H. J. Schädlich über "Felix und Felka"

"Die Geschichte ist eine Anklage auch gegen Hetze heute"

Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich.
Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich. © dpa / picture alliance / Carmen Jaspersen
Moderation: Andrea Gerk · 25.01.2018
Der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich erzählt in "Felix und Felka" von den letzten Lebensjahren des jüdischen Künstlerehepaars Felix Nussbaum und Felka Platek. Die beiden starben in Auschwitz. Ihre Geschichte habe auch mit der Gegenwart zu tun, sagt Schädlich.
Andrea Gerk: Von den letzten Lebensjahren des Künstlerehepaars Felix Nussbaum und seiner polnisch-jüdischen Frau Felka Platek erzählt der Schriftsteller Hans Joachim Schädlich in seinem neuen Buch "Felix und Felka". Die Geschichte beginnt in der Villa Massimo in Rom, die das Paar nach einem tätlichen Angriff des Künstlerkollegen Hanns Hubertus Graf von Merveldt verlassen muss. Eine Rückkehr nach Deutschland ist unmöglich. Es folgt eine Odyssee durch Europa, die in Auschwitz endet. Jetzt ist Hans Joachim Schädlich bei mir im Studio. Guten Morgen, Herr Schädlich, schön, dass Sie da sind!
Hans Joachim Schädlich: Guten Morgen, Frau Gerk!
Gerk: Wahre Geschichten mit historischen Figuren, das ist ja so ein bisschen Ihre Spezialität. Sie hatten zuletzt den Roman "Narrenleben" und "Sire, ich eile", die spielten beide im 18. Jahrhundert. Wie sind Sie denn jetzt im 20. Jahrhundert gelandet? Was hat Sie da hingeführt?
Schädlich: Generell beschäftige ich mich ja schon von Anfang an mit dem Thema, das ich nenne "Die Unmächtigen und die Mächtigen". Ich meine damit nicht die Ohnmächtigen, sondern die Unmächtigen. Und unter dieses Thema gehört auch das Leben von Felix Nussbaum und Felka Platek. Der unmittelbare Anstoß für die Beschäftigung war für mich eine Gedenktafel an einem Haus in meiner Nachbarschaft, in der Xantener Straße in Wilmersdorf. Man liest auf der Gedenktafel: "In dem Haus, das früher hier stand, lebte und arbeitete von 1928 bis 1932 Felix Nussbaum, 1904 - 1944, Maler, ermordet in Auschwitz." Als ich das gelesen hatte, habe ich mich lange und sehr gründlich mit Nussbaum beschäftigt. Ich wollte ihm nahekommen.
Gerk: In einem Brief aus dem Jahr 1939 schreibt Nussbaum an den in den USA lebenden Ingenieur Friedrich Klein, der ihn fördert: "Die Begeisterung zur Kunst ist trotz der Zeit, in welcher wir leben, nicht beeinträchtigt worden. Im Gegenteil sogar." Jetzt haben Sie selbst ja auch in einem repressiven Staat gelebt, Sie waren in der DDR Sprachwissenschaftler an der Akademie der Wissenschaften, und Sie wurden ja argwöhnisch beäugt, bis Sie dann 1977 ausreisten. Können Sie diese Haltung von Nussbaum nachvollziehen?
Schädlich: Meine Schwierigkeiten in der DDR, die sind im Grunde gar nichts gegen das, was Nussbaum erlebt hat. Er musste ja 1933 die Villa Massimo verlassen in Rom. Und von da an lebte er als Heimatloser, während ich zum Beispiel und meine Familie 1977 aus der DDR in die Bundesrepublik reisen durften und im selben Land, in derselben Sprache weiterleben konnten.

"Klage gegen antijüdische Hetze in der Gegenwart"

Gerk: Aber gibt es trotzdem Berührungspunkte zu Ihrem Leben? Denn diese Zeit, die das Buch jetzt umfasst von 1933 bis '44, da sind Sie ja quasi hineingeboren. Sie sind Jahrgang '35. Haben Sie da, als Sie sich jetzt damit auseinandergesetzt haben, mit diesem Leben, auch noch mal Berührungspunkte zu Ihrem eigenen Leben gesehen und gespürt?
Schädlich: Ich habe die ganze Geschichte von Felix und Felka empfunden als eine Anklage, als eine Klage gegen das Naziregime. Die Geschichte ist immanent eine Klage, ohne dass das in dem Buch gesagt wird. Es ist eine Klage gegen das Naziregime, aber nicht nur das. Ich empfinde es auch als eine Klage gegen Antisemitismus und antijüdische Hetze in der deutschen Gegenwart, heute. Und das beschäftigt mich sehr. Es heißt ja, die Existenz und die Sicherheit Israels sei sozusagen ein Teil der Staatsräson der Bundesrepublik. Aber manchmal frage ich mich, reagieren die Behörden, die Gerichte der Bundesrepublik dementsprechend konsequent und streng genug auf Antisemitismus und antijüdische Hetze. Ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich, nicht streng genug.
Gerk: Sie gelten ja als ein Meister der literarischen Verknappung, und tatsächlich ist auch in diesem Buch, sind das oft sehr kleine, ganz reduzierte Szenen, die so auf das Wesentliche beschränkt sind. Dazwischen sind manchmal Briefe einmontiert. Wie kommen Sie zu dieser Form, wie arbeiten Sie sich dahin, zu so einer Verdichtung des Materials?
Schädlich: Sie haben das richtige Wort gewählt. Es handelt sich um eine Reduktion. Ich habe in den letzten Büchern versucht, für den Leser oder Hörer durch die Reduktion auf das, was ich das Relevante nenne, unter Ausschluss von Überflüssigem oder Redundantem, dem Leser oder Hörer einen Freiraum zu schaffen, der es ihm erlaubt, selbst den Text weiterzudenken und seine Fantasie zu entfalten. Ich weiß, dass ich damit nicht unbedingt bei allen gut ankomme, aber das nehme ich gern hin. Ich habe auch nichts dagegen, wenn Autoren alles möglichst detailreich und breit darstellen. Aber das ist nicht mehr mein Stil. Meine Poetik ist die Reduktion auf das Relevante.
Gerk: Ich fand es sehr inspirierend, weil man eben, wie Sie sagen, sehr viel Raum hat, den man selbst füllen kann, und eigentlich dadurch dieses Geschehen einem ja sehr viel näher tritt.
Schädlich: Dann hat es bei Ihnen funktioniert.
Gerk: Auf jeden Fall. Aber wie kommen Sie dahin? Denn Sie haben ja auch hinten dann einen Anhang, in dem Sie auch angeben, welche Dokumente Sie durchgearbeitet haben. Das ist ja sehr viel. Wie wird aus diesem Vielen dann so was Elegantes, Schlankes, Luftiges?
Schädlich: Das kann ich im Einzelnen gar nicht beschreiben. Es ist eine sehr intensive Arbeit, Konzentration auf das, was mir wichtig erscheint, und dann stellt man fest, die Zeit, die Arbeit für die Recherche nimmt viel mehr Raum und Zeit in Anspruch als die Zeit für die Niederschrift selbst. Es ist sozusagen ein schwer beschreibbarer Vorgang der Konzentration. Natürlich muss ich dann entscheiden, was für mich wie gesagt das Wichtige ist.

"Versucht, die beiden lebendig zu machen"

Gerk: Wie stark bleiben Sie denn bei den Fakten jetzt in dem Fall der Lebensgeschichte von Nussbaum?
Schädlich: Ich bleibe sehr genau bei den Fakten. Ich habe versucht, mir die letzten zehn, elf Lebensjahre von Felix und Felka im Exil vor Augen zu führen. Es ist der Versuch, mir das alltägliche Leben dieser beiden in den Jahren des Exils gegenwärtig zu machen. Oder man könnte auch sagen, ich habe versucht, mir die beiden lebendig zu machen. Ob das für andere, die das lesen, auch lebendig geworden ist, weiß ich nicht. Ich bin immer erst mal davon ausgegangen, dass ich es mir vor Augen führen möchte, dass ich es für mich lebendig machen will, damit mir oder für mich Felix und Felka leben.
Gerk: Das hatte sich ja Nussbaum ja gewünscht, dass seine Bilder weiterleben. Haben Sie auch natürlich, nehme ich an, sehr viel diese Malereien von ihm studiert, oder?
Schädlich: Ja. Aber das Buch ist keine kunsthistorische Darstellung. Die großen kunsthistorischen Darstellungen liegen vor in bewundernswerten Bildmonografien von Peter Jungk, Wendelin Zimmer, Inge Jaehner, Eva Berger, Karl-Georg Kaster und von Manfred Mainz. Die sind in den Jahren 1982 bis 2009 erschienen, große Monografien. Aber das ist nicht mein Ziel gewesen, die kunsthistorische Seite darzustellen, sondern ich wollte, wie ich schon gesagt habe, das alltägliche Leben darzustellen versuchen.
Gerk: Das ist ja auch eine sehr bedrückende Geschichte, und diese Angst, die Beklemmung dieser zwei Menschen, die vermitteln Sie sehr gut. Trotzdem hat der Text eine überraschende Leichtigkeit. Ich habe mich gefragt, ob das auch was mit den Bildern von Nussbaum zu tun hat, ob Sie das zu dieser Leichtigkeit inspiriert hat. Es hat was Gemaltes, Ihr Text.
Schädlich: Nein, das glaube ich eigentlich nicht, dass das was mit den Bildern zu tun hat. Die beiden haben sich zwar in den ersten Jahren des Exils als Malertouristen verstanden. Sie haben ja in den ersten Jahren an der italienischen Riviera gelebt, dann in Brüssel. Aber ab 1940, nach der Besetzung der Benelux-Staaten durch die deutsche Wehrmacht, nach der Besetzung von Belgien und Brüssel, vor allem auch nach dem Aufenthalt Nussbaums, dem Zwangsaufenthalt in einem Internierungslager in Saint-Cyprien in Südfrankreich sind die Bilder verändert. Sie zeigen jetzt die Isolation, die Bedrohung und auch die Todesangst.
Gerk: Also ein Maler, mit dem man sich auf jeden Fall unbedingt beschäftigen sollte. Kann man auch jetzt in dem wunderbaren Buch von Hans Joachim Schädlich. Vielen Dank, dass Sie hier bei uns waren, Herr Schädlich! Und das neue Buch von Hans Joachim Schädlich trägt den Titel "Felix und Felka" und ist beim Rowohlt-Verlag erschienen. 202 Seiten kosten 19,95 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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