H. Glenn Penny: "Im Schatten Humboldts"

Erblasser der Menschheit

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Das Cover zu H. Glenn Pennys "Im Schatten Humboldts" auf einer orangenen Fläche
Der Historiker H. Glenn Penny betrachtet in "Im Schatten Humboldts" die Geschichte der ethnologischen Sammlungen in Deutschland. © C.H. Beck Verlag/ Montage: Deutschlandradio
Von Günther Wessel · 27.07.2019
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Wie umgehen mit fremden Artefakten in deutschen Museen? Der Historiker H. Glenn Penny hat eine "tragische Geschichte der deutschen Ethnologie" geschrieben. Das geplante Berliner Humboldtforum kritisiert er scharf.
H. Glenn Penny hat in "Im Schatten Humboldts" eine lebendig formulierte, spannende Geschichte der Sammelwut deutscher Ethnologen verfasst. Entscheidend für die ethnologischen Sammlungen in Deutschland waren laut Penny ein Mann und dessen Idee: Adolf Bastian, dem "Vater der deutschen Ethnologie". 1826 geboren, promovierter Naturwissenschaftler, Privatgelehrter und Reisender auf Humboldts Spuren. Bastian ging von einer einheitlichen Menschheit aus: Die Natur habe alle Menschen gleich ausgestattet und die verschiedenen Kulturen seien nur Ausformungen bestimmter Lebensräume. Es gebe Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen, und diese gelte es mit all ihren Variationen zu finden, um eine Gesamtgeschichte der Menschheit schreiben zu können.
Diese Idee hatte Auswirkungen auf die Sammlungs- und Ausstellungspolitik der ethnologischen Museen: Bastian und seine Nachfolger wie Felix von Luschan oder Fritz Termer waren nicht an Einzelstücken interessiert. Sie wollten Kulturen verstehen und darstellen, weshalb sie sich bemühten, komplette Konvolute zu erwerben – wie die Bronzen aus Benin, die nach den dortigen Plünderungen britischer Soldaten 1897 auf den Markt kamen.

Ethnologische Sammlung in Berlin - großes Chaos

Von Luschan erwarb den Großteil, und er zog Schlüsse aus den Werken: Sie seien genuin regional und zudem technisch auf dem höchsten Stand – für ihn ein deutlicher Beweis, dass die aufkommenden Rassenlehre eine Pseudowissenschaft sei, gegen die er sich immer wieder vehement aussprach. Gleichzeitig erfreute ihn der Kolonialismus, denn er erhoffte sich dadurch einen weiteren Sammlungsschub.
Die ethnologische Sammlung in Berlin umfasste bald eine halbe Million Objekte. Die Fülle schuf ein Problem: Es gab weder Platz noch Ressourcen, die Sammlung aufzuarbeiten und komplett zu zeigen. Entweder war die Ausstellung ein überbordendes Chaos oder die Museumsmacher mussten sich doch auf einzelne Schaustücke konzentrieren. So setzte sich der Museumsalltag durch: Unter Wilhelm von Bode als Generaldirektor der Kunstsammlungen wurde die ethnografische Sammlung von der Denkwerkstatt zum Schauort, der besondere Einzelstücke präsentierte – eine völlige Umkehrung von Bastians Idee. Und so blieb es bis in die Gegenwart.

Das geplante Humboldt Forum: zu klein

Heute, konstatiert Penny, drohen Bastians Ideen und die Sammlung, erneut auf der Strecke zu bleiben. Das geplante Humboldt Forum in Berlin sei viel zu klein – nicht mehr als eine weitere Schausammlung mit Espressobar.
Die entscheidende Frage sei auch nicht, ob und welche Objekte restituiert werden müssten. Stattdessen brauche man Raum, Zeit und Geld, um endlich mit der Sammlung zu arbeiten: interdisziplinär mit Forschern aus aller Welt, aus den Herkunftsgebieten, in Verbindung von Präsentation, Forschung und Wissenschaft. Dann erst gelinge es, ihren Schatz zu heben und das Erbe der Menschheit zu erforschen.

H. Glenn Penny: "Im Schatten Humboldts. Eine tragische Geschichte der deutschen Ethnologie"
Aus dem Englischen von Martin Richter
C.H. Beck, München 2019
288 Seiten, 27,80 Euro

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