Hanser und Dtv nehmen Buch vom Markt

Das Ende der toxischen Verführung

05:47 Minuten
Die Hände eines Puppenspielers.
Robert Greenes Buch "Die 24 Gesetze der Verführung" kommt einer Anleitung zur Manipulation gleich, findet die Journalistin Tanja Block. © Unsplash / Pixpoetry
Von Tobias Krone · 19.01.2021
Audio herunterladen
Es ist das Buch eines Managementautors: "Die 24 Gesetze der Verführung". Feministinnen erkennen darin die "Ausübung von psychischer Gewalt" und haben eine Petition gestartet. Nun hat der Verlag das Buch vom Markt genommen. Ein Fall von Cancel-Culture?
"Ein verliebter Mensch reagiert emotional, ist gefügig und lässt sich leicht in die Irre führen." So mancher Satz im Buch Robert Greenes kommt so leichtfüßig daher, dass man an nichts Böses denken mag.

"Anleitung zur Ausübung psychischer Gewalt"

Es geht ihm um den Weg hin zur Liebe – es geht um Verführung. Es geht um Manipulation, ist die Journalistin Tanja Block aus Saarbrücken überzeugt:
"Bei dem Buch handelt es sich um eine ziemlich deutliche Anleitung zur Ausübung psychischer Gewalt. Die Sprache ist vor allem, was uns gestört hat, es ist eine Appellform. Die Leserin oder der Leser wird direkt angesprochen mit: Sie."
Tanja Block ist Teil eines feministischen Lesekreises – und verbreitet auf dem Instagram-Blog feministischeslesen im vergangenen Dezember die Gedanken einer Bloggerin namens Schwester Suffragette, die auf ihrem Instagram-Account wiederum das Buch in aller Ausführlichkeit analysiert. Und zwar auf die Frage hin: Wie toxisch ist die psychologische Wirkung dieses Buches?
Für den Reporter war Schwester Suffragette auf Anfrage leider nicht für ein Interview zu erreichen. Doch auch Tanja Block macht ihre Punkte klar. Hier gehe es nicht um einen Ratgeber für gute Beziehungen, sondern um die Anleitung zum Schaffen von Abhängigkeiten – egal, ob es sich um Frauen oder Männer handele: "Die Person, die da verführt werden soll, wird direkt als Opfer betitelt."

Das Opfer "nach und nach absondern"

"Die 24 Gesetze der Verführung" hat ein Autor für Managementliteratur geschrieben. Robert Greene hat auch schon "Die Gesetze der menschlichen Natur" und "Die 48 Gesetze der Macht" verfasst. Und mit Macht kennt sich der Verführer dann wohl auch aus, wenn er die 233 Seiten durchgelesen hat. Hier ein Ausschnitt:
"Eine isolierte Person ist schwach. Indem Sie Ihr Opfer nach und nach absondern, machen Sie es Ihren Einflüssen leichter zugänglich. Führen Sie es aus seinem vertrauten Milieu heraus, entfremden Sie es von Freunden, Familie. Heimat. ... Im Zustand der Isolation und Konfusion, ohne Unterstützung von außen, können Sie es leicht bringen, wohin Sie wollen."
An den Rändern der Seiten finden sich immer wieder kluge Zitate von Verführungskünstlern aus der Kulturgeschichte. Und als solche sei es damals auch gemeint gewesen, erläutert Jo Lendle, Verleger des Hanser Verlages.
"Damals wurde – das ist ja nun schon fast 20 Jahre her – das Buch, so wird es mir vermittelt, publiziert, weil es einen Abriss durch die Literatur, durch die Überlieferung gibt von dem, was Verführung ist", sagt er.

"Ich musste schlucken beim Lesen"

Jo Lendle war damals noch nicht Verleger und bekam das Buch im vergangenen Dezember auch das erste Mal in die Hände: "Ich bin auch einer von denen, die es jetzt neu lesen – und ich musste auch echt schlucken beim Lesen."
Das Buch wurde in seinen neuen Auflagen stark gekürzt – von einer möglichen ironischen Brechung durch literarische Vorbilder ist nichts mehr übrig. 2017 gab es beim Partnerverlag Dtv die letzte vorliegende Taschenbuchausgabe.
Doch nachdem die Feministinnen eine Petition gegen beide Verlage starten, auf die sogar ein ehemaliges Mitglied der Casting-Show Germany’s Next Topmodel mit seinem Social-Media-Auftritt aufspringt, kündigen Hanser und Dtv an, das Buch vom Markt zu nehmen.
Er und auch andere seien sich darin einig gewesen, erklärt Jo Lendle: "Die Assoziationen, die Bilder, die Einordnungen, die man heute hat, wenn man das Buch liest, sind andere, als man sie damals hatte."
Über den Rückzug des Buches sind Tanja Block und ihre Mitstreiterinnen erfreut. Man sei sogar überrascht darüber gewesen, dass das Buch sofort vom Markt genommen worden sei. Doch auch in der Öffentlichkeit dürfte sich mancher gefragt haben: Warum so schnell? Haben die Verlage Angst um ihr politisch korrektes Renommee? Der Vorwurf der Cancel Culture liegt in der Luft.
Doch den Begriff mag Jo Lendle nicht: "Ich finde diesen Begriff unglaublich einengend. Früher hätte man gesagt, jemand bringt ein Argument und andere Leute hören darauf oder hören darauf nicht. Das ist wirklich eine sehr alte, zeitenüberdauernde Form."

Kein Recht auf Veröffentlichung

Jetzt eben komme es vor, dass in sozialen Medien manche Argumente eine schnellere Gefolgschaft bekämen von Menschen, die das Buch oft gar nicht gelesen hätten. Und genau das sei problematisch, so Lendle. Dieses Mal aber hätten die Kritikerinnen im Netz eben recht gehabt.
"Wenn wir von einem Buch so überzeugt sind, dass wir sagen: 'Nein, es ist unser Buch – das sind unsere Autoren – dann ist das nichts, was uns erschüttert'", sagt er. "Wir werden nicht jedem, der etwas gegen unsere Bücher hat, Folge leisten mit Wünschen. Wir sind kein Wunschautomat. Aber wir diskutieren solche Einwände und in diesem Fall kamen wir zu dem Ergebnis."
Auch die Bloggerin Tanja Block ist der Überzeugung, Meinungsfreiheit und die Literaturgeschichte müssten an erster Stelle stehen. Aber ein Recht auf Veröffentlichung gebe es dann für manche Werke eben auch nicht.
Mehr zum Thema