Häusliche Gewalt

Nebeneinander des Schönen und Ungeheuerlichen

Von Anke Leweke  · 16.03.2014
Osterspaziergang, Essen, Fernsehen - zunächst zeigt Gröning ein friedliches Familienleben zu dritt in der deutschen Provinz. Plötzlich offenbart sich die Gewalttätigkeit des Mannes - und ihre zerstörerische Kraft. Doch daneben gibt es noch eine andere Realität. Am Donnerstag kommt der in Venedig ausgezeichnete Film in die Kinos.
Ein Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen. Ein wie ausgestorbenen wirkendes Städtchen irgendwo in der deutschen Provinz. Man sieht die drei beim Osterspaziergang, beim Essen, beim Fernsehen. Ein friedliches Familienleben. Ausgelassen spielen der Mann und die Frau Armdrücken miteinander
Die Frau des Polizisten: "Gewonnen! Tut mir leid"
In fast 60 Kapiteln nähert sich Philip Gröning seiner Filmfamilie. Es handelt sich um einzelne lose, eher atmosphärische Szenen. Sie werden von Schwarzblenden getrennt. Diese geben dem Zuschauer Zeit, das Gesehene noch einmal Revue passieren zu lassen, es zu reflektieren. Eine seltsame Spannung legt sich über die Kapitel und als Zuschauer fragt man sich: Warum hat die Frau keine Freundinnen? Warum geht von ihr eine große Einsamkeit aus, auch wenn sie beim Spielen mit ihrer Tochter sehr glücklich wirkt? Nachts kriechen Mutter und Kind mit der Taschenlampe unter die Bettdecke und veranstalten Schattenspiele.
Chronik der Zerstörung einer Beziehung durch Gewalt
Die Frau des Polizisten: "Stark, stark wie ein Tiger. Groß, groß wie eine Giraffe, ich spring, spring..."
Plötzlich entdeckt man, in einer ganz banalen Szene, wenn sie sich die Zähne putzt, einen riesigen blauen Flecken auf ihrem Rücken. Später weitere: auf Arm und Oberschenkel. Man beginnt, die Beziehung anders zu sehen. Man ahnt, dass der junge Ehemann zur Gewalt neigt und wartet auf den ersten Ausbruch. Er wird kommen, doch danach scheint das Familienleben wieder ganz normal weiterzugehen. Vater, Mutter und Kind sitzen zusammen und singen ein Lied für die Kamera.
Die Frau des Polizisten: "Dornröschen war ein schönes Kind..."
Für die Schläge und cholerischen Anfälle des Mannes, die von der Frau still erduldet werden, sucht Regisseur Gröning keine psychologische Erklärung. Sein Film ist die Chronik der Zerstörung und Zersetzung einer Beziehung durch Gewalt. Und doch ist die Gewalt nicht die einzige Normalität. Es gibt auch die, einer innigen zärtlichen Mutter-Kind Beziehung. Die Komplexität von Grönings Film liegt in dieser Parallelexistenz, diesem Nebeneinander von Schönem und Ungeheuerlichem.
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