dem Rhythmus, der mir durch den Kopf ging, einzuspielen. Ich habe ihm auch gesagt, welche Klangfarben und andere Elemente ich noch in dem Song haben wollte. In Popsongs unterscheiden sich normalerweise der Refrain und die Strophen sowieso, und ich war bei dem Song "Never Get Enough" ganz fest davon überzeugt, dass man dann den Refrain hier auch wirklich ganz anders gestalten sollte. Solange es zur ursprünglichen Akkordfolge passt, kann man alles damit anstellen. So entstand dieser wunderbare Kontrast von Klangfarben und Strukturen. Und dazu habe ich dann den Rest des Songs komponiert."
    Die britische Sängerin Lianne La Havas beim Brit Awards 2015.
    Die britische Sängerin Lianne La Havas beim Brit Awards 2015 (dpa / picture alliance / Facundo Arrizabalaga)
    Für Außenstehende ist der musikalische Gedankenaustausch im Studio immer etwas Geheimnis-umwoben. Wie haben Lianne La Havas und Mark Batson den Refrain von "Never Get Enough" entwickelt - ganz konkret?
    "Ich habe ihm das Riff, das mir durch den Kopf ging, vorgesungen, weil ich es noch nicht selber auf der Gitarre spielen konnte, und er stand sowieso schon am Keyboard. Und dann habe ich noch gesagt, das Riff braucht einen Klang, der sich mehr wie eine Flöte anhört. Und zusätzlich noch etwas, das nach Bass und irgendwie knurrend klingt. Und oben darüber einen dünnen Klang wie von einem Kazoo. Und Mark hat sich alle Mühe gegeben, das umzusetzen, was ich gemeint hatte."
    Musik "Never Get Enough"- Lianne La Havas
    Dreckig verzerrter, lauter Hard-Rock-Refrain versus leise zerbrechliche Strophe – stärkere Kontraste als in diesem Song von Lianne La Havas zweitem Album gibt es bisher in keinem anderen ihrer Stücke. Vielleicht ist es jetzt aber auch nicht mehr so eine große Überraschung, dass sie als Teenager eine Weile lang ein großer Fan von Bands wie Limp Bizkit oder Slipknot gewesen war. Den textlich und musikalisch wohl schönsten Song ihres zweiten Albums hat sich Lianne La Havas für das Ende der Platte aufgespart. Er trägt den Titel "Good Goodbye". Darin heißt es:
    "Es gibt so viele Erinnerungen, die können nicht alle verlorengehen. Niemand geht so ganz von Dir. Ich brauche keinen Glauben, keine Wahrheit, keiner geht so ganz. Du würdest sagen, mehr als dieses Leben ist da nicht, und jedesmal wenn Du blinzelst, würdest Du etwas von diesem Leben voller Wunder verpassen. Und ich frage bloß, warum Du denn jetzt schon gehen musst." "Good Goodbye" von Lianne La Havas endet mit den Worten: "Ich brauche keinen Glauben, ich will nur einen Beweis."
    ""Good Goodbye" habe ich für den Großvater meines Freundes geschrieben. Ich war am Ende seines Lebens oft bei ihm. In so einer Zeit, wenn Du weißt, dass jemand bald gehen wird, wird Dein Glaube auf eine harte Probe gestellt, das ist bei vielen Leuten so. Ich selber bin nicht religiös, der Großvater von meinem Freund auch nicht. Der Song sollte ihm gerecht werden, das ausdrücken, was er zu bestimmten Dingen gesagt hätte, und wie er sich fühlte. Aber es ging auch ganz allgemein darum, dass man dafür sorgen soll, seinen Nächsten zu zeigen, dass man sie geliebt hat, damit daraus ein guter Abschied wird."
    Musik "Good Goodbye"- Lianne La Havas
    "Good Goodbye", ein ruhiger Song von Lianne La Havas zweitem, ansonsten eher groove-orientierten Album "Blood" . Als sie ein paar Monate nach dessen Veröffentlichung im Sommer 2015 über die Platte sprach, lag ihr die stilistische Weiterentwicklung seit ihrem kammer-musikalischen Debutalbum aus dem Jahr 2012 besonders am Herzen. Lianne La Havas' zweites Album und die Zukunft
    "Ich möchte einfach nicht immer nur dasselbe machen. Das erste Album klingt so, wie es für meine erste Platte damals richtig war. Aber jetzt habe ich mehr Produzenten als Freunde, und mehr Erfahrungen gesammelt, und ich wollte auch, dass ich beim Komponieren dazulerne, und ich glaube auch, dass meine Songs jetzt etwas erwachsener klingen. Ich wollte immer schon Beats und Rhythmen ausprobieren, und bei dem zweiten Album "Blood" hatte ich die Gelegenheit dazu. Aber es sind auch noch genügend andere Möglichkeiten geblieben, die ich für mein drittes Album erforschen kann. Ich hoffe sehr, dass ich sobald wie möglich damit anfangen kann. Es wäre toll, wenn ich 2017 etwas Neues veröffentlichen könnte."
    Für ihr zweites Album "Blood" hatte Lianne La Havas mit diversen Produzenten zusammen gearbeitet, die für die Sängerinnen Adele und Alicia Keys tätig waren. Die erste Hälfte des Albums klingt in meinen Ohren völlig überproduziert, La Havas und ihre Ratgeber waren halt sehr an angesagten Beats und Klangfarben interessiert, so dass die eigentlich zarten Songs dahinter kaum mehr zu erkennen sind. Es scheint so, als ob Lianne La Havas einige dieser Songs inzwischen auch lieber in reduziertem Setting hört. Ein gutes halbes Jahr nach Erscheinen von "Blood", im Februar 2016, ging Lianne La Havas dann allein mit ihrer Gitarre auf Solo-Tournee, und veröffentlichte etliche Songs vom letzten Album in neuen Solo-Versionen ohne Sound-Bombast.
    "Ich fühle mich immer richtig stark und unnachgiebig, wenn ich allein mit der Gitarre bin, weil niemand außer mir Einfluss auf die Musik hat. Ich liebe das: so schreibe ich meine Songs, so habe ich angefangen, und es ist toll, dass all meine Songs in vielen verschiedenen Formen existieren können."
    Musik "Midnight" (Solo-Version) - Lianne La Havas
    Grenzen für ihre musikalische Entwicklung sieht sie nicht. Man darf gespannt sein.