Hackerangriffe

Gut und Böse im Netz

Rezensiert von Nana Brink · 27.04.2014
Der Geheimdienstmitarbeiter Michael George macht dem Leser eine Krux deutlich: Die Anonymität des Netzes ist für die Arbeit der Verfassungsschützer unverzichtbar. Doch sie macht gleichzeitig den Weg frei für Angreifer, die Staat und Wirtschaft schaden wollen. Ein kurzweiliges Sachbuch.
Machen Sie einmal kurz die Augen zu und stellen sich vor, der Strom fällt aus....
"Nach zwei Stunden brechen die ersten Mobilfunkstationen zusammen, nach etwa sechs Stunden das komplette Netz. Züge, U- und S-Bahnen bleiben stehen. Die Wasserversorgung sowie Abwasserversorgung können auf Grund der notstrombedingten geringeren Leistung allein bis in den 3. Stock gewährleistet werden. Allerdings auch nur für zwölf Stunden, dann ist Schluss. Die Kraftstoffreserven der Wasserwerke sind dann erschöpft. Krankenhäusern fehlt nach 48 Stunden jeglicher Strom. Das Bankenwesen kommt zum Erliegen."
Um es kurz zu sagen: Wir sind erledigt. Michael George, Mitarbeiter des Bayrischen Verfassungsschutzes, hat sich für den Anfang seines Buches gleich ein packendes Horrorszenario zurechtgelegt. "Wie Angriffe aus dem Netz uns alle bedrohen", steht in gelben Lettern auf dem Umschlag. Und bedroht ist alles oder besser "Gehackt", so der Titel: die Stromnetze, der eigene Computer, die U-Bahn. Der Feind lauert überall!
"Jeder, der Ihnen so einfällt. Versuchte Erpressung durch Kriminelle, Egoerweiterung für ambitionierte Script-Kiddies, politisch motivierte Hacktivisten, Leute, die Geheimdienstoperationen wie im Fall des Computerwurms Stuxnet durchführen, oder Extremisten, die Terror-anschläge planen."
Ein Buch aus der Vor-NSA-Ära
Glaubt man dem erfahrenen Geheimdienstmann, wimmelt es im Netz nur so von finsteren Gestalten. Um die üblen Absichten der unterschiedlichen Akteure zu überblicken, liefert Agent George eine durchaus kurzweilige Geschichte der spektakulärsten Cyber-Attacken.
Erinnern Sie sich noch an dem Wurm Stuxnet? Angeblich sollen amerikanische und israelische Geheimdienste mit eben jenem virtuellen Schädling das iranische Atomprogramm infiltriert haben. Das war 2010, und hier liegt das Problem des Buches: Es wurde in der Vor-NSA-Ära geschrieben. Interessant wird es immerhin – weniger für den Experten, aber durchaus für den Laien –, wenn George von jenen schwarzbebrillten Nerds erzählt, die auf Internet-Kongressen enthüllen, was wir uns noch gar nicht vorstellen können. Oder wollen.
O-Ton Kongress Vancouver (Voiceover): "Toll, dass Ihr hier noch herumhängt... es geht um das Hacken von Smart TV .... Ich bin Seung Jin Lee von der Universität Korea und ich mag es, die Schwachstellen von Geräten zu finden."
Die hat der junge Mann gefunden und erklärt, wie die Kamera an einem TV-Gerät die gesamte Wohnung ausspioniert, auch im Offline-Modus.
"Die Amerikaner sagen dazu: 'You name it, we have it' – Sie nennen es, wir machen es möglich! Früher konnte man zwischen Spionage, Sabotage und Kriminalität unterscheiden. Heute sind die Dinge nur einen Mausklick voneinander entfernt, da alle Täter ähnliche Werkzeuge verwenden. Nachrichtendienste spielen in diesem Konzert fleißig mit, sind aber auch schwer zu identifizieren."
Braver Verfassungsschützer über sein mühsames Gewerbe

Sie sagen es, Herr George! Als Leser freut man sich, dass der Autor und Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes sozusagen gleich vor der eigenen Haustüre kehrt. Allerdings freut man sich zu früh. Hier ist kein deutscher Whistleblower am Werk, eher ein kreuzbraver Verfassungsschützer aus Bayern, der uns erzählt, wie mühsam das Geschäft des zweitältesten Gewerbes der Welt ist.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Cover: "Geh@ackt - ein Agent berichtet" von Michael George© Rowohlt Verlag Reinbek
O-Ton: Anne Neuberger, NSA (Voiceover): "Wir würden liebend gern die Kommunikation der bösen Jungs von denen der guten Jungs trennen. Aber das ist technisch nicht möglich. Kommunikation trennt nicht zwischen Gut und Böse“.
Der Satz von Anne Neuberger, rechte Hand des kürzlich pensionierten NSA-Chef Keith Alexander, ist legendär. Auch die Philosophie des NSA-Generals: Vergiss die Nadel, sammle lieber den Heuhaufen. So weit würde Agent George natürlich nicht gehen, aber:
"Im Internet herrscht de facto Straffreiheit, was dem Staat die Möglichkeit entzieht, seine Schutzpflichten zu erfüllen. Die Anonymität im Netz spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie gilt zwar als eine der größten Errungenschaften, die mit dem Internet einhergeht, sie versetzt aber eben auch Online-Kriminelle in die Lage, anonym Straftaten zu begehen. Wir brauchen staatlich garantierte Anonymität, die nur unter strengen Auflagen aufgedeckt werden kann."
Zu wenig Einblick in die Welt der kriminellen Hacker
Ein auf den ersten Blick erstaunliches Bekenntnis eines Geheimdienstmannes, das er allerdings auf den zweiten Blick durch die Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung entschärft. Ein starker Staat also muss es richten, auch für die Unternehmen, von denen jedes zweite in Deutschland schon einer Cyber-Attacke ausgesetzt gewesen ist. Michael George muss es wissen, er berät Firmen bei der Abwehr von Internetspionage.
Spätestens hier hätte man sich mehr Einblick in die Welt der kriminellen Hacker gewünscht, bekommt aber nur ein paar hübsch erzählte Anekdoten von aufgeregten IT-Chefs angeblich großer Unternehmen. Um dann mit solchen Ratschlägen verabschiedet zu werden.
"Jeder Einzelne kann, wenn er denn will, etwas für die Sicherheit seiner Daten tun, beispielsweise durch Datensparsamkeit oder Verschlüsselung... Das Merkwürdige ist, dass das keiner tut. Mal ehrlich, wer postet aufgrund der Berichterstattung über PRISM oder Tempora weniger in den sozialen Netzwerken oder legt Dokumente verschlüsselt bei Dropbox ab?"
Das Buch "Gehackt" also ist eine nette Warnung vor allgewärtigen Hacker-Angriffen und ein kurzweiliges Sachbuch über ihre Aktivitäten. Einen wirklichen Blick hinter die Kulissen der Geheimdienste allerdings liefert der selbsternannte Agent nicht.

Michael George: Geh@ckt – Ein Agent berichtet
Rowohlt Verlag
288 Seiten, 19,95 Euro

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