Handliches Herzstück

Von Michael Engel · 13.01.2008
Mit dem Elektrokardiogramm – kurz EKG – können verschiedenste Herzerkrankungen wie Rhythmusstörungen, Herzinfarkt oder Entzündungen des Herzbeutels festgestellt werden. Bislang war der Messvorgang recht umständlich. Nun haben Wissenschaftler der TU Braunschweig ein kontaktloses Elektrokardiographie-System entwickelt, das ohne Kabel und ohne Elektroden auskommt.
Rainer Piel trägt heute ein rotes Hemd, darüber ein Jackett. Um sein EKG aufzuzeichnen, muss der wissenschaftliche Mitarbeiter aber nicht den Oberkörper freimachen. Kabel, Elektroden, Kontaktgel – das alles ist hier nicht nötig. Denn das Elektrokardiographie-Gerät arbeitet kontaktlos. Es registriert die Herzsignale sogar durch dicke Kleidung hindurch.

Kaum wird der Zwölf-Zoll große Flachbildschirm – ein sogenannter Tablet-PC - auf den bekleideten Brustkorb gelegt, erscheint auf dem Display die typische Herzkurve. Und Herztöne liefert das Gerät auf Knopfdruck auch.

"Wir hören jetzt, dass der Patient einen sehr regelmäßigen Herzschlag hat. Wir können jetzt direkt beurteilen: Ist dort eine Anomalität? Ändert sich der Herzschlag über der Zeit. Das heißt, wird er schneller? Wird er langsamer? All das können wir jetzt hier direkt beurteilen."

... so Martin Oehler vom Institut für elektrische Messtechnik, der das kontaktlose EKG-Systems im Versuchslabor des Instituts erprobt. Seit mehreren Jahren arbeiten die Wissenschaftler an der Entwicklung des Gerätes – in enger Abstimmung mit Ärzten der Charite Berlin. Schließlich sollen die Daten, die das EKG-Gerät anzeigt, ein gewohntes Bild liefern, damit sich die Ärzte draußen in der Praxis nicht erst umstellen müssen, so Institutsleiter Prof. Meinhard Schilling.

"Ein anderer Anwendungsbereich wäre ein Notfallsystem, das der Rettungsdienst dann bei jemandem, der bewusstlos beispielsweise im Einkaufszentrum liegt, unmittelbar aufsetzen kann, ohne jemanden zu entkleiden, ohne Zugang zu schaffen, um Elektroden anlegen zu können und unmittelbar feststellen kann, an dem Herzsignal, was er da misst, ob beispielsweise ein Herzinfarkt oder so etwas vorliegt."

Wenn ein Herz schlägt, fließt ein schwacher Strom durch den Herzmuskel. Und wo Strom fließt, treten elektrische Ladungen auf. Auch wenige Zentimeter entfernt, auf der Hautoberfläche des Brustkorbs, sind diese Spannungsunterschiede detektierbar. Weil es sich um wenige Millivolt handelt, konnte das EKG bislang nur mit Hilfe von Hautelektroden gemessen werden. Das kontaktlose EKG-System braucht keine Kabel. Es nutzt den sogenannten "kapazitiven Effekt". Elektroden fungieren hier quasi wie die Platte eines Kondensators, erklärt Manfred Oehler.

"Also das ist wie ein Kondensator. Der eine oder andere wird das noch aus der Schulzeit her kennen. Das heißt, eine Platte des Kondensators ist unser Körper, und die andere Platte ist jetzt unsere Elektrode. Und die gleichen Effekte, die man vom Kondensator her kennt, passieren jetzt hier auch. Das heißt, wir können ein Signal von dieser einen Kondensatorplatte auf die andere Kondensatorplatte übertragen. Wir haben nur die beiden Platten voneinander getrennt und greifen damit das Signal ab."

Die elektrischen Signale, die vom Brustkorb durch die Kleidung hindurch auf die Elektroden übertragen werden, sind allerdings äußerst schwach. Der Wissenschaftler spricht von wenigen Femtoampere - 10 hoch minus 15 Ampere - die in den Elektroden ankommen. Jeder Radiosender, jedes Handy selbst in größerer Entfernung, sogar die Stromkabel in der Hauswand würden die EKG-Signale vollkommen überlagern, weil sie so schwach sind. Mit der Folge, dass die Anzeige auf dem Bildschirm zu einem Pixelbrei verrauscht.

"... das heißt, wir haben relativ viel Filtersoftware implementiert, um diese Signale so vor zu verarbeiten, dass sie dann dem entsprechen, was der Mediziner erwartet. Ich muss natürlich den Frequenzbereich, der mich interessiert, von einigen Hertz bis 100 Hertz ungefähr, den muss ich so vorfiltern, dass ich danach das EKG draus extrahieren kann."

Das handliche EKG-System verbindet nach Ansicht des Wissenschaftlers viele Vorteile. Neue Diagnosemöglichkeiten. Es ist mobil einsetzbar und vor allem schnell, weil die zeitraubende Verkabelung entfällt. Zudem lassen sich die aufgezeichneten Herzdaten in Zeitlupe beliebig oft abspielen. Ein Plus für die diagnostische Sicherheit. Momentan arbeiten die Ingenieure an Programmen, um die Geräte internen Daten auch in die elektronische Krankenakte übertragen zu können. Nach Einschätzung der Entwickler sind die Tage der klassischen EKG-Geräte mit Klebeelektroden gezählt.