Haiyti: "Influencer"

Eine düstere Welt mit Casino und Herzschmerz

05:57 Minuten
Die deutsche Rapperin Haiyti bei einem Konzert im Hamburger Mojo Club.
Die deutsche Rapperin Haiyti bei einem Konzert im Hamburger Mojo Club. © picture alliance / Jazz Archiv/ Rainer Merkel
Von Vincent Lindig  · 03.12.2020
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Auf ihrem neuen Album "Influencer" entführt die Hamburger Rapperin Hayiti die Zuhörenden mit tonnenweise Autotune in eine düstere Parallelwelt. Dabei laufen gleich mehrere Filme übereinander; ganz so wie im richtigen Hamburg.
"Ich finde, das ist jetzt meine Weiterentwicklung: Dass ich gemacht habe, wie ich klingen will. Ich finde nicht, dass das großartig anders ist. Es ist nur ein bisschen härter geworden."
"Influencer" ist ein Winteralbum, wo der Vorgänger mit seichten Melodien und französischem Flair ein Sommeralbum war. Man könnte auch sagen: "Influencer" ist der Kater nach der "Sui Sui"-Party: die Stimme gebrochen, der Hals kratzig, die Laune düster.
Auf "Sui Sui" erfand Haiyti den Gangster-Pop: kitschige Bonny-und-Clyde-Geschichten, Glanz und Gloria einer Verbrecherin, die schnell lebt und liebt.
"Influencer" zeigt die dunkle Seite dieses Lebens: zu viele Drogen im System, keine Kraft mehr für Entschuldigungen, der Finger am Abzug ein bisschen zu nervös.
In Tracks wie "Tokio" lebt die Kunstfigur Haiyti permanent über ihre Verhältnisse: Sie rast in imaginären Sportwagen, die man nur aus James-Bond-Filmen kennt, durch eine Welt zwischen den Straßen Hamburgs und der düsteren Seite von Hollywood. Sie ist sexy Vamp und Profikillerin in einem – und bricht Herzen im Vorbeigehen, manchmal aus Versehen auch ihr eigenes.

Die Reeperbahn als Showbühne

Ein Film, nein, mehrere Filme laufen hier übereinander - so wie im echten Hamburg, sagt Haiyti:
"Ich habe zehn Jahre meines Lebens auf der Reeperbahn verbracht; da sind auch alle Leute im Film. Wie die Leute in Bars gehen, das ist alles nur Show. Zehn Totenkopfringe an der Hand, eine Lederjacke und dann trinkt man eben, was zum Image passt. Bei den Prostituierten genauso, das ist alles Show! Dieses Showbusiness habe ich gar nicht auf der Bühne gelernt, dieses Showbusiness habe ich eigentlich vom Kiez gelernt. Die Welt schöner zu beschreiben, als sie eigentlich ist. Hamburg ist so eine Stadt, in der alles romantisiert wird."

Musikalisch spielt "Influencer" zwischen düsteren Trap-Beats und luftigen Cloudrap-Instrumentals, schwere Bässe und tonnenweise Autotune liegen auf der kieksigen, heiseren Stimme von Haiyti. Ein Album im Overdrive, dass einen beim Hören in seine düstere Parallelwelt mitreißt.

"Speedboote, Casinos und Herzschmerz"

Wie die Texte entstehen, wie die Kunstfigur sich von ihrer bürgerlichen Identität "Ronja Zschoche" unterscheidet, was sie zu ihren Songs inspiriert, das kann Haiyti gar nicht so richtig sagen. Ihre Kunst entsteht so intuitiv, dass ihr selbst ein bisschen die Worte dafür fehlen:
"Jeder Rapper hat so seine Ästhetik und seine Welt. Bei mir ist es immer düster und Speedboote, Casinos und Herzschmerz. Bei 'Influencer' habe ich mich immer als Vampir verkleidet, auch zu Fasching habe ich mich die ganze Zeit wie ein Vampir verhalten und die Leute dachten, ich bin völlig irre. Aber dann bin ich in so einem Film, dann will ich der Daylight-Twilight-Future-Vamp sein. Das war die ganze Zeit in mir drin, jetzt habe ich das zum Coverartwork gemacht. Ich würd schon sagen, dass alles reinfließt. Aber das ist eine Sache, die ich überhaupt nicht kontrollieren kann."
Intuitiv getextet, einer vagen künstlerischen Vision folgend und nicht zuletzt für Deutschrap-Verhältnisse erfrischend musikalisch: "Influencer" ist seit Ende 2018 schon das vierte Album von Haiyti, das durch die exzentrische und ungebändigte Kreativität klarmacht: Haiyti ist die unbestrittene Queen of Gangster-Pop – und die einzige Avantgarde-Rapperin Deutschlands

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