Hachmeister: In deutschen Serien regiert die Langeweile

Lutz Hachmeister im Gespräch mit Dieter Kassel · 28.09.2009
Der Journalistik-Dozent und Filmproduzent Lutz Hachmeister hat die Juryentscheidungen für den Deutschen Fernsehpreis 2009 gelobt. Ausnahme seien die Preisverleihungen in der Kategorie Serie. "In der Serie regiert hier doch Konvention und Langeweile, und die Jury hätte eigentlich nur die Möglichkeit gehabt, zu sagen: Wir lassen diese Kategorie ganz aus", so Hachmeister.
Dieter Kassel: Am Samstagabend wurde in Köln der Deutsche Fernsehpreis vergeben, das ist ein gemeinsamer Preis von ARD, ZDF, RTL und Sat1, weshalb auch immer ein anderer Sender die Verleihung überträgt. Diesmal war es Sat.1 und auch wenn – das werden wir gleich tun im Gespräch mit Lutz Hachmeister – man an Einzelheiten der Preisverleihung und an der Preisvergabe einiges kritisieren kann, so muss man doch dieses Jahr auch zugeben: Die Moderation zumindest, die war gelungener als je zuvor. Da kann man auch wieder darüber reden, wie hoch die Latte lag – egal, diesmal wurde einiges geboten von Bastian Pastewka und Anke Engelke, die in ihren Rollen als Wolfgang und Anneliese den Filmpreis so moderierten:

Bastian Pastewka: Es gab ja viel Gerede über die Qualität im deutschen Fernsehen letztes Jahr, Tom, ich weiß gar nicht, hast du das mitbekommen? Ja?

Anke Engelke: Da war was los, aber wissen Sie, wir haben uns gesagt: Meckern, das kann jeder, besser machen, das können nur die Anneliese …

Pastewka: … und der verrückte Wolfgang!

Engelke: Und deswegen haben wir jetzt nach 13 Jahren endlich wieder einen gemeinsamen Film gemacht!

Pastewka: Ja, ist ein Superding geworden, es ist ein Wahnsinnsding, das beruht alles auf Tatsachen, viele große deutsche Schauspieler sind mit dabei. Es ist ein Film – kurzum – für die ganze Familie, er hat sehr viel Humor, sehr viel Spaß und sehr viel Blut.

Kassel: Es kam danach so eine Art Trailer für diesen Film und das war einer der ganz lustigen Momente bei der Preisverleihung, von denen es – und darüber wollen wir jetzt unter anderem reden – so arg viele, zumindest dann, wenn diese beiden nicht auf der Bühne standen, nicht gab. Lutz Hachmeister hat eine Menge gemacht in seinem Leben, er war viele Jahre lang Leiter des Grimme-Instituts in Marl, er war, das sei auch erwähnt, bis 2002 der Juryvorsitzende der Kommission, die den Deutschen Fernsehpreis verleiht. Er ist immer noch aktiv als Journalistikdozent, er macht selber auch Filme und deshalb werde ich gleich auch gratulieren müssen. Aber bevor ich so lange weiterrede, erst mal schönen guten Morgen, Herr Hachmeister!

Lutz Hachmeister: Hallo, ich grüße Sie!

Kassel: Ich möchte Ihnen gratulieren und damit auch gleich sagen, es schlagen in diesem Fall, was den Fernsehpreis angeht, natürlich ein bisschen zwei Herzen in Ihrer Brust. Sie haben zusammen mit dem Kollegen Mathias von der Heide den Deutschen Fernsehpreis bekommen für die Dokumentation "Freundschaft! Die freie deutsche Jugend". Dazu zunächst mal herzlichen Glückwunsch. Sie waren allein deshalb ja schon anwesend bei der Preisverleihung – hat gut drei Stunden gedauert, ein bisschen mehr als drei Stunden. Hatten Sie Spaß?

Hachmeister: Ja, das war sehr amüsant. Das war nicht jedes Jahr so, also, ich habe das ja mehrere Jahre auch durchlitten, sage ich mal, als Juryvorsitzender. Dann muss man natürlich auch an der Preisverleihung teilnehmen. Es ist ja so ein bisschen am Rand von Köln in einer etwas unwirtlichen Gegend, und die Veranstaltung hat sich dann doch sehr in die Länge gezogen, manchmal war die Moderation aufgeheiterter, manchmal aber auch sehr, sehr dröge und mit Preisträgern durchsetzt, die dann ungefähr 17 Parteien noch danken mussten, den Sendern, ihren Schwiegervätern, den Großmüttern. Und dieses Jahr war es doch sehr zügig, sehr lustig, sehr amüsant, so wie es eigentlich sein soll. Gute Preisverleihungen, das sieht man übrigens auch beim César in Frankreich, leben immer ein bisschen von Zynismus und Selbstironie der Branche, also, da darf man sich selbst auch nicht schonen und das ist Anke Engelke und Bastian Pastewka in diesem Jahr sehr gut gelungen.

Kassel: Na gut, den beiden schon, aber wo Sie gerade selbst sagen, Ironie der Branche: Anke Engelke und Bastian Pastewka haben auch zwei, drei Mal Scherze gemacht, die sich auf Doris Heinze bezogen, die ehemalige Fernsehspielchefin des NDR, die doch beruflich ein paar Rückschläge jetzt einstecken musste, weil sie unter Pseudonym verfasste Drehbücher ihres Mannes und auch von sich selbst beim NDR ganz günstig untergebracht hat. Das Erstaunliche war nur: Anke Engelke und Pastewka, die keine Drehbücher schreiben meines Wissens, haben sich getraut, da mehrmals was zu zu sagen, ansonsten keiner, und ansonsten habe ich auch viele Produzenten, Drehbuchautoren und Schauspieler auf der Bühne gesehen, die eher – in meinen Ohren – versucht haben, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Hachmeister: Ja, ich glaube, Nico Hofmann hat für eine neue Solidarität zwischen starken Redakteuren und starken Produzenten plädiert, mit starken Produzenten meinte er sich natürlich wahrscheinlich im Wesentlichen selbst, und die starken Redakteure kennt die Branche dann natürlich auch. Aber ich glaube, es ist vielleicht nicht der Moment, wenn man gerade einen Preis bekommt, noch mal ein sehr komplexes Thema wie die Beziehung zwischen öffentlich-rechtlichen Hauptabteilungsleitern und ihren Auftragnehmern aus der Produzentenszene zu reflektieren. Da reicht diese eine Minute auf der Bühne wirklich nicht aus. Und die Anspielungen der Kasselen waren ja deutlich genug. Es ist über Doris J. Heinze an sich ja auch das allermeiste gesagt worden.

Das Thema bleibt natürlich aller Untersuchung wert, also, diese Verflechtungstatbestände, die Kartelle zwischen potenten Produzenten, sage ich jetzt mal, und dem Management der öffentlich-rechtlichen Sender. Da haben wir ungefähr dieselben Probleme wie in der Bauwirtschaft bei öffentlichen Auftragsvergaben, und das darf natürlich mit diesem Einzelfall nicht erledigt sein, ich plädiere da seit mehreren Jahren dafür, da endlich mal eine gründliche Untersuchung ohne jakobinische sozusagen Haltungen durchzuführen, sondern wirklich mal die Daten und Fakten da zu recherchieren. Und das wird man an so einem Preisverleihungsabend mit einigen Anmerkungen sicherlich nicht erledigen können.

Kassel: Na ja, aber trotzdem – ich meine, ich muss auch ganz ehrlich sagen, ich teile ja Ihr Urteil, dass das so unterhaltsam war, auch dann, wenn Pastewka und Engelke nicht auf der Bühne standen, nicht so ganz. Ich hatte schon das Gefühl, die Leute, die da standen, haben zwar ein bisschen kürzer ihrem Produzenten, ihrer Anstalt, ihrer Mutter und ihrem Nachbarn gedankt als in den Jahren zuvor, aber sie haben immer noch das gemacht. Ich habe mich immer bei der Preisverleihung gefragt, mein Gott, ich meine, wenn diese Leute da auf der Bühne stehen – langsam kann ich viel besser erklären als vorher, warum ich als Fernsehfreund inzwischen weniger gucke.

Hachmeister: Na ja, wenn man so viele Preisverleihungen hat wie ich, also, ich habe ja auch schon vier, fünf Jahre die Grimme-Preise organisieren müssen, dann kennt man natürlich die Nervositäten, die Verpflichtungen der Menschen, die da auf die Bühne kommen. Und so originell ist selbst der Oscar nicht, obwohl sich da jeder von Starschreibern seine fünf Zeilen vorformulieren lassen kann, die er dann auf der Bühne sagt. Wer schon mal die Oscarverleihung zur Gänze gesehen hat, der weiß auch, dass die Leute da durchaus langweilige Momente erleben und die wenigen Highlights, die dann zusammengeschnitten werden, machen dann das hohe Entertainment-Image aus. Ich denke, da muss man das Genre Preisverleihung auch mal so nehmen, wie es ist. Das kann sicherlich noch spannender, noch amüsanter werden, daran kann man weiter arbeiten wie an jedem professionellen Film- und Fernsehprodukt. Aber das da an dem letzten Samstag – und das sage ich nicht, weil ich selber einen Preis bekommen habe und auf die Bühne musste, das ist ja auch immer eine gewisse Aufregung – war schon im oberen Drittel dessen, was man erzielen kann mit solchen Preisverleihungen.

Kassel: Zusammenschnitte sind immer besser, so was können wir ja ein bisschen auch machen, um auch mal auf das Thema Unterhaltung zu kommen, hören wir uns mal Thomas Gottschalk an, der war der erste Preisträger, war ganz früh mal schnell dran und er hat – man ist zunächst versucht, zu sagen, Gott sei Dank, völlig ignorieren kann man das nicht, es ist ein Jahr her erst – noch mal Bezug genommen auf den Reich-Ranicki-Skandal vom vergangenen Jahr.

Thomas Gottschalk: (Mit der Stimme von Marcel Reich-Ranicki:) Sie bringen mich in größte Verlegenheit, meine Damen und Herren! Betrachten Sie meine Konkurrenten. Das sind Komiker, und es ist eben nicht die göttliche Komödie, die wir aufführen. Dieser Preis ist eine Katastrophe für mich, aber hätte ich ihn nicht bekommen, wäre die Katastrophe noch größer. … Also, herzlichen Dank!

Kassel: Thomas Gottschalk, ein bisschen in der Rolle von Reich-Ranicki bei der Fernsehpreisverleihung am Samstagabend – wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Filmemacher und Fernsehkritiker Lutz Hachmeister. Herr Hachmeister, wenn man das so hört – ich meine, Gottschalk verzeiht man immer alles – ist es doch der ultimative Beweis: Was da letztes Jahr passiert ist, hat nun wirklich gar nichts verändert. Man muss leider sagen: Elke Heidenreich hat ihren Job umsonst verloren.

Hachmeister: Nein, das ist richtig, aber ich glaube, selbst wenn man Reich-Ranicki heißt, dann wird man mit einer Rede und einer Verweigerungsgeste die sehr eingefahrenen Strukturen im deutschen Fernsehen nicht ändern. Das fand ich schon damals etwas grotesk, zu glauben, weil es einen solchen Auftritt eines Literaturkritikers auf der Bühne der Fernsehpreisverleihung gibt, setzt nun eine massive Qualitätsdebatte ein, die schon vorher nicht richtig funktioniert.

All diese Texte über Qualität im Fernsehen – und auch ich habe mich ja genügend daran beteiligt –, die ändern natürlich nicht wesentlich was an den Verhandlungsbedingungen zwischen Autoren, Produzenten auf der einen Seite und den Auftraggebern, die die Fernsehsender nun mal sind, auf der anderen Seite, sondern da muss man sehr hart in die Einzelheiten gehen, über Budgets reden, über Personen, die bestimmte Stellen besetzen, immer noch über den Parteieneinfluss, der eine große Rolle spielt bei der Nominierung von Kandidaten für Führungspositionen, über die Schwäche des deutschen Privatfernsehens – also, das befindet sich nun wirklich in einer gravierenden, wirtschaftlichen Krise. Das alles sind Faktoren, die dann letztlich zusammenkommen und das ausmachen, was Fernsehen leisten kann, in dem Moment leistet. Und das hat mit solchen Festtagsreden oder auch Festtagsverweigerungen nichts zu tun.

Kassel: Ich fand, der traurigste Moment war bei der Preisverleihung der Moment, als es um deutsche Fernsehserien geht. Man muss ohnehin sagen, man hatte auch gerade am Samstag wieder das Gefühl: Wenn es um Journalismus – vielleicht mit einer Ausnahme, nämlich der Wahlberichterstattung –, wenn es um Journalismus ging, um alles, was im weitesten Sinne Dokumentation, Feature, aber auch anspruchsvoller Fernsehfilm ist, wie "Mogadischu", "Ein halbes Leben", die auch ausgezeichnet wurden in verschiedenen Kategorien – da ist die Welt noch halbwegs in Ordnung im deutschen Fernsehen. Als es dann um die deutschen eigenproduzierten Fernsehserien ging, da hatte die Jury so ein bisschen die Wahl zwischen schlecht und unglaublich schlecht, hat sich für schlecht entschieden. Was kann denn da noch passieren? Weil wir erleben ja zum Beispiel auch, wie die Leute, die Unterhaltung wollen, die jungen Zuschauer, auf DVD oder Internet zunehmend zugreifen, weil es in den USA und in England ja so was gibt. Was kann denn da endlich mal passieren, dass die Unterhaltung besser wird?

Hachmeister: Sie haben recht, der Abstand zwischen der Weltspitze und dem, was in Deutschland produziert wird, ist in diesem Genre Fernsehserie sicherlich am weitesten. In allen anderen Gewerken kann das deutsche Fernsehen sehr gut mithalten, es liefert glaube ich auch im großen Ganzen gesehen ein erstaunlich vielfältiges Angebot. Aber in der Serie regiert hier doch Konvention und Langeweile, und die Jury hätte eigentlich nur die Möglichkeit gehabt, zu sagen: Wir lassen diese Kategorie ganz aus. Das sieht dann auch immer so ein bisschen aus wie mit der Faust aufs Auge geschlagen, und dann haben sie halt diese drei Serien gefunden, die ich jetzt im Einzelnen gar nicht kritisieren will.

Aber ich denke, es bedürfte wirklich einer gemeinsamen Anstrengung der Produzenten und Manager des Fernsehens, zu sagen: In diesem Genre müssen wir einfach zulegen, mehr wagen, auch mehr ästhetisch wagen. Wenn man sieht, was "HBO", dieser amerikanische Pay-TV-Sender, da inzwischen aufbietet an Qualität – viele Regisseure in den USA machen ja inzwischen fast lieber diese Fernsehserien als Kinofilme, weil sie da mehr Freiheiten haben und andere Geschichten erzählen können. Tom Hanks und Steven Spielberg machen diese Fernsehserien. Da ist eine andere Kultur entstanden in den USA, zum Teil auch in Großbritannien, als hier. Man kann immer nur wieder darauf hinweisen, wie desaströs die Lage in diesem Genre ist. Solange sich nicht einzelne Persönlichkeiten im Sendermanagement finden und sagen, wir ändern jetzt wirklich etwas daran, wir nehmen Geld in die Hand und wir vergeben andere Aufträge, wird sich daran natürlich nichts ändern.

Kassel: Hätte denn die Jury – Sie waren ja selber von 2000 bis 2002 drin –, hätte denn die Jury die Möglichkeit gehabt, zu sagen, in wenigstens einer Kategorie, Serie zum Beispiel, verleihen wir nicht? Beim Grimme-Preis kommt es vor. Kann das die Fernsehpreisjury machen?

Hachmeister: Sie kann das machen. Wir haben das in meiner Zeit als Juryvorsitzender auch getan, wir haben zum Beispiel bei "Beste Informationssendung" "Kulturzeit" nominiert und nicht, wie die Sender gerne gehabt hätten, die RTL-Nachrichten oder die "Tagesschau" oder das "Heute-Journal". Das hat damals doch für Unfrieden gesorgt zwischen der Jury und den Sendern. Das muss man sich schon ab und zu mal trauen, wenn man so ein Zeichen setzen will und nicht nur die Juryarbeit mit angenehmen Abenden und nettem Beisammensein verbringen will, wobei andererseits die Juryentscheidungen in diesem Jahr – abgesehen von den Dingen, die Sie angesprochen haben – sind sämtlich räsonabel. Das zeigt auch die Pressekritik, die ansonsten mit dem Deutschen Fernsehpreis ja immer sehr unsanft umgeht.

Kassel: Gebe ich auch zu.

Hachmeister: In diesem Jahr, muss man sagen, ist das durchaus auf Wohlwollen gestoßen, was die Jury da entschieden hat.

Kassel: Gebe ich auch zu und sage an dieser Stelle noch mal: Sie können sich auch freuen, dürfen sich auch freuen: Der Film "Freie deutsche Jugend", der Film von Ihnen zusammen mit dem Kollegen Mathias von der Heide hat auch einen Preis bekommen. Manchmal haben Sie ja recht bei der Jury, manchmal können sie auch nicht viel machen. Lutz Hachmeister, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Hachmeister: Bitte sehr!