Hans Keilson eröffnet die Brandenburgischen Buchwochen

30.10.2005
Hans Keilson wurde 1909 in Bad Freienwalde geboren. Sein Erstlingsroman "Das Leben geht weiter" erschien 1933. 1936 verließ er Deutschland und emigrierte in die Niederlande. Wie wenige andere Autoren hat Keilson die politischen, kulturellen und seelischen Folgen des Nationalsozialismus analysiert und sprachlich vergegenwärtigt. Sein literarisches Engagement hält bis heute an: Am Wochenende eröffnete er im Berliner Centrum Judaicum die 14. Berlin-Brandenburgischen Buchwochen.
"Du Tor, du hast dich nicht erkannt.
Vom Menschen bist du nur ein Scherben
und malst mich groß als wütenden Moloch,
um dich dahinter rasend zu verbergen.
Was bleibt dir eigenes noch?
Denn deine Stirn ist stets zu klein, um je zu fassen:
...ein Tropfen Liebe würzt das Hassen. "

So lauten die letzten Zeilen des Gedichts "Bildnis eines Feindes". Der fast 96-jährige Hans Keilson trägt es auswendig vor. Genauso, wie alle anderen Gedichte auch. Sein Gedächtnis arbeitet fabelhaft. Seine Hände zittern etwas, und er geht an einem Stock, aber ziemlich flott. Seine Präsenz auf der Bühne des gut besuchten Vortragssaals ist mehr als beeindruckend.

Mit Vergnügen weicht Hans Keilson vom vorbereitenden Konzept ab und erzählt dem Publikum folgendes: Als er vor dem Centrum Judaicum aus dem Taxi aussteigen wollte, herrschte ein herbeieilender Polizist den Taxifahrer an, er dürfe hier unter keinen Umständen anhalten.

" Ich fand diesen Polizisten deutsch unmöglich. Der hat überhaupt nicht gehört, als ob ich nicht da gewesen wäre. Er hat sich wie ein Nazi betragen, die die Juden nicht mehr angeschaut haben, das hat mich in Rage gebracht. Aber mir tat's ungeheuer wohl, dass ich diesen Polizisten anbrüllen konnte. Sie glauben gar nicht, wie gut mir das getan hat. "

Lebhaft erzählt Hans Keilson, wie er mit seinem Roman "Das Leben geht weiter" 1933 debutierte. Er war stolz auf den Erfolg, aber an eine literarische Karriere wollte und konnte der Student damals nicht denken.

"Ich hab mich nie als Literat, als Schreiber, gefühlt. Ich hatte meine Ausbildung an der Preußischen Hochschule für Leibesübungen in Spandau, ich war staatlich geprüfter Turnsport- und Schwimmlehrer. Das war mein Beruf, ich studierte Medizin, dass das Buch verboten wurde, och, ja, es wurde verboten. "

Seine damalige Frau, die nicht jüdisch war, überredete ihn, nach Holland auszuwandern. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen versteckten ihn Freunde in Delft.

"Ich hörte, als ich Delft ungetaucht war, dass unter einer Bank im Park lag ein Toter. Und meine Pflegeeltern, die da waren, die erzählten mir, dass das ein jüdischer Untertaucher gewesen wäre und man hätte nicht gewusst, wo man ihn unterbringen sollte. (...) das Ganze war eine Komödie, aber in Moll."

Diese Geschichte lieferte ihm den Stoff für den gleichnamigen Roman: "Komödie in Moll".

In Delft schloss sich Hans Keilson der Widerstandsgruppe "Freies Amsterdam" an. Ein hervorragend gefälschter Pass erleichterte ihm die Arbeit. Er leistete Krisenintervention, bei Familien, die ungetauchte Menschen versteckten.

"Die Kinder reagierten natürlich in einem völlig fremden Milieu und auch die Pflegeeltern, die sich bereiterklärt hatten, ein Kind aufzunehmen oder Erwachsene aufzunehmen, die standen auch vor einer Situation, die sie auch nicht ermessen konnten (...) und normalerweise kamen Konflikte heraus. Und die Organisation, der ich angehörte, die schickte mich dann da hin, um mit den Pflegeeltern zu sprechen, (...) die Trennung von den Eltern, die Angst, das Problem der Angst war natürlich groß (...) dass man die Sachen besprechen konnte, die eigentlich geheim waren."

Diese Arbeit wurde zur Lebensaufgabe von Hans Keilson. Die "Folgen der Verfolgung"! Nach dem Krieg arbeitete er in einer Organisation, die sich um jüdische Kriegswaisen kümmerte. Um Kinder, die die Konzentrations- und Vernichtungslagern überlebt hatten und Kinder, die untergetaucht waren, aber ihre Eltern verloren hatten.

"Ich habe versucht, das, was ich bei den Kinder erlebt und gesehen habe, neu zu formulieren. Und habe gemeint zu definieren, dass es sich nicht um ein Trauma, sondern um "traumatische Sequenzen" handelt. Das heißt: die Trennung von den Eltern in der Not der Pogrome, das war eine traumatische Situation. Die Trennung von den Eltern während der feindlichen Besetzung der Niederlande (...) in denen sowohl die Holländer als die Untergetauchten auch Angst hatten, auch nicht frei leben konnten, das war auch eine traumatische Sequenz, sowohl für die Erwachsenen, aber sehr gewiss auch für die jüdischen Kinder. Und die Zeit nach dem Kriege, (...) das war sehr wichtig, wie die nichtjüdischen Pflegeeltern mit den Kinder umgingen, die bei ihnen überlebt hatten."

Mit seiner Langzeitstudie über die "sequentielle Traumatisierung von Kindern" konnte Hans Keilson belegen, dass Kinder, die um ihre jüdische Herkunft wussten, weniger traumatisiert wurden. Dagegen wurden andere Kinder, die behütet in protestantischen oder katholischen Familien aufwuchsen und nichts über ihre Vergangenheit wussten, schwer geschädigt.

"Die Arbeit mit den jüdischen Waisenkindern war ein Stück Therapie für mich selbst, um meine eigene Trauer für den Verlust meiner Eltern zu verarbeiten...."