Gysi tritt ab

Emotionaler Abschied des Fraktionschefs

Gregor Gysi nimmt seine Jacke, rückt sich die Krawatte zurecht und geht
Nu is mal jut: Gregor Gysi nimmt Abschied vom Amt des Linken-Fraktionschefs. © picture alliance / dpa/ Oliver Berg
Von Gerhard Schröder · 08.06.2015
Seit 25 Jahren steht Gregor Gysi in der ersten Reihe der Partei "Die Linke". Doch jetzt will er nicht mehr: Auf dem Parteitag in Bielefeld nahm er mit tränenerstickter Stimme Abschied vom Fraktionsvorsitz und teilte mit, er werde nicht wieder antreten.
"Zum Schluss will ich allen Mitgliedern unserer Partei, euch und Ihnen, ein Wort sagen: Danke!"
Die Stimme stockt, Gregor Gysi faltet sein Redemanuskript zusammen, steckt es in seine Jackettasche, und blickt mit versteinerter Miene ins Publikum. Die Delegierten erheben sich, und huldigen ein letztes Mal ihrem Fraktionsvorsitzenden.
Wenige Minuten zuvor war zur Gewissheit geworden, was viele befürchtet hatten: Gregor Gysi, die Gallionsfigur der Linkspartei, tritt ab von der großen politischen Bühne:
"Heute spreche ich letztmalig als Vorsitzender unserer Bundestagsfraktion auf einem unserer Parteitage. Ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu geben."
Der Saal ist jetzt mucksmäuschenstill, niemand tuschelt, niemand klatscht. Seit Wochen hat die Partei diesem Moment entgegen fiebert. Und es dauert eine Weile, bis die Delegierten begreifen, dass Gregor Gysi, der Superstar der Partei, gerade seinen Rückzug angekündigt hat.
Delegierte:
"Wir sind alle traurig, sehr traurig. Aber er bleibt uns ja erhalten in der Partei."
"Ich würd mal sagen, ohne Gregor, ohne Hans, ohne Lothar, weiß ich nicht, ob ich die Wende überstanden hätte."
"Jüngere Leute, find ich gut. Ich hoffe jetzt auch, dass Sarah jetzt zur Verfügung steht. Sahra und Bartsch, Doppelspitze, das war beschlossen, das ist doch in Ordnung."
Rhetorisches Talent
Seit 25 Jahren steht Gysi in der ersten Reihe, mal als Fraktionschef, mal als Parteivorsitzender. Sein rhetorisches Talent fiel einem größeren Publikum erstmals am 4. November 1989 auf, als er vor 500.000 Menschen auf dem Alexanderplatz sprach. Einen Monat später wurde er prompt zum Vorsitzenden der Einheitspartei SED gewählt, die unter Gysis Führung und neuem Namen einen mühevollen Weg in die Demokratie antrat:
Gysi: "Dass es uns gelungen ist, die Partei so umzukrempeln und Schritt für Schritt die Akzeptanz im Osten zu erweitern, das war eine Leistung, auf die wir stolz sein können."
Gemeinsam mit Oskar Lafontaine verschmilzt Gysi die ostdeutsche PDS mit der westdeutschen Neugründung WASG zur gesamtdeutschen Linken. Eine schwierige Allianz, die immer wieder durch quälende Grabenkämpfe in Frage gestellt wird.
Unvergessen die furiose Wutrede, mit der Gysi auf dem Göttinger Parteitag vor drei Jahren die Spaltung der Partei verhindert.
Angeführt von ihrem Zugpferd steigt die Linke wenig später zur größten Oppositionspartei auf.
"Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren und zwar selbstbewusst, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse."
Gysi will die Linken auf Regierungsbeteiligung eichen
Ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Grünen – auf Länderebene funktioniert das längst, in Thüringen sogar mit einem linken Ministerpräsidenten an der Spitze. Wir müssen auch im Bund aus der Rolle der ewigen Oppositionspartei herauskommen, sagt Gysi, am besten schon 2017.
Dagegen aber sperrt sich der Linke-Flügel um die stellvertretende Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.
Wagenknecht: "Ich denke, wir sind uns völlig einig, die Linke ist sicherlich nicht gegründet worden, um in dieser trüben Suppe mitzuschwimmen, auch wenn das hierzulande als Ausweis für Regierungsfähigkeit und Pragmatismus gilt."
Ausgerechnet Wagenknecht soll Gysi an der Spitze der Linkspartei nachfolgen – gemeinsam mit dem ostdeutschen Oberrealo Dietmar Bartsch – so will es Gysi. Und so will es auch Parteichef Bernd Riexinger:
"Es ist keine Frage, dass die beiden zu den Favoriten gehören, ich bin da ganz optimistisch und wir werden dann einen Vorschlag unterbreiten.""
"Zu wenig Zeit für meine Angehörigen"
Gysi bleibt der Partei erhalten, aber nicht mehr an vorderster Stelle. Jetzt müssen mal andere den Karren ziehen, sagt der 67-Jährige.
Gysi: "Ich habe viel zu wenig Freundschaften gepflegt, ich hatte viel zu wenig Zeit für meine Angehörigen, und das lag nicht an euch, sondern es lag an mir, weil ich zu selten Nein sagte, mich viel zu wichtig nahm."
So Gysi zum Abschluss seiner bewegenden Abschiedsrede, die mit einer großen Verbeugung vor seiner Familie endet:
"Bei meinen Angehörigen, meinen Freundinnen und Freunden möchte ich mich heute aufrichtig entschuldigen. Es tut mir sehr, sehr leid."
Mehr zum Thema