Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

CGT in Frankreich
Gewerkschaft auf Konfrontationskurs

In Frankreich setzt die Gewerkschaft CGT ihren Protest gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform der sozialistischen Regierung mit aller Härte fort. Der radikale Kurs soll der angeschlagenen Gewerkschaft neue Sympathien in der Bevölkerung und vor allem neue Mitglieder bescheren.

Von Jürgen König | 26.05.2016
    Streikende haben die Zufahrt zu einer Straße mit brennenden Autoreifen blockiert, um gegen die Arbeitsmarkt-Reform der französischen Regierung zu protestieren.
    Streikende haben die Zufahrt zu einer Straße mit brennenden Autoreifen blockiert, um gegen die Arbeitsmarkt-Reform der französischen Regierung zu protestieren. (picture alliance / dpa / Franck Dubray)
    Die Gewerkschaft CGT, die "Confédération générale du travail", wurde 1895 gegründet und stand traditionell immer der Kommunistischen Partei nahe. Als in den frühen 80er Jahren unter Staatspräsident Francois Mitterand Sozialisten und Kommunisten gemeinsam regierten, kam es nie zu nennenswerten Streiks: erst konservative Regierungen und erst recht konservative Staatspräsidenten wie Jacques Chirac oder Nicolas Sarkozy bekamen die Macht der CGT zu spüren. So ist die Härte, mit der die CGT jetzt gegen einen sozialistischen Präsidenten und eine sozialistische Regierung kämpft, außergewöhnlich. Als deren Chef Manuel Valls die Blockade aller Raffinerien durch die CGT eine "Geiselnahme Frankreichs" nannte, antwortete der CGT- Generealsekretär Philippe Martinez im Fernsehsender BFM gelassen, aber unmissverständlich.
    CGT wenig kompromissbereit
    "Seit mehreren Wochen gibt es eine Mobilisierung der Massen und viele Demonstrationen. Wir haben gesagt, wir haben ein großes Problem mit dem geplanten neuen Arbeitsrecht, die Regierung muss uns hören. Aber man hört uns nicht. Im Parlament gab es nicht mal den Versuch einer Diskussion, sofort wurde der Absatz 49,3 der Verfassung herausgeholt. Und jetzt wirft man uns wer-weiß-was? vor. Nein. Diese Regierung ist autoritär, verweigert jede Debatte, jede demokratische Auseinandersetzung, und also haben wir gesagt: die Unzufriedenheit wird weiter wachsen."
    Die CGT zeigt sich nicht kompromissbereit. In der Debatte, die sie fordert, soll es nicht um den vorliegenden Gesetzestext gehen, sondern um einen völlig neuen: über den man reden will, nachdem der alte zurückgezogen wurde. Die Argumente der Regierung, auch anderer Gewerkschafter, wonach die größten Streitpunkte der Reform, etwa die deutliche Einschränkung der Macht der Arbeitsrichter, aus dem Gesetz doch herausverhandelt worden seien, lässt die CGT nicht gelten - sie kämpft weiter. Denn sie weiß, wie unpopulär das Gesetz in der Bevölkerung ist, und sie weiß, dass sie Sympathie und, vor allem: neue Mitglieder: dringend nötig hat. Die Zeiten ändern sich: längst hat die Kommunistische Partei an Profil und Anziehungskraft verloren, auch die CGT sucht ihre Nähe nicht mehr so wie früher, für eine über 120 Jahre alte gewerkschaftliche Tradition muss Philippe Martinez neue Wege finden. Der Gewerkschaftshistoriker Stephane Sirot:
    "Die CGT hat zunehmend Schwierigkeiten, ihre Rolle zu finden, ihre natürliche und ihre historische Rolle. Und man muss sagen: sie hat auch zunehmend Schwierigkeiten, wirksame Mittel zu finden, um die Leute zu mobilisieren. Die Führung hat jetzt einige landesweite Aktionstage ausgerufen, und sie sind alle nicht wirklich gelungen: es waren Fehlschläge."
    Früherer Generalsekretär Thierry Lepaon in der Kritik
    Und auch sehr handfeste Probleme beschäftigen die CGT, etwa die anhaltenden Spannungen um den früheren Generalsekretär Thierry Lepaon, dessen Dienstwohnung für mehr als 100 000 Euro umgebaut worden war, "außerhalb der Verantwortung des Generalsekretärs" wie es später von Gewerkschaftsseite hieß. Anfang 2015 trat Thierry Lepaon vom Amt zurück, bei der Gewerkschaft beschäftigt ist er immer noch: beim CGT-Kongreß im April in Marseille rechneten aufgebrachte CGT-Mitglieder vor, dass er seit seinem Rücktritt 150 000 Euro aus der Gewerkschaftskasse erhalten hat.
    Philippe Martinez wurde in Marseille als Generalsekretär wiedergewählt. 55 Jahre ist er alt, seine Eltern waren aus Spanien eingewandert. Er war Mechaniker bei Renault, die Kommunistische Partei verließ er vor Jahren schon. Als guter Taktiker bündelt er den Druck der Radikalen innerhalb der eigenen Reihen und zeigt Flagge gegenüber der fast gleich großen und immer mächtiger werdenden Konkurrenzgewerkschaft CFDT, die dem ausgehandelten Text zum Arbeitsrecht schon zugestimmt hat. Das Kalkül des Philippe Martinez könnte sein, als nunmehr zentraler Gegenspieler von Premierminister Manuel Valls zum Führer einer außerparlamentarischen Opposition, zum Sympathieträger all derer zu werden, die sich verraten fühlen von Francois Hollande, der doch den "sozialen Dialog" zum Zentrum seiner Präsidentschaft machen wollte. Philippe Martinez würde damit – zum einen – die traditionellen "linken Werte" fortleben lassen, gleichzeitig aber auch versuchen, sich mit seiner CGT gegenüber dem Front national zu behaupten: der gerade bei der gewerkschaftlichen Klientel großen Zulauf findet.