Harald Haarmann: „Die seltsamsten Sprachen der Welt“

Das grenzenlose Potenzial der Kommunikation

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Buchcover zu Harald Haarmann: "Die seltsamsten Sprachen der Welt"
"Eigenartige Lautsysteme", "Wortschätze", "Seltsame Arten, zu zählen": Harald Haarmann hat in seinem Buch allerhand zusammengetragen. © Deutschlandradio/C.H. Beck
Von Sieglinde Geisel · 01.03.2021
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Der Sprachforscher Harald Haarmann versammelt in seinem neuen Buch die besten Fundstücke aus dem reichen Fundus seines Forscherlebens. Es zeigt, wie vielfältig Sprachen sind - und dass hinter ihnen stets eine Weltanschauung steckt.
Jede Sprache trifft eine andere Auswahl der Phänomene und Eigenschaften, die sie benennt, jede Sprache ordnet die Welt in andere Kategorien. Deshalb steckt in jeder Sprache auch eine Philosophie, über die wir uns die Welt erschließen.
Was darf man von einem Buch mit dem Titel "Die seltsamsten Sprachen der Welt" erwarten? Ein Kuriositätenkabinett oder eine philosophische Tiefenschürfung? Auf den ersten Blick wirkt der kleinteilige Band wie ein "Best of" aus dem Fundus eines Forscherlebens. Denn der Autor gehört zu den ausgewiesenen Kennern der Materie: Harald Haarmann ist Sprachwissenschaftler und hat in den letzten fünfzig Jahren über vierzig Bücher veröffentlicht, darunter Überblickswerke wie "Geschichte der Schrift" und "Weltgeschichte der Sprachen".

200 Wörter für Kamel, Dutzende für Regen

In seiner unterhaltsamen Tour d‘Horizon folgt Haarmann weder geografischen noch chronologischen Prinzipien: "Eigenartige Lautsysteme", "Wortschätze", "Seltsame Arten, zu zählen", die Kapitel-Überschriften ordnen die Sprachen nach Phänomenen. Die sprachwissenschaftliche Reise führt uns dabei kreuz und quer durch die Welt: Eben waren wir noch bei den Saamen am Polarkreis (ihre Demonstrativpronomen bezeichnen die Distanz eines Objekts zum Sprecher, was bei der Robbenjagd hilfreich ist), schon sind wir bei den Maltesern (das Maltesische ist die einzige Variante des Arabischen, die in lateinischen Buchstaben geschrieben wird), im nächsten Kapitel lernen wir das ausgesuchte Vokabular der japanischen Teezeremonie kennen (fukusasabaki: "rituelle Handlung des Faltens des Seitentuchs, mit dem die Teeutensilien geputzt werden"), dann erfahren wir, dass es im Somali 200 Ausdrücke für das Kamel gibt und im Hawaiischen Dutzende Wörter für Regen (kili: "leichter Regen, von gelegentlichem Donner begleitet", kilikili noe: "leichter, kalter Regen, von Nebel begleitet").
Nur selten geht es dabei auch um seltsame Eigenschaften von Sprachen, die uns vertraut sind, etwa das "behauchte h" im Französischen (ein "Geisterfahrer der Orthografie") oder das moderne Pidgin der "Kanak Sprak" (der Name stammt aus der deutschen Kolonialzeit und bezieht sich, abwertend, auf ein Volk in Neukaledonien). Die knappen Kapitel bieten vor allem Exotisches: Sibirische Sprachen unterscheiden in der Verbform, ob man etwas selbst erlebt oder aus zweiter Hand erfahren hat, und in Kambodscha gibt es tatsächlich hundert Arten, "ich" zu sagen, denn jedes Ich drückt einen anderen Sozialstatus gegenüber der Person aus, an die man sich wendet.

Von einem Fundstück zum nächsten

So blättert man sich von einem Fundstück zum nächsten, alles ist interessant und wissenswert, und zwar vor allem dann, wenn Haarmann die Phänomene nicht nur beschreibt, sondern auch kurz erklärt. So verfügt das Vietnamesische etwa über sechs Tonhöhen, die auf chinesischen Einfluss zurückgehen; als die französischen Kolonialherren das lateinische Alphabet einführten, wurden dafür jene Sonderzeichen nötig, die uns heute auf der Speisekarte vietnamesischer Restaurants begegnen.
Sprache ist politisch, das zeigen solche Schlaglichter – und gerade deswegen vermisst man eine übergeordnete Theorie. Einleitend sagt Harald Haarmann, das Buch wolle vor Augen führen, "wie vielfältig die kulturellen Muster sind, aus denen die Sprachen hervorgehen, und wie nahezu grenzenlos das menschliche Potenzial, mit Lauten zu kommunizieren und Gedanken sprachlich zu organisieren". Gegen das Wort "Kuriositätenkabinett" verwahrt er sich ausdrücklich – vielleicht aus der Ahnung heraus, dass sich gerade dieser Begriff bei der Lektüre aufdrängt.

Harald Haarmann: "Die seltsamsten Sprachen der Welt. Von Klicklauten und hundert Arten, ich zu sagen"
C. H. Beck Verlag, München 2021
206 Seiten, 18 Euro

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