Halles Stadtmauer wird ausgegraben

Erst der Archäologe, dann der Sanierer

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Archäologen bei der Kartierung der alten Stadtmauer - entdeckt bei Leitungsarbeiten am Juliot-Curie-Platz in Halle (Saale)
Archäologen bei der Kartierung der alten Stadtmauer - entdeckt bei Leitungsarbeiten am Juliot-Curie-Platz in Halle (Saale) © Deutschlandradio / Nana Brink
Von Nana Brink · 08.03.2019
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Vor 25 Jahren einigte man sich auf den Erhalt archäologischen Erbes mit der Konvention von Malta: Archäologen müssen bei Bauarbeiten in historischen Städten dabei sein. In Halle (Saale) tauchte dabei jetzt die alte Stadtmauer wieder auf.
Es ist ein ziemlich kühler Tag, erinnert sich Ines Vahlhaus, als der Bagger auf der Baustelle am Joliot-Curie-Platz plötzlich auf Widerstand stößt. Die Archäologin blickt in die aufgerissene Straßendecke und ist elektrisiert:
"Dass diese Mauer der mittelalterlichen Stadtbefestigung auf alle Fälle den gesamten Joliot-Curie betrifft und auch noch erhalten ist, und zwar ist die aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Das ist wahrscheinlich 1450, so um den Dreh, errichtet worden, wir haben auch keine größeren Ausbesserungsspuren gefunden, die auf irgendwelche jüngeren Reparaturen hinweisen: Scheint recht authentisch!"
Ein paar Wochen später kann Ines Vahlhaus, die für das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt die Baustelle betreut, ein Stück Stadtgeschichte rekonstruieren:
"Die Passpunkte der Mauer werden jetzt noch aufgemessen, fotografiert ist schon - so, dass wir dann zum Schluss mit einem speziellen Programm die Mauer in 3D wieder erstehen lassen können, auch in verschiedenen Dimensionen. Wir haben dann von der Stadtmauer von Halle mal gut 100 Meter richtig gut dokumentiert, so hatte man das noch nicht. - Am Ende des Testpunktes, da stellt sich immer einer auf die Oberkante."

Ohne Archäologen keine Freigabe

Seit genau einem Jahr ist Halles historische Innenstadt eine einzige große Baustelle. Die Straßenbahn wird modernisiert, neue Leitungen werden verlegt. Immer mit dabei ist die Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege. Momentan stehen sie am Rande des Joliot-Curie-Platzes, fotografieren und vermessen die alte Stadtmauer. Projektleiterin Ines Vahlhaus nimmt Bodenproben und zwinkert dem Baggerfahrer zu. Man kennt sich.
"Natürlich hält es auf. Wäre schöner, wenn nichts drinne liegen würde, wären wir viel schneller fertig. Die alten Wasserleitungen sind da Die müssen wir jetzt verlängern."
"Man muss sich halt, wenn's geht, schon gut koordinieren, und je nach dem, wie die Baustelle vorher geplant ist, ist es gut einkalkuliert oder knapp bemessen, aber bei den heutigen Vorgaben, die der Bau hat, ist es oftmals sehr knapp bemessen: die Dinge, die nicht unbedingt beliebt sind, sprich die Archäologie. Weil sie natürlich in gewisser Weise behindert. Man muss versuchen, gering zu kalkulieren. Aber wir brauchen eben unsere Zeit und ohne Dokumentation gibst auch keine Freigabe."
Und ohne Freigabe seitens der Archäologen kann nicht weiter gebaut werden. Nicht nur in Halle, sondern europaweit.
Vor fast 25 Jahren einigte man sich in der Konvention von Malta auf den Schutz des archäologischen Erbes. Die Grundlagen des Abkommens finden sich in vielen Denkmalschutzgesetzen wieder, auch in Sachsen-Anhalt. So muss bei großen Bauarbeiten – wie zum Beispiel in Halle – ein Archäologenteam dauerhaft vor Ort sein. Im Büro von Projektingenieurin Heike Knopf von der Halleschen Verkehrs AG hängen alle Pläne der momentanen Modernisierungsarbeiten. Auf einer Skizze finden sich besonders viele rote Punkte. Jeder Punkt eine Fundstelle.
"Entnervt - irgendwann kann man das Wort nicht mehr hören. Also wir haben von Anfang an die Archäologie in unserem Baufeld. Wie wir den ersten Spatenstich gemacht haben, war Archäologie vorhanden, wir stellen den Bagger, den Baggerfahrer, es wird vorgeschachtet, im Winter haben wir den Archäologen ein Zelt aufgebaut, damit die Funde gesichert werden können und auch aufgenommen werden können."

Die Kosten der Dokumentation - ein gut gehütetes Geheimnis

Von einer Feindschaft zwischen Ingenieuren und Archäologen will Heike Knopf nichts wissen:
"Nein, auf keinen Fall, es ist ein eingespieltes Team, wenn die Archäologen jetzt zum Beispiel, wie Sie draußen gesehen haben, auf der Ostfahrbahn beim Schachten sind, etwas gefunden haben, dann wird natürlich angerufen: 'Schaut mal, guckt euch das mal an, ist das was, wir gehen aufeinander zu."
Wie viel die Dokumentation der alten Stadtmauer und anderer Funde, wie zum Beispiel Reste eines alten Stadttores kosten, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Man schätzt rund 15 Prozent der Baukosten, die mit 17 Millionen Euro veranschlagt sind.
"Wir haben bloß die Chance auf dieser einen Seite."
"Der geht auf der rechten Seite tiefer, weil wir hier mit dem Kanal drunter durch müssen, sind wir dann überflutet."

Immer wieder stoßen die Bauarbeiter am Joliot-Curie-Platz auf alte Leitungen, zum Teil Holzleitungen aus dem 16. Jahrhundert oder Ziegelleitungen aus dem 19. Jahrhundert. Für die Archäologin Ines Vahlhaus ist die Baustelle wie ein Geschichtsbuch, das immer neue Facetten birgt, aber letztlich auch eine bittere Erkenntnis.

"Die Fundamente der Stadtmauer werden dann abgerissen, das können Sie da drüben auch gleich 'mal sehen. - Die nehmen wir weg .... naja, sage ich 'mal, für uns hat es jetzt keine große Bedeutung, wir haben es jetzt gesehen, wo es aufgemacht worden ist, aber es muss ja wieder was Neues gebaut werden, dann muss es weichen."

Möglichst alles gut dokumentieren

Rund 1,20 Meter breit und 100 Meter lang ist das Fundament Stadtmauer aus dem 15. Jahrhundert. Zu breit für die modernen Gas-, Wasser- und Fernwärmesysteme, die unter der Erde ihren Platz beanspruchen. Demnächst wird sie dreidimensional im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle wiedererstehen:
"Auf der anderen Seite weiß ich, wenn ich als Archäologe komme, und kommentiere, ist es so was wie ein Abschiedsgruß an dieses Bodendenkmal, denn wenn der Archäologe kommt, dann heißt es letztendlich immer, dass so ein Denkmal abgebaut wird, deswegen versuchen wir auch möglichst gut die Dinge zu dokumentieren, dass sie wenigstens der Wissenschaft erhalten bleiben".
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