Hans-Ulrich Treichel: "Schöner denn je"

Eine groteske Beziehungskomödie

06:40 Minuten
Das Cover zeigt die ausgeschnittenen Fotografien zweier Männer auf neutralem beigem Grund.
Hans-Ulrich Treichel erzählt meist von farblosen Langeweilern. Daraus schlägt er erhebliches komisches Potenzial. © Suhrkamp/Deutschlandradio
Von Jörg Magenau · 03.07.2021
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Zwei Männer begegnen sich nach langer Zeit im Westberlin der 80er-Jahre wieder. Der eine ist erfolgreich, der andere ein Durchschnittslangweiler. Dazwischen: eine wunderschöne Frau.
Sicherlich kann "auch ein Fachdidaktiker ein großer starker Mann" sein. Wenn das aber Hans-Ulrich Treichels Ich-Erzähler Andreas Reiss über sich sagt, ist klar, dass er weniger von sich hält, als er behauptet.
Treichels Romanhelden sind selten groß und stark, sondern meist mit Komplexen beladene, zögerliche Durchschnittslangweiler, die in frühem Alter unter Geheimratsecken leiden und auch später eine ziemlich große Kluft zwischen ihren Wünschen und ihren Möglichkeiten aushalten müssen.
Aus dieser tragischen Differenz schlägt Treichel immer wieder, so auch im neuen Roman "Schöner denn je", seine komischen Funken.
Schlimmer noch, wenn es, wie in diesem Fall, einen anderen gibt, der alles besser kann. Schon in der Schule bewunderte Andreas den lässigen, seiner selbst gewissen und von Mädchen umschwärmten Erik, ohne aber je an ihn heranzukommen. Gerade weil Erik sich nur für sich und seine künstlerischen Fotografien von Treppengeländern und Türklinken interessierte, war er in seiner abweisenden Art so unwiderstehlich.

Territorium, in dem sich Treichel zu Hause fühlt

Zwanzig Jahre später begegnen sich die beiden im Westberlin der Achtzigerjahre wieder, dem Zeitraum und dem Territorium, in dem Treichel sich literarisch seit seinen frühen Erzählungen zu Hause fühlt.
Erik hat nicht nur eine blitzschöne Tochter vorzuweisen, sondern auch einen aufregenden Beruf: Als Filmarchitekt kommt er mit den Leinwandgrößen der Epoche zusammen, ist mit Klaus Kinski per Du und mit der französisierenden Schönheit Hélène Grossman befreundet, von der Andreas wie ein Pennäler schwärmt.

Röntgenbilder im Tresor

Andreas hat eine an ihrer Kinderlosigkeit gescheiterte Ehe hinter sich und ist als Romanist nach dem Studium in der Lehrerfortbildung gelandet – nicht gerade aufregend. Erik, der für drei Monate in die USA reist, bietet dem nach der Trennung wohnungslosen Andreas seine Achtzimmerwohnung in Nähe zum Kurfürstendamm an, der hoffen darf, dem Bewunderten auf diese Weise doch ein bisschen näher zu kommen.
Das gelingt dann allerdings auf völlig unerwartete Weise. Eriks Wohnung ist so steril und unpersönlich, wie er selbst. Nichts gibt Auskunft über den Abwesenden außer vielleicht die Röntgenbilder, die Andreas in einem Tresor entdeckt.
Aber dann ruft eines Nachts eine Frau mit französischem Akzent an, die Andreas sofort als die berühmte Hélène identifiziert und mit der er sich in Eriks Abwesenheit und gewissermaßen als dessen Stellvertreter oder auch bloß als Hélènes Chauffeur trifft.

Verrätseln und Enthüllen

Von da an inszeniert Treichel eine groteske Beziehungskomödie, in der es ums Verpassen ebenso geht wie um eine zarte, unwirkliche Nähe. Andreas ist ja durchaus klar, dass er gar nicht gemeint ist, und trotzdem entstehen zwischen der Film-Schönheit und ihm Momente, in denen er aus dem Schatten Eriks heraustritt.
Alles ist Rollenspiel, das im Wissen um die eigene Rolle gespielt wird. So wie Hélène feststellt, dass sie als Prominente in der Öffentlichkeit am wenigstens auffällt, wenn sie sich überhaupt nicht verbirgt, dass sie verborgen hinter einer Sonnenbrille jedoch sofort erkannt wird, so begreift Andreas, dass das Geheimnis seines Freundes Erik, nach dem er die ganze Zeit sucht, dessen Geheimnislosigkeit ist.
Verbergen und Vorzeigen, Verrätseln und Enthüllen: Das sind die immanenten Themen dieses Romans.

Komik aus minutiöser Präzision

Komik entsteht bei Treichel aus der minutiösen Präzision noch der abseitigsten Erörterungen und Überlegungen. Komik ergibt sich aus der Redundanz der Gespräche und daraus, dass der Ich-Erzähler sehr oft das Gegenteil von dem beteuert, was er anschließend oder gar im selben Atemzug tut.
Auch wenn er Eriks Wohnung nach persönlichen Dingen durchsucht, weiß er sich durchaus zu rechtfertigen: "Jetzt wollte ich aus meiner Neugierde auch kein moralisches Großproblem machen. Man sollte es nicht übertreiben mit den Ansprüchen an die eigene Charakterstärke."

Ein schillernder Roman

Die Genauigkeit all der Überlegungen, Beteuerungen und Absichtsbekundungen, die dann doch ins Leere laufen, ist ein raffiniertes erzählerisches Kalkül. Da der Ich-Erzähler aus größerer zeitlicher Entfernung heraus zurückblickt, wirkt er, indem er alle Nebenpfade abschreitet, seltsam unkonzentriert, als wäre ihm nicht ganz klar, zu welchem Zweck er das alles ausbreitet.
Wenn er die Gedanken von damals wiedergibt, schreibt er nicht aus der Erinnerung heraus, wie er es zu tun vorgibt, sondern erschafft eine literarische Fiktion seiner selbst, die Figur des Antihelden, in der er sich verbirgt. Seine Geschwätzigkeit steht in einem ausgesuchten Kontrast zur Verschwiegenheit, die er immer wieder beschwört.
Auch das gehört zum komischen Potenzial dieses schillernden Romans eines farblosen, und doch höchst sympathischen Erzählers.

Hans-Ulrich Treichel: "Schöner denn je"
Suhrkamp, Berlin 2021
176 Seiten, 22 Euro

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