Händel im Himalaya

Von Thomas Migge · 14.10.2013
Bislang ungehört und nun stürmisch gefeiert: Mit der ersten Inszenierung einer Oper im Königreich Bhutan hat der Australier Aaron Carpene Maßstäbe gesetzt. Er mischt die klassische Musik Händels mit den buddhistischen Traditionen Bhutans.
Mit den höchsten Bergen der Welt als Bühnenbild, einem frischen Wind, der nicht gerade angenehm war, aber Musik und Gesang dank der Verstärkung durch Lautsprecher nicht davon wehen konnte, und unter freiem Himmel auf dem Platz vor dem königlichen Textilmuseum von Thimpu wurde Händels "Acis and Galatea" aufgeführt.

Die allererste Oper, die jemals in dem Himalaya-Königreich zu hören war, auch, wenn es sich genau genommen um eine so genannte "Serenata" oder "Masque" handelt. Die Idee zu diesem Musikprojekt hatte Aaron Carpene, Australier, Wahlitaliener, Cembalist und musikalischer Direktor der Aufführung:
"2004 dirigierte ich ‚Acis and Galatea’ in Pisa. Zur gleichen Zeit fragte mich ein Freund, Anwalt in den USA und Bhutankenner, ob ich nicht Lust hätte eine Oper in dieses Land zu bringen, wo noch nie eine Oper aufgeführt wurde. Ich dachte, ich höre nicht richtig, machte mich aber gleich an die Arbeit."
Doch mit welchem musikalischen Werk aus Europa kann man die Bhutanesen begeistern? Ein Volk, das keine Operntradition kennt. Carpene studierte die Kultur des Landes - und kam auf Händel:
"Mir wurde klar, dass ‚Acis and Galatea’ gut nach Bhutan passen würde, in der Version von 1718 für die Residenz des Earl of Carnavon. Das Werk ist in Englisch und Englisch ist die zweite Sprache der Bhutanesen, und die Story Händels hat Bezugspunkte zum kulturellen und spirituellen Hintergrund des Landes."
Das Libretto von "Acis and Galatea" basiert auf den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid und behandelt das mythologische Thema der Transformation. Ein fundamentales Element des Buddhismus ist die Reinkarnation. In Händels opernähnlicher Serenade ist der Tod in gewisser Weise eine Reinkarnation. Die Nymphe Galatea, gesungen von dem italienischen Sopran Francesca Lombardi Mazzulli, vereint sich mit ihrem von Polyphemus (Bariton Jacques-Greg Belobo) ermordeten Geliebten Acis (Thomas Macleay) nachdem dessen toter Körper in eine Quelle verwandelt worden war.

Eine Mischung aus Klassik und Buddhismus
Um dem bhutanesischen Publikum die Handlung möglichst verständlich zu machen, schlug der italienische Regisseur Stefano Vizioli ein musikalisch-dramaturgisches Crossover vor: mit den Protagonisten der Händel-Serenade, gekleidet wie Europäer zu Anfang des 20. Jahrhunderts, als die ersten Reisenden nach Bhutan kamen, und bhutanesischen Tänzern und Sängern in ihren farbenfrohen traditionellen Gewändern und fantasievollen Masken.

"Wir wollten einen anregenden Zusammenstoß der Töne. So ist eine Aufführung jenseits aller Traditionen entstanden. Ein Crossover aus Händel und traditioneller bhutanesischer Musik. Mit zwei Orchestern, einem barocken und einem bhutanesischen."
Diese Fusion-Interpretation, dieses Zusammenkommen von Ovid/Händel mit dem religiös-mythologischen Denken des Buddhismus war so überzeugend, dass man sich wundern muss, dass noch niemand zuvor auf so ein Projekt gekommen ist. 2014 wird die westöstliche Händelaufführung auch in El Paso zu sehen sein. Projektleider Aaron Carpene und Regisseur Stefano Vizioli hoffen, dass diese musikalisch hochinteressante und überraschende Interpretation von Händels bekanntem Werk auch nach Europa kommen wird.