Hamburger werden "unfassbar langweilig"

Daniel Richter im Gespräch mit Britta Bürger · 28.12.2010
Er hat Hamburg den Rücken gekehrt - aus Frust über die Kulturpolitik: Der renommierte Maler Daniel Richter klagt über die "Logik der Kapital-Akkumulation" in der Hansestadt und prophezeit fade Zeiten für die Hamburger Kulturszene.
Britta Bürger: Der Maler Daniel Richter ist einer der derzeitigen Großverdiener unter den zeitgenössischen Künstlern aus Deutschland. Seine Bilder erzielen auf Auktionen locker eine halbe Million Euro, doch ideologisch steht der Maler nicht den Hamburger Investoren nahe, sondern vielleicht eher den Hausbesetzern, die im Gängeviertel für günstige Wohn- und Ateliermieten kämpfen. In diesem Jahr jedoch hat Daniel Richter Hamburg den Rücken gekehrt und seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt wie viele Kulturschaffende auch von Hamburg nach Berlin verlegt. Schönen guten Tag, Herr Richter!

Daniel Richter: Schönen guten Tag!

Bürger: Florian Waldvogel, der Chef des Hamburger Kunstvereins, er hat gesagt, an Hamburg könne man sehen, was mit einer Stadt passiert, wenn der Politik die Kultur egal sei. Wie haben Sie das erlebt?

Richter: Persönlich erlebt habe ich das ja mehr als Beobachter. Ich bin selber in der Stadt immer, also in den 90er-Jahren, ich bin ja groß geworden in Hamburg, bin immer mit offenen Armen empfangen worden. Es ist mehr so, dass, sagen wir mal, die gesamtgesellschaftliche Entwicklung Hamburgs, also die von allen ja überall beklagte Ökonomisierung und wenn man so will auch Gentrifizierung der Städte in Hamburg so eine Beschleunigung angenommen und auch eine Dynamik angenommen hat, dass die Stadt gewissermaßen an ihre inneren Grenzen gestoßen ist und in diesen inneren Grenzen jetzt überprüft wird: Wer bringt was ins Staatssäckel und wer folgt der Logik der Ökonomie, und wer folgt ihr nicht?

Und dann folgen natürlich alle, die jetzt erst mal im weitesten Sinne kulturell tätig sind, also die Musiker, von mir aus auch die Kneipenbetreiber, die Offspace-Betreiber, die kleinen Galeristen, die Künstler, die Studenten vor allen Dingen, also der Humus, aus dem das alles wächst, die experimentellen Räume, die bringen natürlich in der Logik von sagen wir mal Kapitalakkumulation erst mal nichts. Also müssen die weg. Das andere in Hamburg, was ich für Hamburg spezifisch finde, ist, dass es eben so einen Dünkel gibt: Der Hanseat sieht sich gerne als einen großen Kulturförderer, und real reduziert sich das bei einer so unfassbar reichen Stadt dann auf 10, 15 Leute, die gewissermaßen das Feigenblatt spielen für eine ansonsten komplett aus dem Ruder geratenen Kulturpolitik.

Da müsste man jetzt spekulieren, ob jetzt die Kultursenatorin, die ja mittlerweile geschasst ist, ob das jetzt Machtanhäufung war, Inkompetenz, Eitelkeit, oder ob das wirklich auch Ausdruck war der verfahrenen Verhältnisse der Hamburger Regierungsbildung. Aber Fakt ist, dass das die letzten Jahre immer schlimmer geworden ist. Das gilt für das Schauspiel, das gilt für die Museen, das gilt für die Förderung oder die Möglichkeit von jungen Leuten, in der Stadt aktiv zu bleiben oder zu werden. Das gilt eigentlich für den gesamten Sektor Kultur.

Bürger: Wann ist bei Ihnen persönlich das Fass übergelaufen, dass Sie gesagt haben, nein, also ich gehe jetzt nach Berlin?

Richter: Da kann ich mich kaum dran erinnern, das war eine Akkumulation von Ereignissen. Ich glaube, irgendwann war ich auch die nachgereichten Erklärungen für Fehlentscheidungen einfach leid. Jetzt kann man mir natürlich, kann man jetzt natürlich sagen, das muss mich ja persönlich nicht betreffen, aber ich bin ja tatsächlich Lokalpatriot, das ist ja eine sehr schlechte Angewohnheit bei sehr vielen Hamburgern. Und ich bin auch, habe mich immer einer Szene und einem Denken verpflichtet, das im weitesten Sinne eigentlich ja anti-hanseatisch oder anti-bourgeoise war und das in Hamburg sehr produktiv gewesen ist, weite Teile, und für diese kleine Szene, die da gewissermaßen randständig, aber sehr produktiv gewesen ist, für die ist die Luft halt auch immer knapper geworden.

Und dann wird so eine Stadt dann halt zu so einem Museum, eine Stadt wird dann Lausanne oder Genf, da wohnen dann sehr viele wohlhabende Leute und die sind auch alle ganz kultiviert und schicken ihre Kinder irgendwie nach Yale oder Harvard oder nach London und die verdienen alle Geld und die wissen alle, wie man sich benimmt – aber sie sind alle unfassbar langweilig. Dahinter gibt es nur einen Gedanken, das ist der, Geld zu verdienen, und irgendwie mehr oder weniger – und das ist halt auch ein neuer Stil – damit herumzuprunken. Ja, es sind so ganz viele Faktoren gewesen, die das unangenehm gemacht haben.

Bürger: Unterm Strich könnte man sagen, es ist das falsche Konzept für eine Stadt, …

Richter: Es ist Konzeptlosigkeit.

Bürger: … eine falsche Struktur für eine moderne Großstadt mit einem ausgereiften Bildungsbürgertum, und nicht das mangelnde Geld?

Richter: Es ist definitiv nicht das mangelnde Geld, es ist das mangelnde Bewusstsein der Leute dafür, was uns von den Tieren unterscheidet, jenseits der Fortpflanzung, der Konsumption und der Anhäufung von, sagen wir mal, Waren. Das ist das eigentlich Deprimierende, und ich glaube auch nicht, dass sich das ändern wird, weil die Logik der Städte, die wohlhabend sind, ist eben eine, in der, wie soll man sagen, das dann doch eher dahin drängt, den nächsten Bentley zu besitzen als irgendwie bescheiden einem Museum ein Bild zu schenken. Das ist ja auch, wenn man so will, Ausdruck veränderter Verhältnisse im Selbstverständnis des Bürgertums auch.

Bürger: Sie werden ja gerne als Maler mit linksautonomem Background stilisiert, nicht nur, weil Sie die Künstler im Hamburger Gängeviertel unterstützt haben, sondern auch, weil Sie sich überhaupt in Ihren eigenen künstlerischen Arbeiten kritisch mit historischen, mit gesellschaftspolitischen Themen befassen. Die "Süddeutsche Zeitung" hat das mal auf den Nenner gebracht: Sie malen die Welt so, wie sie Ihnen missfällt, eine Gesellschaft am Abgrund. Warum konnte Sie Hamburg in dieser Hinsicht denn nicht weiter inspirieren? Zu kritisieren gibt es ja anscheinend genug.

Richter: Das ist ein Missverständnis. Ich bin kein kritischer Maler, der die Gesellschaft kritisiert, ich bin ein Maler, der sich mit den Möglichkeiten der Malerei und auch der, wie soll man sagen, Überholtheit eines bestimmten Ansatzes von Kritik beschäftigt. Also meine Malerei ist in dem Sinne keine kritische Malerei. Sie ist vielleicht eine bild- oder wahrnehmungskritische Malerei, aber sie ist nicht kritisch in dem Sinne, dass sie das eh schon von jedem kritisierte noch mal als Bild doppelt und dann irgendwie sich auf die Seite der moralisch überlegenen Position stellt. Das ist Quatsch.

Nein, es ist eine langweilige Stadt. Die Kunst ist, wenn man so will, Tableau für das Ausagieren von Widersprüchen innerhalb einer Gesellschaft, um jetzt mal so ganz schwammig zu argumentieren. Und in einer Gesellschaft, die vollkommen widerspruchsfrei ist, wird es halt fad. Die Erkenntnis aber glaube ich für jeden, der sich jetzt irgendwie definiert über Kunst oder Kultur oder wie auch immer wir das nennen wollen, der dagegen ist im weitesten Sinne gegen diese Logik, der muss halt irgendwann früher oder später feststellen, dass er damit auf relativ isoliertem Posten steht.

Also da macht man sich vielleicht auch immer als junger Idealist, der ich mal war, was vor über den Charakter der bürgerlichen Gesellschaft, die nämlich vielleicht doch wesentlich weniger an den, wie sagt man, kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften ihrer eigenen Klasse interessiert ist als vielmehr an dem rein konsumatorischen und distinktionshuberischen. Kann ja sein.

Bürger: Von einem Scherbenhaufen an der Elbe spricht Hamburgs ehemalige langjährige Kultursenatorin Christina Weiss, und die hat aber jetzt nicht nur ihre politischen Nachfolger kritisiert, sondern auch die Leute, mit denen Sie, Daniel Richter, natürlich viel zu tun hatten, die Sammler und Galeristen der Stadt. Wie haben die sich denn verhalten? Christina Weiss hat ihnen vorgeworfen, dass sie sich überhaupt nicht gewehrt haben.

Richter: Also das stimmt glaube ich, … ich müsste da jetzt drei oder vier oder fünf Leute, sage ich mal, unter schätzungsweise 10.000 in Schutz nehmen, von denen ich weiß, dass sie sehr wohl sich sehr engagiert haben in den ganzen Komplexen und den ganzen Themen, von denen wir jetzt reden. Für den Rest stimmt es tatsächlich, da ist einfach glaube ich so eine Mischung aus Laissez-faire, Opportunismus und Es-wird-sich-schon-ausgehen die Regel, und damit verbinde ich natürlich auch die Enttäuschung darüber, dass diese Leute, offensichtlich sehr viele von diesen Leuten nicht bereit sind, sich zu engagieren, wenn es irgendwie auch nur ein bisschen Mühe macht oder nur ein bisschen Gegenwind kommt. Das ist natürlich enttäuschend. Fairerweise muss man aber sagen, dass sich in der Gängeviertel-Auseinandersetzung sehr viele Leute engagiert haben und auch bis weit ins konservative Lager. Das hat glaube ich auch alle überrascht.

Bürger: Aber da ging es ja auch nicht speziell jetzt um Förderung von Kunst, sondern natürlich um …

Richter: Das stimmt, da ging es um die Bewahrung … Das war im Grunde auch ein …

Bürger: Arbeitsmöglichkeiten, günstige, Ateliermieten, …

Richter: Da ging es um eine Mischung aus Lokalpatriotismus, Geschichtsbewahrung, Geschichtsbewusstsein und der Möglichkeit für Künstler, irgendwie Arbeitsräume zu erhalten. Insofern ist das natürlich ein anderes Spektrum, das man da angesprochen hat, stimmt.

Bürger: Immer mehr Menschen aus der sogenannten Kreativszene kehren Hamburg den Rücken und gehen nach Berlin, Plattenfirmen wie Universal und die Deutsche Grammophon, MTV, die Deutsche Presseagentur, die sind alle nach Berlin gezogen, gefolgt eben von immer mehr Künstlern. In was für einem Umfeld leben und arbeiten Sie denn jetzt in Berlin, Daniel Richter?

Richter: Darüber möchte ich eigentlich gar keine Auskunft geben, weil ich lebe jetzt in Berlin, und an Berlin schätze ich etwas, was ich vorher auch immer an Hamburg geschätzt habe und was in Hamburg mittlerweile ein bisschen erodiert, das ist eine sehr heterogene Stadt, in der arm und reich und dumm und schlau und schwarz und weiß und Mann und Frau und die sieben anderen Geschlechter relativ unmittelbar aufeinanderprallen und gezwungen sind, sich miteinander zu arrangieren.

Das ist erst mal etwas, was ich angenehm finde, wenn ich in einer Stadt bin, und das ist etwas, was in Hamburg eben zunehmend verschwindet, also da fängt man ja sogar, sogar ich fange dann ja an, die Reeperbahn, wie ich sie noch kannte, zu romantisieren, und eigentlich gab es noch nicht viel zu romantisieren. Aber jetzt ist das eine Einkaufszone für Billigbesäufnisse, die von der Stadt aber dann auch noch stadtmarketingmäßig als so eine Art, weiß ich nicht, Prostituierten- und Rotlicht- und Alte-Matrosen-Kitschigkeitsevent gefahren wird. Das ist ganz unappetitlich.

Bürger: Erzählen Sie uns noch, woran Sie zurzeit arbeiten.

Richter: Ich arbeite am … Ich male. Ich male Bilder.

Bürger: Können Sie beschreiben, wo das gerade hingeht, in welche Richtung?

Richter: Eher Linien, Landschaft und romantische Topoi und ein bisschen, wie soll man sagen… Also die Behauptung ist eigentlich, dass der Wanderer im Nebelwald den Medienbildern von Soldaten, also von freiheitsliebenden Soldaten, die wir nach Afghanistan und Pakistan schicken, und gleichzeitig dem Bild des Kara-Ben-Nemsi-Orientalen, dass die alle sehr ähnlich sind. Das ist gewissermaßen die Arbeitsthese, würde ich das gar nicht nennen, das ist eine Beobachtung, die jeder machen kann, der sich die Zeitung durchblättert, dass auf all diesen Bildern Männer zu sehen sind, die tragen wahlweise Waffen oder Geigen oder Gitarren oder Schalmeien, und die sind mehr oder weniger exotisch anzusehen, und die stehen gerne auf Bergrücken und schauen besonnen in die Täler hinab. Manchmal haben sie Bärte und manchmal nicht, manchmal haben sie einen Helm auf und manchmal nicht, aber die Logik des Bildaufbaus und das, was da bei uns evoziert wird als Betrachtern ist eigentlich immer das Gleiche, glaube ich.

Bürger: Gibt es etwas, das Sie aus Hamburg vermissen in Berlin?

Richter: Nein.

Bürger: An Weihnachten auch nicht die zugefrorene Alster?

Richter: Nein. Vermissen – Sentimentalitäten und Nostalgie sind zwei der größeren geistigen Sünden in der Menschheitsgeschichte würde ich sagen.

Bürger: Die Hamburger Kulturpolitik vertreibt die kreativen Köpfe der Stadt, und über seine Gründe, Berlin den Vorrang zu geben, hat uns der Maler Daniel Richter erzählt. Ich danke für Ihren Besuch im Studio!

Richter: Ja, angenehmen Tag noch!
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