Gute Besserung? - Was haben Obamas Finanzspritzen gebracht?

Von Beatrice Ürlings · 27.10.2010
2009 unterzeichnete US-Präsident Obama in den American Recovery Act, ein milliardenschweres Konjunkturpaket. Doch während nationale Forschungslabore in Denver von dem Geldsegen profitierten, gingen andere Wirtschaftsträger leer aus.
Die Kontrolle lässt nichts aus. Motor, Stoßstange, Türverkleidung – jeder Winkel des Wagens wird durchleuchtet. Dann geht’s zum Background Check, wo eine Menge Papiere vorgelegt werden müssen: Genehmigungsschreiben, Ausweis, Visum. Verglichen mit den Sicherheitsbestimmungen hier ist die Einreiseprozedur an den US-Flughäfen fast schon ein entspannendes Ferienerlebnis. "Sie müssen verstehen, wir sind das wissenschaftliche Kronjuwel der Nation", sagt Joe Verrengia, der dafür zuständig ist, dass die Besucher von auswärts ja nicht auf eigene Faust losziehen.

Verrengia arbeitet für das National Renewable Energy Laboratory, kurz: NREL. Die staatliche Forschungseinrichtung in Golden, Colorado, ist ein Stück Amerika, entstanden als Teil eines Systems von Großforschungseinrichtungen, um die nationalen Interessen der Vereinigten Staaten zu sichern.

Der bekannteste Vertreter des Netzwerkes ist das Kernforschungszentrum Los Alamos im benachbarten New Mexico. Dort wurde die erste Atombombe entwickelt. Auf dem Höhepunkt des Golfkrieges hatten auch beim NREL in Golden militärische Projekte Vorrang, erläutert Verrengia.

"Wir sind für die Entwicklung alternativer Energieträger zuständig. Ja, wir haben Verträge mit dem Pentagon, aber im Gegensatz zu unserer Schwestereinrichtung in Los Alamos erfinden wir keine Waffen. Zu den militärischen Innovationen, die hier entstanden sind, gehören dagegen flexible Solarmodule, die jetzt im Irak und in Afghanistan gebraucht werden. Die werden in die Zelte, Uniformen und Rucksäcke eingewebt, damit die Soldaten auch ohne Benzin oder Strom operieren können!"

Seit Obama Präsident ist, sind die Bedürfnisse der Armee jedoch in den Hintergrund gerückt. Um die angeschlagene Konjunktur wieder auf Trab zu bringen, wird jetzt auch am NREL fieberhaft Grundlagenforschung betrieben. Die Forschungseinrichtung gehört zu den größten Nutznießern der Konjunkturhilfen aus Washington. Während viele Wirtschaftsträger des Landes immer noch auf die versprochenen Stimuli warten, ist der Geldsegen hier bereits eingetroffen. Verrengia hat alle Zahlen bei der Hand.

"Die Philosophie in Washington hat sich eindeutig geändert. Noch nie war der Wille zu forschen so groß, noch nie waren die Politiker sich so einig, dass es dringend nötig ist, zukunftstragende Produkte zu entwickeln. Seit Obama Präsident ist, steigen die staatlichen Zuwendungen rasant. Unser Jahresbudget ist von 180 Millionen Dollar auf 400 Millionen Dollar explodiert, hinzu kam 2009 noch eine einmalige Zuwendung von 115 Millionen Dollar."

Was mit all dem Geld geschieht, ist offensichtlich: Überall auf dem Gelände des NREL schießen Gebäude aus dem Boden. Obwohl der Mitarbeiterstab bereits um ein Drittel aufgestockt wurde, wimmelt es auf der Website vor Stellenangeboten.

Fort Felker hätte nie gedacht, dass er nach drei Jahrzehnten in der Privatwirtschaft noch einmal Staatsangestellter werden würde. "Aber change is good", lacht der Ingenieur in Anspielung auf den Wahlslogan von Obama. Er ist 2009 zum NREL gewechselt und hat den Schritt bislang keine Minute bereut.

"Anders als in Europa, wo es auf Jahrzehnte hinaus festgelegte Richtlinien gibt, stehen und fallen Zukunftsinvestitionen hierzulande von einem Abgeordneten zum anderen. Aber Obama gibt mir Hoffnung, weil ihm die langfristige Stabilität der Nation am Herzen liegt. Er hat die richtige Vision: Kohlenstoff-Abscheidung, Kernkraft, Wind – er unterstützt die Entwicklung dieser alternativen Energiequellen, weil es weniger riskant ist, mehrere Möglichkeiten auszuloten, als sich nur auf einen einzigen Hoffnungsträger zu konzentrieren."

Es ist nicht das erste Mal, dass die Vereinigten Staaten Unsummen in Forschungsprojekte pumpen, um ihre Vormachtstellung zurückzuerobern. Präsident Eisenhower machte es in den 50er-Jahren genauso. Nach der erfolgreichen Sputnik-Mission der Sowjets beschloss er, dass die USA auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technologie nie wieder die zweite Geige spielen würden. Er investierte in akademische Forschungsprojekte. Daraus entstand unter anderem das Internet.

Obamas Vorgehensweise unterscheidet sich von der seines Vorgängers, weil er auf globale Kooperation setzt. Das NREL in Golden stellt Hunderten von Firmen Manpower und Testanlagen zur Verfügung. Auch internationale Wirtschaftsträger sind willkommen, solange sie nur Standorte in den USA haben.

Hintergrund der vermeintlichen Transparenz ist ein schlichtes Kosten-Nutzen-Kalkül: Die USA sind in diesen schwierigen Zeiten auf die Präsenz ausländischer Konzerne angewiesen. Nicht-amerikanische Firmen zahlen ihren Mitarbeitern im Schnitt 13 Prozent mehr Gehalt. Außerdem investieren sie mehr als ein Drittel ihrer Gewinne zurück in die amerikanische Wirtschaft.

Vor dem NREL drehen sich Windräder auf der grünen Wiese, dahinter erhebt sich das majestätische Bergmassiv der Rocky Mountains. Colorado liegt mitten im sogenannten Windkorridor der USA. An diesem Nachmittag pfeift der Wind.

Es sind ideale Arbeitsbedingungen für Jan Kjaersgaard und sein Team. 2008 eröffnete der gebürtige Däne auf dem Campus des NREL das erste Siemens-Forschungszentrum für Windenergieanlagen in den USA. Er schwärmt von außerordentlichen Standortvorteilen:

"Es gibt hier viele Felder, das Land ist nur spärlich besiedelt und der Wind weht oft sehr stark. Diese Kombination macht es billiger, Windfarmen in den USA zu betreiben als in Europa. Woran es bislang fehlte, war der generelle Wille, auf diesen Energieträger umzusatteln. Ja, einige US-Bundesstaaten haben schon vor Jahren alternative Standards eingesetzt. Aber jetzt denkt auch der Föderalstaat um: Die USA sind der zweitgrößte Windmarkt der Welt, Tendenz steigend."

Trotz der Wirtschaftskrise laufen die Windgeschäfte von Siemens in den Vereinigten Staaten blendend: 2009 hat das deutsche Konglomerat dort Anlagen mit einer Gesamtleistung von 10.000 Megawatt installiert - ein Rekord, der unter anderem auf die finanziellen Anreize Washingtons zurückgeht. Jedem Energieversorger, der 100 Millionen Dollar in alternative Energien investiert, werden bereits 60 Tage später 30 Millionen Dollar zurückerstattet. Für Kjaersgaard gibt es keinen Zweifel: Die Konjunkturprogramme der US-Regierung machen Sinn.

"Ich war sehr überrascht, wie schnell die Amerikaner auf politische Mechanismen reagieren, wenn man sie ihnen nur bietet. Obamas Wachstumsinitiativen sind die längste, staatliche Unterstützungsphase, die es je gegeben hat in diesem Land. Das hat viele Hersteller überzeugt, sich hier niederzulassen und Jobs zu schaffen. Das beweist, dass es gut ist, wenn eine Regierung langfristige Perspektiven bietet, dann kommen die Investments und der Markt."

In Denver, der Hauptstadt Colorados, unterzeichnete Obama Anfang 2009 sein mit einer beispiellosen Summe von 787 Milliarden Dollar ausgestattetes Wachstumspaket. Tom Clark hat den Federzug persönlich miterlebt. Die Krise macht dem Handelsbeauftragten von Denver keine Sorgen. Er spricht von der Symbiose zwischen Telekom, Logistik und immer mehr Grüner Technologie. Und davon, dass die Arbeitslosigkeit in seiner Stadt um zwei Prozent niedriger ist als im nationalen Durchschnitt.

Fragt man Clark, inwiefern der Präsident zu all dem beitrage, schüttelt er mit dem Kopf.

"Der Mittlere Westen versucht, Washington so stark wie möglich zu ignorieren. Wir sind geografisch weit von der Hauptstadt entfernt, wir waren oft auf uns selber angewiesen. Außerdem kannst du die Dinge ohne föderale Hilfen viel schneller bewegen. Denver war einmal das Öl-Zentrum des Landes. Aber dann kam 1982 der große Ölpreisschock. Da haben wir erkannt, dass wir uns nicht nur auf einen Wirtschaftszweig konzentrieren dürfen und mehrere Jahre vorausplanen müssen."

Draußen vor dem Konferenzraum erstreckt sich die schier endlose Prärie gegen den Horizont. Tom Clark wird immer noch gefragt, wo denn eigentlich der Denver Clan aus der gleichnamigen TV-Serie lebt. Dabei ist vom schnellem Geld und Rohstoffkapitalismus heute in Denver nichts mehr zu spüren.

Die Stadtväter haben früher als ihre Kollegen in anderen Teilen der USA erkannt, dass Petro-Dollars alleine nicht die Zukunft sind. Auch in Sachen Standortwerbung agieren sie ziemlich unamerikanisch:

"Colorado bietet nicht viele Anreize für die Unternehmen. Ja, wir haben unser Steuergesetzgebung angepasst, wir übernehmen die Lohnsteuer der Firmen, die sich niederlassen, und sie brauchen auch keine Einkommensteuer auf ihre Exporte zu zahlen. Unsere wirkliche Stärke ist eine andere: Denver ist die am höchsten gebildete Metropole der USA, 92 Prozent der Einwohner haben einen High School Abschluss. Die Firmen können also einen Großteil ihres Personals direkt vor Ort einstellen, sie müssen nicht erst ganze Familien umsiedeln."

Denver verkörpert die Skepsis all jener, die sich fragen, wie Obama sein gewaltiges Konjunkturprogramm bloß schaffen will. Zugleich steht die Stadt ebenso wie ihr Bundesstaat aber auch für einen Sinneswandel, der im Prinzip auf dasselbe hinausläuft, wie das, was der US-Präsident im Großen umzusetzen versucht.

Die einst so selbstbestimmenden Einwohner von Colorado erkennen, dass ein bisschen mehr Führung von oben gar nicht so schlecht ist. Und sie zeigen Washington, dass sich die Unternehmen auch ohne Finanzspritzen zu Standort-Investitionen überreden lassen.

Die Kleinstadt Boulder könnte es so auch in Europa geben. Sie liegt am Fuß der Gebirgskette Flatiron Rocks. In der zur Fußgängerzone ausgebauten Haupteinkaufsstraße wimmelt es von Straßenmusikanten. Die Bewohner dieser Enklave machen seit jeher alles ein bisschen anders als sonst wo in Amerika.

Schon Mitte der 60er-Jahre erlegten sie sich eine Spezialsteuer auf, um die Anlegung zahlreicher Grünflächen zu finanzieren. Vizebürgermeister Ken Wilson kommt kaum nach, wenn man ihn bittet, die Vorzüge seiner Stadt zu rühmen.

"Die Menschen ticken anders hier, wir sind eine grüne Stadt, wo die Leute gerne leben wollen. Wir sind von malerischen Bergen umgeben, so eine Sicht gibt es nur an wenigen Plätzen der Welt, das wollten wir schützen. Wir waren auch die erste Stadt Amerikas, die vor sechs Jahren beschloss, den CO2-Ausstoss der Haushalte zu besteuern: Eine Million Dollar nehmen wir damit jedes Jahr ein. Davon bezahlen wir Stadtbeamte, die den Bürgern helfen, ihre Klimabilanz noch weiter zu verbessern."

Schon jetzt stammen 15 Prozent der Stromversorgung in Boulder aus alternativen Energien. Bis 2015, so haben die Einwohner per Referendum beschlossen, sollen es 80 Prozent sein. Obama stellt im Rahmen seines Konjunkturpaketes Milliarden für die Entwicklung schlauer Stromnetze, der sogenannter Smart Grids, bereit. Dadurch will er den Stromverbrauch senken und alternative Energiequellen fördern.

Auch Excel, der lokale Stromversorger in Boulder, hat sich beworben, ging aber leer aus und setzt deshalb jetzt auf Eigeninitiative. Wir haben bereits alle Haushalte mit intelligenten Stromzählern versorgt, sagt Unternehmenssprecher Tom Henley. Er ist stolz, dass er sich bei niemandem bedanken muss.

"Es geht auch ohne Regierungsgelder. Excel beglich ein Fünftel der Umrüstungskosten, die Kunden tragen den Rest. Sie zahlen jetzt drei Dollar mehr im Monat, aber das können sie leicht wieder reinspielen, denn sie haben jetzt die Möglichkeit ihren Verbrauch besser zu kontrollieren.

Auch für uns als Unternehmen rechnet sich die Investition. Der Stromverbrauch steigt von Jahr zu Jahr, deshalb stellt sich die Frage, was mehr Sinn macht: Neue, teure Kraftwerke zu bauen? Oder die Kunden dahin gehend umzuerziehen, dass sie ihren Strom effizienter verbrauchen?"
Boulder ist die erste, flächendeckende "Smart Grid City" der USA. Die Einwohner brauchen sich nur auf der Website von Excel einzuloggen, um zu sehen, wann sie wie viel Kilowatt verbrauchen. Sogar der Vize-Bürgermeister spart mit. Ken Wilson erzählt immer wieder gerne die Geschichte, dass er in einer schlaflosen Nacht ins Internet ging, um seinen Stromkonsum zu checken. Dabei fiel ihm ein unerklärlicher Anstieg auf: Um zwei Uhr morgens, obwohl seine Familie vor dem Zubettgehen immer alle Geräte ausschaltet.

"Und wir heizen nachts auch nicht. Aber wir haben eine Elektroheizung im Keller, die dann einspringt, wenn es zu kühl im Haus wird. Ich hatte einfach diesen Thermostat falsch eingestellt. Jahrelang war mir das so nicht bewusst. Aber jetzt weiß ich es und spare 20 Cents pro Kilowattstunde. Das macht einen Dollar pro Tag, 30 Dollar im Monat. Wir passen jetzt auch besser auf, unsere Computer nicht ewig laufen zu lassen."

Nicht, dass Vizebürgermeister Wilson auf ein paar Dollar im Monat angewiesen wäre. Aber wie viele in Boulder denkt auch er voraus. Das zahlt sich aus. Die Rezession ist in diesem Teil der USA weit weg. Auch von der Immobilienkrise ist hier nichts zu spüren. Der Durchschnittspreis für ein Haus liegt immer noch bei stolzen 425.000 Dollar.

Dennoch habe auch Boulder Obama-Dollars beantragt, gibt Wilson zu, der schon seit Jahren das öffentliche Verkehrsnetz seiner Stadt ausbauen will. Dazu kommt es jetzt erst einmal nicht. Boulder bekam keinen Cent aus Washington. Wilson sagt kein einziges Wort mehr.

Aber man spürt, dass er sich ärgert. Und man glaubt zu wissen, was er denkt, nämlich: Dass die Amerikaner, die die ganze Zeit über verantwortungsbewusst waren, nun durchs Sieb fallen und die Zeche der anderen zahlen.