Gustav Mahler, eine Katze und Berlin

Von Camilla Hildebrandt · 24.02.2011
Der israelisch-amerikanische Orchesterleiter Yoel Gamzou ist mit seinen 23 Jahren ein musikalisches Genie. Er hat bereits Orchester wie die Bamberger Symphoniker, die Hamburger Symphoniker, die Israel Philharmonic oder das National Symphony Orchestra of Cuba dirigiert.
Yoel Gamzou: "Natürlich, mit sieben stand ich nicht auf und sagte: Ich werde Dirigent, und: ich werde dann Mahler-Sinfonien dirigieren. Natürlich nicht. Es hat mit der Faszination angefangen. Als ich zum ersten Mal die 7. Sinfonie von Mahler hörte, habe ich sie bestimmt zehn Mal hintereinander gehört, den ganzen Tag und die ganze Nacht, bin irgendwann eingeschlafen, und am nächsten Tag wieder."

"Also, meine Kindheit war sehr seltsam, ich war in meiner eigenen Blase, meiner eigenen Welt, und durch Mahler habe ich wirklich meine Richtung entdeckt, das war eine magische Verbindung mit der Musik."

Die langen, schlanken Finger von Yoel Gamzou bewegen sich, als wenn sie die Wellen des Meeres nachempfinden wollten, erst zart, dann sturmartig. Die Bewegung der Hände geht in den ganzen Körper über, der sich aufbäumt, und den die Musik schließlich wie ein Blitz zu durchfahren scheint.

Auf dem Dirigentenpult scheint Gamzou mit seinen großen, braunen Augen jede einzelne Note aufzusaugen. Nichts entgeht ihm. Den Mund halb geöffnet, ist er stiller Lenker und wild stampfender Troll in einem.

Im Interview hingegen faltet er seinen langen, schmalen Körper auf dem Sofa zusammen und beginnt – zögernd – über sein Leben zu erzählen.

Yoel Gamzou: "Ich habe mein Leben nie gelebt, weil ich dachte: och, wie toll, was ich mache. Ich hatte einfach eine Realität, die habe ich gelebt, es gab immer nur eine Möglichkeit für mich, wie es weitergehen könnte, der bin ich gefolgt. So war es auch mit Mahler."

Talent, Genie, diese Worte lässt Gamzou für sich nicht gelten. Seine Lebensaufgabe sei nun mal sehr früh klar gewesen. Die Musik. Warum also so viel Aufhebens darum machen?

Seine Mutter - bildende Künstlerin - habe ihn ungewöhnlich erzogen, erzählt Gamzou. Dabei fallen ihm seine glatten, kinnlangen Haare immer wieder ins Gesicht.

Yoel Gamzou: "Ich bin ihr einerseits sehr dankbar, denn ich habe durch ihre offene Art zu leben sehr viel erlebt, entdeckt, viele Sachen, die andere nie im Leben erleben würden. Ich habe durch ihre Stärke - ein Kind alleine zu erziehen - sehr viel über Menschlichkeit gelernt, und durch die künstlerische Seite der Familie bin ich viel gereist. Aber andererseits war es auch eine sehr eigene Art, Mutter zu sein. Was nicht viel mit Verantwortung und Erziehung zu tun hat. Ich glaube, das hat sehr gut geklappt, weil ich mit acht oder neun selbständig war."

Die Schule war für Yoel Gamzou eine Katastrophe. Weil niemand seine Art akzeptieren wollte.

Yoel Gamzou: "Es war nicht, dass ich denke, och, ich bin so toll, gar nicht. Sondern ich war ziemlich schnell beim Lernen und hatte auch meine eigene Art. Ich fand es sinnlos, da zu sitzen und eine dreiviertel Stunde von etwas zu hören, was ich schon nach einer Minute kapiert hatte."

Mit fünfzehn beschließt er, sein Leben endlich selbst in die Hand zu nehmen. Er reist nach Italien, auf der Suche nach seinem Dirigenten-Vorbild Carlo Maria Guilini. Nach zahlreichen erfolglosen Versuchen, bekommt er die Chance, den älteren Herrn kennen zu lernen. Die nächsten zwei Jahre besucht er den Meister drei Mal die Woche, um mit ihm zusammen Partituren zu lesen.

Yoel Gamzou: "...stundenlang, mal so, mal so, wir haben in den ersten vier Monaten nur die 3. Sinfonie von Brahms gelernt und dann die ganze 5. von Schubert in einer Stunde."

Was der Meister ihm beigebracht hat? Fragen zu stellen.

Yoel Gamzou: "Also, alle Dirigenten und alle Lehrer, das ist die Krankheit unserer Zeit, geben immer Antworten. Sie sagen: Das muss man so machen oder so. Ich hab das kein einziges Mal gehört. Ich habe nur gehört: Wie würdest du das hören, wie würdest du das machen? Er hat mir wirklich beigebracht, wie man der Partitur Fragen stellt. Sich selbst Fragen stellt, alles anzweifelt und alles versteht, und so kam ich zu meinen eigenen Antworten. Und das ist die einzige Art Musik beizubringen, generell, finde ich."

Mit siebzehn beginnt der junge Israeli mit seiner Arbeit an der unvollendeten 10. Sinfonie von Gustav Mahler. Und nur zwei Jahre später gründet er in London sein eigenes Orchester: das International Mahler Orchestra. 30 Musiker aus 25 verschiedenen Ländern.

Die Idee: Junge, sehr talentierte Musiker treffen auf erfahrene Kollegen, Mitglieder der bedeutendsten Orchester Europas. Was sie alle gemeinsam haben, ist die absolute Leidenschaft für die Musik!

Yoel Gamzou: "Das Orchester hab ich gegründet, weil ich fest überzeugt bin, die Musikwelt so wie sie heute ist, hat keine Zukunft. Das Durchschnittsalter im Klassischen Konzert ist heute über 60. Man schreibt immer: Die jungen Menschen, die sind so oberflächlich, und die richtige Tradition? Die richtige Tradition wird von gelangweilten Menschen über bezahlte Dirigenten in Routine gespielt, und dann erwarten diese Leute, dass die jungen Leute das toll finden?"

Bei ihm soll nie Routine einkehren, dafür will er sorgen. Bei jeder Probe wird deshalb etwas anderes gespielt. Jeder hat die gleichen Rechte, erzählt Gamzou begeistert!

Um die halbe Welt ist der 23-Jährige schon gekommen. Aber die Stadt, die ihn hält, ist Berlin. Hier kann er sein, wie er ist. Und hier lebt er seit drei Jahren zusammen mit seiner großen Liebe: Hula - seiner Katze.

Yoel Gamzou: ""Ich habe Hula mit zirka sechs Jahren geheiratet, sie war vier Monate alt und ich sechs. Und wir sind seitdem sehr, sehr glücklich, und das ist die einzige Beziehung bei mir, die geklappt hat, weil beide Seiten sich gegenseitig respektieren und tolerieren, und ich bewundere diese Katze sehr."'"


Yoel Gamzou und das International Mahler Orchesta werden Ende April auf dem PODIUM Festival zu erleben sein, dem Jungen Europäischen Festival Esslingen.

Mehr Information unter:
www.internationalmahlerorchestra.com
www.podiumfestival.de