Handbuch Pressefreiheit

Ein praktischer Ratgeber für unabhängigen Journalismus

27:45 Minuten
Max Zirngast, der kürzlich von einen türkischen Gericht freigesprochene österreichische Journalist und Aktivist, während eines Statements am Donnerstag, 26. September 2019, am Flughafen Wien-Schwechat
Dankbar für die Solidarität: Max Zirngast, Journalist und Aktivist, der drei Monate in einem türkischen Gefängnis einsaß. © picture alliance / ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com
Von Johanna Tirnthal und Philipp Landauer · 18.11.2019
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Parteien versuchen zunehmend Einfluss auf Journalistinnen und Journalisten zu nehmen – auch in Deutschland und Österreich. Und in Deutschland steigt die Zahl der tätlichen Angriffe gegen sie. Wie können sich Medienschaffende dagegen wehren?
Mein Tinnitus klingt wie ein hoher Ton in meinem linken Ohr. Ich habe ihn 2015 durch Stress bekommen. Heute kommen wir ganz gut zurecht, mein Tinnitus und ich. Er ist nämlich eine Art Frühwarnsystem für mich. Wenn ich Stress habe, wird er lauter.
Und, was sich heute immer stressiger anfühlt, ist das politische Umfeld, in dem ich arbeite.
"Vor anderthalb Jahren wurden zwei Journalisten in Thüringen von Neonazis angegriffen. Mit Baseballschlägern, Eisenstangen und Messern."
"Morddrohungen gegen Journalisten: dafür müssen wir nicht in die Ferne schauen. Auch bei uns in Deutschland steht das Thema auf der Tagesordnung."

"Österreich ist im letzten Jahr im Ranking von Reporter ohne Grenzen von Platz 11 auf Platz 16 abgerutscht."

"Es kam zu einer dramatischen Verfolgungsjagd durch mehrere Dörfer. Am Ende landeten die Journalisten mit ihrem Auto im Straßengraben." "Und just in dem Moment wurde uns die Heckscheibe schon eingeschlagen, das Fahrerseiten-Fenster wurde eingeschlagen und Pfefferspray in unser Auto gesprüht."

"Und jetzt nach Österreich. Monatelang stand der österreichische Rundfunk ORF unter Beschuss. Die Regierung aus ÖVP und FPÖ hatte immer wieder mit Reformen gedroht, durch die viele die Pressefreiheit in Gefahr sagen."
Mit Kolleginnen und Kollegen spreche ich regelmäßig über die Sorgen, die mit solchen Nachrichten einhergehen.

Beschneidung von Pressefreiheit auch in Deutschland

"Was ich finde... Deutschland hat genügend Beispiele, wo sie an der Grenze zur Beschneidung von Pressefreiheit kratzen. Beim G20-Gipfel in Hamburg sind reihenweise Journalisten nicht eingeladen bzw. ausgeladen worden, weil sie ihnen einfach nicht recht waren."
Das ist mein Kollege Philipp Landauer. Wir essen gemeinsam, die Sonne scheint durch die großen Fenster der Kantine im fünften Stock.
"Andererseits diese Journalisten in Nordrhein-Westfalen, die im Umfeld von AfD oder Rechtsradikalen recherchiert haben und dann unter Polizeischutz das tun mussten. Das ist auch Beschneidung der Pressefreiheit."
Je öfter diese Gespräche stattfinden, desto mehr frustriert es mich, danach einfach zurück an meinen Arbeitsplatz zu gehen. Ich erzähle Philipp von meiner Idee, eine Art "Handbuch für schlechte Zeiten" zusammenzustellen. Dafür würde ich Journalistinnen und Journalisten interviewen, die konkrete Einschränkungen ihrer Arbeit erfahren haben. Aus den Antworten könnte ich dann Tipps für schlechter werdende Zeiten sammeln. Welche Arten der Einschränkung gibt es überhaupt? Und wie kann man sich dagegen wehren?
"Und da würde mich dann schon interessieren, wie viele von denen, überspitzt gesagt, am Vorabend der Veröffentlichung sich noch einmal gedacht haben, vielleicht sollte ich das lieber lassen, vielleicht ist das keine so gute Idee... Aber, ja. Was würde ich die noch fragen?"
Porträt von Anne Renzenbrink neben einer Weltkarte zur Pressefreiheit weltweit 2019 von Reporter ohne Grenzen
Anne Renzenbrink ist Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen unter anderem mit Schwerpunkt Deutschland.© Johanna Tirnthal
Einer der Wege für das Handbuch führt mich nach Berlin-Schöneberg. In einem roten Backsteingebäude mit schönen Erkern hat hier die Organisation "Reporter ohne Grenzen" ihr Deutschland-Büro.

Im Konferenzraum steht Anne Renzenbrink vor einer bunten Weltkarte. Bei Reporter ohne Grenzen ist sie Pressereferentin, unter anderem mit Schwerpunkt Deutschland.
"Also diese Karte basiert ja auf der Rangliste der Pressefreiheit, die wir einmal im Jahr veröffentlichen. Deutschland steht in diesem Jahr auf Platz 13 von 180 Staaten. Das heißt, Deutschland hat sich um zwei Plätze verbessert, so sieht es zumindest aus auf der Rangliste. Aber tatsächlich muss man sich immer die Gesamtpunktzahl der Länder anschauen. Und da sehen wir, dass sich die Punktzahl Deutschlands ein kleines bisschen verschlechtert hat. Das bedeutet, dass sich die Situation in Deutschland nicht verbessert hat, auch wenn Deutschland jetzt auf der Rangliste zwei Plätze nach oben geklettert ist."

Angriffe auf Medienschaffende sind angestiegen

Die Punktzahl für das weltweite Ranking ermittelt Reporter ohne Grenzen durch Fragebögen, die an Journalistinnen und Journalisten und andere Expertinnen und Experten in den verschiedenen Ländern geschickt werden. In der sogenannten "Nahaufnahme" werden dann die einzelnen Faktoren aufgelistet, die für die journalistische Arbeit in einem Land problematisch sind.
"Dafür dokumentieren und verifizieren wir auch immer Übergriffe gegen Medienschaffende. Und da haben wir gesehen, dass im vergangenen Jahr im Vergleich zum Vorjahr die Übergriffe wieder gestiegen sind, also es waren mindestens 22."
Übergriffe – das bedeutet, dass Journalistinnen und Journalisten tätlich angegriffen werden – geschubst, die Kamera oder das Mikro aus der Hand geschlagen – und das sind noch die harmloseren Fälle. Das passiert oft am Rand von rechten Demonstrationen wie letztes Jahr in Chemnitz.
"Da müssen wir schon leider sagen, dass wir eigentlich so ein medienfeindliches Klima wie im vergangenen Jahr nicht mehr gesehen haben seit Beginn der Pegida-Bewegung 2015."
Das Gespräch mit Reporter ohne Grenzen beruhigt mich nicht wirklich. Ich frage Anne Renzenbrink, was sie von der Handbuch-Idee hält und sie erzählt, dass Reporter ohne Grenzen selbst Handbücher herausgibt.
"So Verhaltenstipps für Journalisten, zum Beispiel während Demonstrationen. Wie komme ich in brenzligen Situationen zum Beispiel schnell raus aus Menschenmengen. Habe ich lokale Kontakte, zum Beispiel Shop-Besitzer oder so, an die ich mich wenden kann, die Vertrauenspersonen sind. Dass man so etwas vorher plant, auch wenn's natürlich dann in dem Moment nicht unbedingt planbar ist."

Morddrohung gegen WDR-Moderator

Zuhause klicke ich mich durch diese Online-Handbücher: "Safety Guide for Journalists" heißt einer, oder "Defence Handbook for Journalists and Bloggers". Hier geht es vor allem um Einsätze in Krisenregionen. Auf einer Seite finde ich das Bild eines Rucksacks, den man packen sollte, wenn man in Kriegsregionen im Einsatz ist: mit Atemmaske, Rettungsdecke, Notlichtern und für Frauen der Pille danach, falls man vergewaltigt wird.
Das ist eigentlich nicht, wonach ich gesucht habe. Als ich noch überlege, wen ich in Deutschland nach Tipps für mein Handbuch fragen könnte, erhält der WDR-Moderator Georg Restle eine Morddrohung. Er hat in einem Tagesthemen-Kommentar die AfD kritisiert.
"Aber wer A sagt, muss jetzt auch B sagen. Wer die ‚Identitäre Bewegung‘ für rechtsextremistisch hält, kann die AfD nicht mehr länger außen vorhalten. Zu nahe stehen sich beide, persönlich, strukturell und ideologisch sowieso..."
Georg Restle, Journalist, spricht auf der Internetkonferenz re:publica im Mai 2018 in Berlin. 
"Wer Journalist wird, und wer diesen Job ernst meint, der muss damit rechnen, dass seine Berichterstattung auch wehtut", sagt Georg Restle.© picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Wenig später sitzt Georg Restle in einem Studio in Köln, ich in einem Studio in Berlin. Und wir unterhalten uns.

"Vieles von dem, was wir heute öffentlich debattieren, hätte ich vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten. Insoweit finde ich so ein Handbuch, das daran erinnert, was es zu verteidigen gibt und mit welchen Mitteln wir es zu verteidigen haben, nicht schlecht. Ich erlebe so eine verstörende Zaghaftigkeit unter vielen Kollegen, insbesondere, wenn es darum geht, über die AfD oder über den Rechtsruck in diesem Land zu berichten."
"Was denken Sie, was ist denn bei Ihnen anders als bei Ihren Kollegen, dass Sie sich nicht so leicht einschüchtern lassen?"
"Ich sag immer, wem in der Küche zu heiß wird, der soll nicht Koch werden. Wer Journalist wird, und wer diesen Job ernst meint, der muss damit rechnen, dass seine Berichterstattung auch wehtut und dass es Gegenwehr erzeugt. Damit muss man dann auch lernen umzugehen. Ganz persönlich, und auch im Kollegen- und Kolleginnen-Kreis, wenn man sich da zusammentut und Erfahrungen austauscht, dann hilft das ja auch."
Georg Restle sagt auch, dass es wichtig sei, die Angriffe nicht auf sich als Person zu beziehen. Es seien Angriffe auf demokratische Institutionen – Angriffe auf eine bestimmte Form von Gesellschaft. Genauso gefährlich wie persönliche Einschüchterungsversuche seien deshalb Angriffe auf Institutionen und Gesetze, die Pressefreiheit überhaupt gewährleisten.
"Die Rundfunkgesetze werden mehrheitlich in den Parlamenten bei uns in den Ländern verabschiedet, das heißt, wenn eine Partei wie die AfD tatsächlich die Mehrheit in einem Bundesland bekommen sollte, dann hätte sie enorme Möglichkeiten, Einfluss auf die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Ländern zu nehmen. Und das ist natürlich eine große Gefahr für die Pressefreiheit und die Rundfunkfreiheit in Deutschland."

Georg Restle: "Wir als Journalisten müssen rausgehen"

"Was würden Sie denn hinein schreiben in so ein Handbuch?"
"Bleibt selber Teil dieser Gesellschaft, zieht euch nicht zurück, bleibt in Kontakt! Wir als Journalisten müssen rausgehen. Also diese Augenscheinnahme, die, hab ich den Eindruck, in den letzten Jahren ein bisschen vernachlässigt worden ist, die wieder neu zu entdecken. Vor Ort zu gehen, mit Leuten in Kontakt zu gehen, in den Dialog zu gehen, sich auseinanderzusetzen, auch zu streiten mit anderen Auffassungen, halte ich für enorm wichtig."
Augenschein für das Handbuch für schlechte Zeiten: Thüringen im Herbst. Trockene Weinberge, alte Burgen, dazwischen fließt träge die Saale.
Einer, der Georg Restles Ratschlag befolgt, wartet am Bahnhof in Jena auf mich.
"Hallo, ich bin Johanna!"
"Christian."
Porträt des Journalisten Christian Gesellmann, aufgenommen 2019 in Jena. 
In seinem preisgekrönten Text "Warum ich aus Sachsen weggezogen bin" beschreibt Christian Gesellmann die alltägliche Konfrontation mit Neonazis in Zwickau.© Johanna Tirnthal
Christian Gesellmann schließt sein Fahrrad ab und schiebt es neben uns her in den Park, der Saale entlang. Augenschein als Journalist hat der gebürtige Zwickauer schon an vielen Orten genommen.

"Na, überall wo die Medien halt sind: Hab erst ein Praktikum in Hamburg gemacht, dann eines in München. Und dann Berlin. Dann Lokalzeitungen: Chemnitz, Zwickau, Freiberg, Aue, Plauen. Und dann Zwickau, Zwickau, Zwickau. Als Reporter war das ja auch super, wenn du zurückkommst in eine Stadt, die du tatsächlich kennst. Aber... ja, wie ich beschrieben habe, so zum Leben war das dann doch nicht so."
Wir setzen uns in ein Café an der Saale. Für seinen Text mit dem Titel "Warum ich aus Sachsen weggezogen bin" hat Christian Gesellmann 2016 den Alternativen Medienpreis bekommen. Er beschreibt darin die alltägliche Konfrontation mit Neonazis in Zwickau: Berichte über Nazis dominieren die Zeitungen, und gleichzeitig dominieren die Nazis, wie dann mit dieser Berichterstattung umgegangen wird.
"Das, was ich gemerkt hab, der Effekt ist halt immer, es hat halt alle deprimiert, außer die Nazis. Die haben sich immer gefreut, wenn sie in der Zeitung waren, weil das ihre Botschaft letztendlich trotzdem ja weitertransportiert und vor allem auch dieses Angstgefühl einfach perpetuiert."

Kontakte knüpfen gegen die Bedrohung von Rechts

Hier in Jena, nur 80 Kilometer von Zwickau entfernt, ist die Situation besser. Die Stadt habe nach der Wende Glück gehabt, sagt Christian Gesellmann. Mehr Arbeitsplätze sind geblieben. Jena ist eine Universitäts- und Kulturstadt. Kontakte gegen die Bedrohung von Rechts zu knüpfen, bleibt für Gesellmann trotzdem wichtig – in Sachsen und Thüringen. Das gibt er mir auch als Tipp auf den Weg.
"Einfach über Facebook-Gruppen zum Beispiel. Ich hab dann eine Facebook-Gruppe gegründet, ‚Mensch Sachsen‘. Zwei Überlegungen haben da eine Rolle gespielt. Zum einen haben wir gemerkt, dass die Polizei nicht auf unserer Seite ist, haben wir gemerkt, dass der Verfassungsschutz uns nicht schützt und dass wir uns selber schützen müssen. In meiner Rolle als Journalist gehört da erstmal dazu, Netzwerke zu knüpfen. Weil, viel von dieser Angst passiert virtuell und viel davon passiert auch in deinem Kopf."
Ansonsten hat Christian Gesellmann weniger Tipps parat als interessante Analysen: Wie die Verlagslandschaft in Ostdeutschland sich nach der Wende entwickelt hat, wie westdeutsche Verlage den Lokaljournalismus vernachlässigt haben und dass heute Neonazi-Netzwerke mit ihren Blogs diese Lücke in der Berichterstattung schließen. Mit Christian Gesellmann werde ich später noch weiter über die ökonomischen Bedingungen von Pressefreiheit sprechen.
Fürs erste geht mein Augenschein weiter – und zwar dahin, wo ich vor ein paar Jahren begonnen habe, mir Sorgen über den Zustand der Pressefreiheit zu machen.
Porträt von Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, vor einer Bücherwand
Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich, weiß um den politischen Einfluss auf die Medien in ihrem Land.© Johanna Tirnthal
"Zug nach Wien Hauptbahnhof…"

In Österreich gibt es weniger Rechtsterrorismus und Morddrohungen gegen Journalisten als in Deutschland. Aber von 2017 bis zum Ibiza-Skandal saß eine rechtsextreme Partei auf der Regierungsbank. Von österreichischen Kolleginnen und Kollegen möchte ich einen Eindruck davon bekommen, was passieren kann, wenn eine rechte Partei in der Medienpolitik an Einfluss gewinnt.
"Also das ist immer mehr eskaliert und viele haben dann schon von Orbán'schen Verhältnissen gesprochen, ja."
Das ist Rubina Möhring, die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich. Sie erzählt mir von Norbert Steger, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats des österreichischen Rundfunks ORF. Er ist in der FPÖ, gilt als Freund von Victor Orbán und hat mehrfach kritische Journalistinnen und Journalisten verbal angegriffen.
"Eine ungarische Freundin sagt, das hat in Ungarn genauso angefangen, und niemand hat das ernst genommen. Und so kommt ihr das manchmal in Wien auch vor oder in Österreich. Und dann ist das auf einmal da. Und dann ist die sogenannte Gleichschaltung sehr, sehr schnell durchgezogen."
Was in Ungarn mit verbalen Drohungen begann, endete bald im Umbau zum Staatsfernsehen – den unabhängigen Rundfunk gibt es nicht mehr. Während die AfD in Deutschland statt der Rundfunkgebühren ein Bezahlfernsehen möchte, dessen Inhalte die Zuschauerinnen und Zuschauer bestimmen, hat die FPÖ ähnliches vor wie Victor Orbán. Statt durch Gebühren, sollte der ORF direkt aus dem staatlichen Haushalt finanziert werden.

Geschasst, aufgrund kritischer politischer Berichterstattung

Ich sitze auf dem Sofa vor Rubina Möhring. Sie war lange Jahre ORF- und 3sat-Journalistin. Ihr Hund interessiert sich für mein Mikrofon.
Die Flügeltür vor uns gibt den Blick frei auf ein riesiges Bücherregal.
"Ich hatte gedacht, ich werde diesen Job bei Reporter ohne Grenzen fünf Jahre machen. Jetzt sind es schon fast 20 Jahre. Und es wird eigentlich immer scheußlicher", lacht sie.
Es ist nicht die erste ÖVP-FPÖ-Regierung in Österreich, die Journalistinnen und Journalisten angreift. Im Jahr 2000 gab es die erste schwarz-blaue Koalition. Damals ging Rubina Möhring wegen schlechter Erfahrung vom Fernsehen zu Reporter ohne Grenzen.
"Weil ich erlebt habe, dass ich geschasst worden bin, aufgrund meiner politischen Berichterstattung, die korrekt war, aber nicht im Sinne der Regierung. Und wenige Wochen später bekam ich das Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte, von der Nachrichtensendung in die Wissenschaft abzuwandern und mich mit Fadenwürmern zu beschäftigen."
Journalistinnen und Journalisten in politisch harmlose Abteilungen zu versetzen, war damals ein beliebtes Mittel, sagt Rubina Möhring. Der österreichische Rundfunk ist so organisiert, dass eine politische Einflussnahme durch den Aufsichtsrat einfach ist – denn dort sitzen fast nur Vertreterinnen und Vertreter der Parteien.
In Deutschland ist der Rundfunkrat mit mehr zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren besetzt – das mindert die Einflussmöglichkeiten der Parteien. Solche Institutionen sind zwar relativ unsichtbar, aber von unschätzbarem Wert für die Pressefreiheit. Und das ist nicht der einzige Unterschied in der Presselandschaft zwischen Österreich und Deutschland.
"Hier in Österreich ist der Markt sehr klein. Es gibt eine starke Medienkonzentration. Die meisten Eigentümer sind konservativ. Also haben diese Blätter von denen oder die Medien von denen eine konservative Schlagseite."

Abhängigkeit österreichischer Medien vom Staat

"Eine Hilfestellung wäre natürlich grundsätzlich, dass man einfach erstmal so ein Handbuch hat, wo man weiß – erstmal, dass man auf diese Gefahren hingewiesen wird. Dass man sensibilisiert wird. Ich glaube, viele Leute wissen gar nicht, was einem blüht, wenn man ins Ausland geht – und zwar schon, wenn man nach Österreich geht."
Hasnain Kazim isst ein Croissant im Café Engländer in Wien und trinkt Kaffee. Er war schon "Spiegel"-Korrespondent in Pakistan und der Türkei. 2017 kam er nach Wien.
"Also, es gibt schon Unterschiede im Journalismus zwischen Deutschland und Österreich. In Österreich fängt das schon damit an, dass es ein sehr kleines Land ist und jeder jeden kennt. Ich glaube, dass österreichische Medien sehr viel stärker abhängig sind von der Politik und vom Staat, weil sie sehr stark leben von staatlichen Anzeigen. In Deutschland wüsste ich gar nicht, dass irgendein Medium so dermaßen abhängig ist von staatlichen Sachen, wie dass das Innenministerium Werbung für die Polizei macht oder sowas. Das gibt es natürlich auch, aber es ist ein minimaler Anteil an Anzeigen in Deutschland."
Besonders problematisch ist, dass diese Anzeigen aus Steuergeldern bezahlt werden. Rubina Möhring nennt das eine versteckte Medienförderung und sagt, das müsse verboten werden. Ich frage Hasnain Kazim, ob er findet, dass die Situation in Österreich sich verschlechtert hat, seitdem er hier ist – schließlich hat er den Vergleich zwischen der Arbeit in Deutschland, in Pakistan, in der Türkei und in Österreich.
Porträt von Hasnain Kazim, aufgenommen in einem Wiener Café
Hasnain Kazim war schon "Spiegel"-Korrespondent in Pakistan und der Türkei, 2017 kam er nach Wien.© Johanna Tirnthal
"Was ich feststellen kann ist, dass in Österreich mit Antritt der Regierung Sebastian Kurz zusammen mit der FPÖ 2017 sich dramatisch verändert hat dieser Gedanke des ‚Message-Control‘, also dass Politiker Kontrolle darüber haben wollen, was Medien über sie schreiben. Also ich bin sicherlich empfindlicher geworden. Es ist in der Tat so, dass die Alarmglocken angehen bei mir, wenn ich so etwas mitbekomme. Dass ich da so empfindlich reagiere, wenn ich Anrufe bekomme, wenn irgendwie versucht wird, Einfluss zu nehmen."

Message-Control – das bedeutet, dass Politikerinnen und Politiker sehr genau kontrollieren, wer wann wie und was über sie berichtet. Sebastian Kurz hat im Kanzleramt die Pressestelle dramatisch aufgestockt. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rufen dann zum Beispiel direkt bei den Medien an, wenn ihnen ein Bericht nicht gefällt, weil er angeblich nicht "neutral" genug war.
"Das ist für mich schon eine Form des Versuchs der Einflussnahme. Weil ich das eben in viel schärferer Form, wo es eben überhaupt nicht freundlich war, aus anderen Ländern kenne. Was heißt ‚neutral‘ berichten? Einfach nur wiedergeben, eins zu eins? Nein! Wenn Trump sagt, draußen regnet es, dann ist es meine Aufgabe rauszugehen und zu gucken: Stimmt das oder stimmt das nicht?"

Redakteurin Zugang zum ÖVP-Hintergrundgespräch verwehrt

Hasnain Kazim erzählt von einem Vorfall kurz vor den Wahlen. Eine Redakteurin der kritischen Wochenzeitung "Der Falter" wurde bei einem Hintergrundgespräch der ÖVP nicht hineingelassen und sogar aus dem Gebäude verwiesen. Offizielle Begründung der ÖVP war, man habe keine Wochenzeitungen eingeladen. Was das in Hinblick auf ein "Handbuch für schlechte Zeiten" bedeutet, darüber sind Hasnain Kazim und Rubina Möhring sich einig.
"Ein anderer Appell ist auch, solidarisch zu sein. Also wenn zum Beispiel es eine Pressekonferenz gibt, wo eine Kollegin oder ein Kollege ausgeladen wird oder nicht reingelassen wird, nur weil er oder sie was Kritisches geschrieben hat, dann erwarte ich eigentlich, dass alle Journalisten sagen: So, wir nehmen jetzt unsere Sachen und gehen."
"Aber was ich natürlich erwarte, wenn so etwas wiederkommen sollte, dass Journalisten von Pressekonferenzen oder sogenannten Hintergrundgesprächen ausgeschlossen werden, dann erwarte ich doch eigentlich, dass alle anderen aufstehen und auch gehen."
Um Solidarität geht es auch am nächsten Tag in Wien. Es ist ein kalter Oktoberabend, kaum eine Woche nach den Wahlen. Die FPÖ hat viele Stimmen verloren, aber das hält ein paar hundert junge Menschen nicht davon ab, demonstrieren zu gehen.
"Wir wollen keine Message-Control und keine Superreichen, die Gesetze einkaufen wie im Supermarkt!"
Und an diesem Abend habe ich etwas, das man "Reporterglück" nennt: Der junge österreichische Journalist Max Zirngast ist vor ein paar Tagen aus der Türkei, wo er inhaftiert war, zurück nach Wien gekommen.
"Äh, Hallo? Das war eigentlich wie die Rückkehr nach Österreich. Ich hab nicht viel gemacht, aber ihr habt schon applaudiert."
Max Zirngast hat jahrelang in Ankara studiert und gelebt. Für verschiedene Online-Medien hat er kritisch über türkische Politik berichtet. Ende 2018 war er für drei Monate in Haft. Ihm wurde "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" vorgeworfen. Nach fast einem Jahr Ausreiseverbot wurde er nun freigesprochen und ist zurück in Österreich. Und, auch er spricht auch über Solidarität.
"Ich bin sehr dankbar, dass es in Wien vor allem, aber auch in vielen anderen Städten und Ländern so eine große Solidarität für mich gegeben hat. Ohne diese Solidarität wäre ich jetzt auch nicht so schnell hier gewesen, das kann man, glaub ich, auf jeden Fall sagen. Und das zeigt vor allem eines, nämlich dass Solidarität tatsächlich nicht irgendwie was ist, das ist gut, das muss man so machen, sondern das hat auch praktische Auswirkungen."

Gefängnisliteratur als journalistisches Handwerkszeug

Ich habe Max Zirngast schon ganz am Anfang meiner Recherche für das Handbuch um ein Interview gebeten. Da war er noch in der Türkei und wir konnten nur über Skype sprechen.
"Was würdest du in so einem Handbuch lesen oder hören wollen?"
"Es kommt ein bisschen darauf an, wie schlecht die Zeiten sind. Also wenn es die Realität des Gefängnisses und Gerichts gibt als einen der Hauptorte für Journalistinnen und Journalisten und Oppositionelle, dann muss man dahingehend was reinschreiben und das ist in der Türkei mittlerweile der Fall."
Die Tonqualität unseres Skype-Interviews war schlecht. Deshalb: Reporterglück. Am Rande der Demonstration nimmt Max Zirngast sich Zeit für einen Tee. Aufgeräumt, mit Hemdkragen im Wollpullover, sitzt er mir gegenüber und macht Scherze, wenn ich ihm zu allgemeine Fragen stelle.
"Und, wie ist es, wieder in Österreich zu sein?"
"Das Gras ist grüner und die Sonne scheint viel heller als in der Türkei. Nein, also es ist okay. Es ist ganz okay, natürlich."
Max Zirngasts Ideen für das Handbuch für schlechte Zeiten sind völlig anders als die der Journalistinnen und Journalisten, mit denen ich bis dahin gesprochen habe. Bei ihm geht es nicht um drohende Neonazis im Internet oder Anrufe aus dem Kanzleramt. Es geht um die Realität des Gefängnisses.
"Genau, also ich werde jetzt auch immer wieder gefragt: Du bist so entspannt, und du bist so locker im Umgang mit dem Ganzen. Und ich glaube, der wichtigste Faktor ist halt tatsächlich, wenn du in der Türkei solche Sachen machst wie ich, solche Sachen schreibst wie ich, wenn du dich in den politischen Zusammenhängen bewegst, wie ich das mache, wäre es fahrlässig, sich nicht aufs Gefängnis vorzubereiten."

Gerichtssaal als Bühne nutzen

Rechtsberatungen zu besuchen und Gefängnisliteratur zu lesen, sich mit Gefängnispsychologie zu beschäftigen, all das sei für Oppositionelle in der Türkei Alltag, sagt er. Man würde lernen, zum Beispiel auch Gerichtsverhandlungen für sich zu nutzen.
"Alles, was man dort sagt, wird aufgenommen und kommt in die Akten und kann dort auch abgerufen werden, das ist das Lustige. Und dadurch wird eben der Gerichtssaal zu einer Bühne, die einem Möglichkeiten gibt."
Die wichtigste Voraussetzung für eine Arbeit unter schlechten Bedingungen, meint Max Zirngast, und das gilt auch für Europa, sind für ihn Solidarität und kollektives Arbeiten.
"Das Eine, was ich gelernt habe, ist, dass man aus dem Gefängnis heraus seiner Stimme Gehör verschaffen kann. Und auch was sehr Wichtiges daran ist die Kollektivität des Ganzen. Weil, ich kann Briefe raus schreiben, wie ich will. Dass das tatsächlich dann verbreitet wird und zumindest eine gewisse Wirkung entfaltet, hängt ja dann von den Menschen draußen ab."
Mit einer Fülle von Tipps für mein Handbuch fahre ich zurück nach Deutschland. Nicht alle Hinweise waren so konkret, wie ich sie mir gewünscht habe. Man dürfe sich nicht den Mund verbieten lassen, haben alle gesagt. Aber was bedeutet das, wenn man Drohungen erhält oder Angst hat, seinen Job zu verlieren?
"Das ist halt sehr wichtig, dass man bei dem, was man da macht, einen klaren Kompass hat. Dass man weiß, was man will, wie das ungefähr gehen kann. Und dann auch hin und wieder die Möglichkeit hat, ‚Nein‘ zu sagen. Klar, das kann teilweise auch ökonomische Schwierigkeiten mit sich bringen. Das ist mir klar. Und genau deswegen bräuchten wir vor allem bei Menschen, die das machen wollen, mehr Solidarität untereinander, mehr Kollektivität."

Kollektives Arbeiten als Ausweg

Max Zirngasts Hinweis auf die Kollektivität erinnert mich wieder an das Interview mit Christian Gesellmann in Jena. In unserem langen Gespräch im Café an der Saale über unbequeme Berichterstattung und die Probleme mit Neonazis in Ostdeutschland fing auch er irgendwann an, über kollektives Arbeiten als Ausweg zu sprechen.
"Was brauchst du, damit du als Journalist denken kannst?"
"Ich? Na, Zeit und Geld! Punkt. Gewinnorientierte Medien, das ist halt einfach Bullshit. Das ist nicht gut für den Journalismus. Also ich bin jetzt das fünfte Jahr bei Krautreporter, und mir ist noch kein besseres Modell begegnet und eigentlich auch kein Gegenargument."
Krautreporter ist eine genossenschaftlich organisierte Online-Nachrichtenseite, die es seit 2014 gibt.
"Also für mich ist das gelebte Utopie. Zum einen haben wir inzwischen 500 Mitglieder in der Genossenschaft, die im Prinzip das Grundkapital zur Verfügung stellen. Und dann haben wir mittlerweile irgendwas zwischen 10.000 und 11.000 Mitglieder, die diesen monatlichen Beitrag bezahlen. Und damit finanzieren wir unsere ganze Arbeit."
Krautreporter ist also weder abhängig von Anzeigen, noch von einem politisch besetzen Rundfunkrat.
"Mehr Schutz haben mir die großen Häuser auch nicht gegeben. Also mehr Schutz vor Bedrohung von Rechtsextremisten oder mehr Schutz vor Klagen auch nicht, weil da oft so der Tenor war: ‚Naja, jetzt müssen wir wieder einen Anwalt anrufen, der will 90 Euro die Stunde. Es wäre schön, wenn das nicht so oft passiert.‘ Und wenn man das zwei, drei Mal gemacht hat, dann macht man das halt irgendwann nicht mehr – oder geht."
Kollektiv zu arbeiten – das war für mich vielleicht der wichtigste Tipp für das Handbuch. Geteilte Angst ist halbe Angst. Und was ich noch bemerkt habe: Alle, mit denen ich gesprochen haben, lieben ihre Arbeit und wollen unter allen Umständen weitermachen.
Für mich ist Journalismus immer noch ein sehr guter Job. Trotz all dem Stress. Weil, immerhin gibt es Wertschätzung. Wenn du ein Haus abgerissen hast, spricht dich keiner auf der Straße an und sagt, guck mal hier, das Haus ist nicht mehr da, das hast du aber toll gemacht. Das gibt es nicht. Und das gibt es in den allermeisten Jobs nicht. Mit so vielen Leuten in Kontakt sein zu können, die deine Arbeit mögen und dazu beitragen, das ist schon ein Riesengeschenk. Das würde ich schon nicht gern aufgeben.

Autoren: Johanna Tirnthal und Philipp Landauer
Regie: Frank Merfort
Ton: Jan Fraune
Redaktion: Carsten Burtke

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