Hardi Kurda

Die Freiheit der Frequenzen

11:35 Minuten
Ein Blick aus einem Fenster zeigt Hardi Kurda, der konzentriert auf ein kleines Radio blickt
Der Radiokünstler Hardi Kurda © Gailan A. Ismail
Von Tina Klatte · 28.07.2020
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Der kurdische Komponist und Musiker Hardi Kurda entdeckt das Radio als ein Instrument, das unser Zuhören herausfordert und die gesellschaftliche Ordnung hinterfragt. Frei zwischen den Frequenzen schwingend stellt er die Frage nach Illegalität und ihren Folgen für Mensch und Gesellschaft.
"In meinen Kompositionen versuche ich, Freiheit zu finden. Auch wenn ich Violine gespielt habe – und ich spiele Violine seit ich ein Kind war – habe ich immer nach einer Möglichkeit gesucht, zu spielen, Musik zu machen, und mich dabei frei zu fühlen. Was ich mit 'frei' meine ist, dass ich der Musik keine vorgefertigte Idee aufdrängen wollte. Und diese Möglichkeit habe ich im Radio gefunden. In den Frequenzen, die von niemandem kontrolliert werden, die frei zu hören sind und frei verfügbar sind."
Das Violinen-Spiel begann der Komponist und Musiker Hardi Kurda in Slemani, seiner Geburtsstadt in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Dort studierte er auch Musik, bis er 2002 die Stadt verließ, um in Schweden Komposition zu studieren. Derzeit ist er Doktorand am Goldsmiths College in London. Die Klänge des Radios haben den Künstler schon sehr früh fasziniert.
"Meine Brüder hatten in den 1990er-Jahren eine Reparaturwerkstatt für Radios. In der Mittagspause war ich immer da, um mit der Geige zu üben. Und ich war wirklich fasziniert davon, wie sie die Radios repariert haben: Zum Beispiel, wenn sie wissen wollten, ob ein Radio funktionierte oder nicht, dann haben sie das getestet, indem sie den Finger in den Mund gesteckt haben, um ihn zu befeuchten, und ihn dann auf die Platine des Radios gelegt haben. Zu hören war dann ein Durcheinander von Kanälen und Frequenzen."
"Was macht dich zu einer Person?"
Was Hardi Kurda aus dieser Erfahrung in seine künstlerische Praxis überträgt, sind die Zwischentöne und Freiräume des Frequenzbands. Wie hier hörbar in dem Improvisationsstück "Moment" mit der Cellistin Khabat Abas, in dem Kurda mit Bratsche und Radio spielt.
Die klangliche Freiheit, die der Künstler im Radio als musikalisches Instrument sucht, verbindet er in seiner Radioarbeit mit einer gesellschaftlichen Freiheit. Von März bis Juni war Kurda Stipendiat der Radio Art Residency in Halle. In seinem Radioprojekt ging er der Frage nach: Was bedeutet Illegalität?
"In meiner künstlerischen Praxis und auch in meinem 'richtigen' Leben habe ich mich immer gefragt: Was bedeutet es, beispielsweise einen Pass zu haben, was heißt es, keinen zu haben? Was macht dich zu einer Person, was deligitimiert dich als Person? All diese Reglementierungen, diese Berechtigungen und Genehmigungen. Illegalität ist dabei für mich ein Bewusstsein. Das Bewusstsein für eine Bewegung, die keine Stimme hat, die nicht anerkannt wird, die nicht 'normal' ist. Illegalität ist etwas Seltsames, etwas Provokantes, es ist etwas, das Veränderung verlangt und Aufmerksamkeit einfordert."
Unser alltägliches Zusammenleben wird von Regeln bestimmt. Regeln und Gesetze, die durch politische Macht und unsere Gesellschaftsordnung erschaffen werden. Wer entscheidet, was legal und was illegal ist? Mit seinen Radio-Performances will Hardi Kurda in dieser Frage Freiräume des Denkens und Reflektierens eröffnen. Für die interaktive Performance "Listening's Urgency" - die Dringlichkeit des Zuhörens – befragte Hardi Kurda einzelne Personen zu ihren Erfahrungen mit Illegalität. Aus den Antworten entstand ein Hörstück, dessen Klang das Publikum der Live-Performance mitbestimmen konnte.
"Ich wollte die Erfahrung des Zuhörens grundlegend verändern: Wie wichtig, wie entscheidend es ist, wenn das Zuhören Konsequenzen für uns hat. Wenn die Zuhörer eine Antenne berühren, verändert sich die Frequenz - und manchmal verändert sie sich vielleicht auch nicht. Aber das Handeln war mir wichtig. Den Schritt zu einer Veränderung zu wagen, es zuzulassen, etwas zu tun - und die Reaktion zu hören, die keiner vorausahnen kann."
Störgeräusch sein
Beim Spiel mit den Radiofreqenzen lenkt der Künstler die Aufmerksamkeit der Zuhörer*innen auf das Störgeräusch. Ein Geräusch, das sich nicht schematisieren lässt, das sich nicht als "schön" erweist, und eine unbequeme Aufmerksamkeit erregt. Illegalität hat für den Komponisten dieselbe Qualität. Sie produziert eine notwendige Störung.
"Seit ich ein Kind war, bin ich ein Störgeräusch in dieser Gesellschaft", sagt die iranische Musikerin I-Id. Ihre Stimme macht Hardi Kurda in einer weiteren Radio-Performance hörbar. Die Stimme von I-ID und anderen Künstler*innen und Autoren waren Grundlage für ein Live-Hörstück, für das Kurda ein Ensemble aus Klangkünstlern und Musikern einlud. Aus sechs Orten der Welt kamen diese live im Radio zusammen, um die individuellen Erzählungen mit ihren Radio-Instrumenten zu interpretieren. Dabei reizt den Künstler auch die Unsicherheit des Radios als Medium der Echtzeit.
"Ich wollte es nicht aufnehmen und es sehr hübsch und glatt machen. Ich wollte zeigen: 'Okay, das ist, was passiert': Die Internet-Verbindung ist abgebrochen, gerade jetzt, in der Performance; einer der Performer hat ein Problem mit seinem Radio, das während der Performance kaputt geht. Diese Art von Fehlern, diese Störungen stehen im Kontext von Illegalität. Denn das ist es, was Illegalität meint: Das steht nicht in den Regeln, das hat kein System, das ist keine Garantie. Und das hat eine ganze Menge Konsequenzen."
"Das Radio war für mich wie ein Fernrohr"
Auch für die letzte Performance im Rahmen seiner Residenz in Halle sammelte der Künstler individuelle Erzählungen über illegales Handeln. Diese überführte er in eine Partitur für Stimme und "Radiola springs", eine mit Radio-Apparaten und Sprungfedern präparierte Bratsche, die der Künstler selbst spielt. Den vokalen Part übernahm die Voice-Performerin Nina Guo. Interpretiert wurde die Partitur in einer Live-Radio-Performance, der Kurda ein weiteres Moment der Unsicherheit hinzufügte. Denn die Performer*innen trafen sich sozusagen "taub" für ein telepathisches Zusammenspiel, bei dem sie nicht hören konnten, was der andere tut.
Das Bild zeigt Hardi Kurdas Radiola - eine Bratsche, die mit Sprungfedern und Radio-Teilen kombiniert wurde
© Hardi Kurda
In diese Performance ließ Hardi Kurda auch seine eigenen Erfahrungen einfließen. 2002 verließ er Kurdistan-Irak auf illegalem Weg in einem Schiffscontainer. Das Radio diente ihm dabei als Orientierung.
"Das einzige, was ich dabei hatte – und ich musste es versteckt halten – war ein kleines Radio, mit dem ich die UKW-Frequenzen abgehört habe. Mit den wechselnden Radio-Sendungen konnte ich hören, dass wir beispielsweise die türkische Grenze passiert hatten und nach Griechenland gekommen sind. Das Radio war für mich in dem Moment ein Überlebenswerkzeug, wie ein Fernrohr, mit dem ich die Außenwelt sehen konnte."
Ein Radio wie ein Hammam
Seit 2017 kehrt Kurda regelmäßig nach Slemani zurück, um ein Festival für Klangkunst und experimentelle Musik auszurichten. Das Space 21 Festival lädt jährlich lokale und internationale Künstler*innen ein, ihre Arbeiten im öffentlichen Raum zu präsentieren.
"Die Leute haben eigentlich nicht das Gefühl, dass die Kultur der Öffentlichkeit gehört und nicht den Politikern oder den Behörden. Also versuchen wir, einem lokalen Publikum Kultur wieder zugänglich zu machen und ihnen die Gelegenheit zu geben, vorbeizukommen und zuzuhören."
Einer dieser öffentlichen Orte, die das Festival wiederentdeckt, ist der Hammam, das ehemalige Badehaus der Stadt. In seinem Improvisationskonzert "Hammams Maqam" nutzt Hardi Kurda das Instrument Radio als Metapher für gesellschaftliche Kommunikation.
"Wenn ich das Radio in einem Hammam erklingen lasse, geht es darum, kritisch über den Hammam als sozialen Lebensraum nachzudenken. Denn das Bad war ein Ort, wo sich Leute getroffen und miteinander geredet haben. Es war wie ein Radio. Jeder konnte frei sprechen, es gab keine soziale Hierarchie. Alle waren nackt, wenn sie dorthin gegangen sind, um sich zu waschen."
Der Kommunikationsraum Radio soll aber nicht symbolisch bleiben. Dieses Jahr musste das Space 21 Festival aufgrund der Pandemie ausfallen. Im kommenden Jahr jedoch will der Künstler die Zuhörer*innen einladen, auch den öffentlichen Raum des Radios für sich wieder zu entdecken.
"Wie das Radio einen kritischen Dialog eröffnen kann, in dem wir reflektieren, was gerade passiert: Warum ist diese Musik hier entstanden? Warum ist sie wichtig für uns? Wie klingt eigentlich unsere Umgebung? Reflektierendes Radio, das Fragen stellt, das sensibilisiert, das frei zu hören ist und in dem sich frei ausgedrückt werden kann. Diese Art von Radio strebe ich an."
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