H.D.

Von Marli Feldvoß · 27.09.2011
Die Amerikanerin Hilda Doolittle gehört zu den Begründerinnen der literarischen Avantgarde in den 1920er Jahren, den Imagisten: Sie standen für eine "harte und klare Dichtung", den "freien Vers". Doch nicht nur ihre Lyrik und Prosa - auch Doolittles Leben war sehr unkonventionell.
""Helen is of course that Helen of Sparta, Helen of Troy, Helena hated the Greeks …” "

"Helen in Egypt" (Helena in Ägypten) heißt das 300 Seiten starke Spätwerk von Hilda Doolittle, das die Autorin im Klageton vorträgt. Doolittle versetzt die "Schöne Helena" von Troja nach Ägypten, verzichtet auf jede heroische Handlung und erkundet stattdessen die Identitätsprobleme ihrer Heldin. Das Epos "Helen in Egypt" ist der Höhepunkt der antiken Neulektüren durch die Amerikanerin, die zu den Begründern der Avantgarde der "Imagists", der angloamerikanischen Bewegung der Imagisten, gehörte. Ihr erster Gedichtband "Sea Garden" erschien 1916. Die Imagisten standen für den Bruch mit den traditionellen literarischen Konventionen der viktorianischen Zeit und propagierten - in Abkehr von starren Rhythmen und Reimen - eine "harte und klare Dichtung", den "freien Vers".
Anders als ihre Mitstreiter Ezra Pound oder T.S. Eliot wurde H.D., wie sie sich von Anfang an nannte, erst in den 80er-Jahren in den Kanon der Avantgardedichtung aufgenommen. Es war Ezra Pound, der ursprünglich ihr Talent erkannte und sie unter seine Fittiche nahm. An Harriet Monroe, die Herausgeberin des amerikanischen Magazins "Poetry", schrieb er:

"Ich hatte wieder Glück und schicke Dir heute moderne Sachen von einer Amerikanerin, modern, weil aus ihnen die lakonische Sprache der Imagisten spricht, wenn das Thema auch klassisch ist. H.D. hat mit diesen Dingen schon ihre Kindheit verbracht, lange bevor sie darüber Bücher las. Solche amerikanischen Texte kann ich hier und in Paris zeigen, ohne mich lächerlich zu machen. Objektiv, nichts Schwammiges, direkt – kein überflüssiges Adjektiv, keine Metaphern, die nicht der Prüfung standhalten. Die Rede ist schmucklos, schlicht wie die Griechen!"

Tatsächlich war, die am 10. September 1886 in Bethlehem, Pennsylvania in einer Herrnhuter Gemeinde geborene, Hilda Doolittle mit dem nur ein Jahr älteren Ezra Pound kurze Zeit verlobt. Sie folgte ihm 1911 nach London, tauchte in den Kreis der Imagisten ein und sollte nur noch besuchsweise in ihre Heimat zurückkehren.
Das abenteuerliche Leben der bisexuellen und für ihre Schönheit gerühmten H.D. überschattet indes das der Dichterin. Nach dem Scheitern der Ehe mit dem britischen Schriftsteller Richard Aldington und der Geburt ihrer Tochter Perdita schloss sie sich der reichen britischen Erbin und Schriftstellerin Bryher (eigentlich Winifred Ellerman) an und blieb bis zuletzt ihre Lebensgefährtin. Über die rührige Mäzenin Bryher hatte sie Zugang zu der Filmzeitschrift "Close Up" und der Filmgruppe "Pool". Ihre Gedichte erschienen in der Zeitschrift "Life" and "Letters Today". Das wohl bekannteste Gedicht über die Bergnymphe "Oreade" hat leitmotivischen Charakter für ihr Werk.

"Quirl auf, Meer –
Quirl deine Kienzapfen,
Gisch deinen hohen Pinienwald
An unser Felsriff
Überbäum uns mit deinem Grün,
Überdach uns mit Tümpeln aus Tann."

(aus "Oreade”)

Mit der erotisierten Naturdarstellung, Wortspielen, doppeldeutigen Metaphern, Vereinigung von Gegensatzpaaren, die oftmals Gender-Aspekte hervorhoben und stereotype Merkmale auflösten, weist H.D. bereits über den Imagismus hinaus. Ein größeres Lesepublikum erreichte sie jedoch erst in den 50er- und 60er-Jahren durch die Prosawerke "Tribute to Freud" – sie unterzog sich von 1933 bis 1934 in Wien einer Analyse - und "Bid me to Live", ihren Memoiren. Ihre Wiederentdeckung in den Achtzigern verdankt sie der Frauenbewegung, die den feministischen Charakter ihrer Texte neu bewertete.
Heute zählt H.D. mit ihrem umfangreichen Werk, ihren innovativen formalen Experimenten und radikalen Neulektüren westlicher Mythen zu den wichtigsten Autorinnen der angloamerikanischen Moderne. Hilda Doolittle lebte nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz, war von schwacher Gesundheit und erlitt 1961 einen Schlaganfall, von dem sie sich nicht erholte. Sie starb am 27. September 1961 in Küsnacht. Ihr Buch "Helen in Egypt" war gerade erschienen.