Gütesiegel Weltkulturgut

Von Thomas Migge · 08.04.2012
In Cerveteri nördlich von Rom will die Weltkulturbehörde Unesco ganz genau hinschauen - anscheinend gelingt es dem Staat dort nicht, den Kunstdieben Einhalt zu gebieten. In Cerveteri befindet sich die größte etruskische Gräberstadt überhaupt.
Zu sehen sind einige Gestalten, die mit Spaten und anderen Gerätschaften Erdreich ausheben. Sie scheinen nicht zu bemerken, dass eine Infrarotkamera sie von weitem beobachtet. Dank des potenten Teleskops erkennt man bei diesen Nachtaufnahmen genau, was diese Leute dort tun.

Als das italienische Fernsehen vor kurzem die jüngsten Resultate der Ermittlungen der Carabinieri-Einheit gegen Kunstdiebstahl ausstrahlte, war das Entsetzen groß. Zum ersten Mal überhaupt wurden Kunstdiebe bei ihrer nächtlichen Arbeit gefilmt. Und zwar in Cerveteri. In der Umgebung dieser kleinen Ortschaft nördlich von Rom befindet sich eine der größten und archäologisch interessantesten Totenstädte der Etrusker. Ein Weltkulturgut – theoretisch jedenfalls. Bedroht wird es seit Jahren von den so genannten "Tombaroli", wie man im Italienischen Kunstdiebe nennt, die mit Spaten und Schippe anrücken, wie auf dem gezeigten Video der Carabinieri-Einheit. Der Kunsthistoriker Raffaele Mancino gehört zu dieser Einheit:

"Der Tombarolo gibt sein Wissen an seine Söhnen weiter. Mit ganz bestimmten Geräten gehen die vor. Leider wird bei der Suche und beim Ausgraben viel antike Kunst für immer zerstört."

Das Weltkulturgut der etruskischen Nekropole bei Cerveteri nimmt eine Fläche von rund 400 Hektar Land ein. Unbebautes Land, bukolisch und romantisch, mit tausenden antiker Gräber, von denen zirka 80 Prozent noch nicht archäologisch erforscht wurden, sagen die Experten. Warum das so ist? Es fehlt das Geld für umfassende wissenschaftliche Grabungsarbeiten.

Die ältesten der unterirdischen Gräber stammen aus dem neunten vorchristlichen Jahrhundert. Viele sind mit griechisch beeinflussten Malereien geschmückt, die zum Schönsten gehören, was man aus der vorrömischen Epoche in Italien kennt. Das "Reliefgrab" zum Beispiel ist nahezu komplett erhalten: Nicht nur die Räumlichkeiten selbst mit einem Versammlungsort für die trauernden Hinterbliebenen und den eigentlichen Totenkammern für die Sarkophage, sondern auch die Quadratmeter großen Wandmalereien.

Die Totenstadt von Cerveteri ist in Gefahr, und das weiß man auch bei der Unesco in Paris, erklärt der Archäologe Stefano Gaggiulo, der hier zusammen mit Kollegen die Räumlichkeiten ausmisst:

"Wir arbeiten hier mit Lasergeräten und erkennen sofort, wo und wie Kunstdiebe sogar Fresken von den Wänden abgeschlagen haben. Nur die für den Kunstmarkt attraktiven Motive, wobei die übrigen Malereien an den Wänden einfach zerstört wurden. Diese Kunstdiebe sind sehr daran interessiert, dass Cerveteri so schnell wie möglich von der Liste der Weltkulturgüter gestrichen wird. Bei der Unesco liegen genaue Daten über das Ausmaß des Kunstdiebstahls hier vor."

Und deshalb wollen die Unesco-Prüfer der Nekropole bald - wann, verraten sie nicht - einen Überraschungsbesuch abstatten, um zu überprüfen, ob man diesen archäologisch wichtigen Ort von der Liste der Weltkulturgüter streichen muss. Das wäre dann der Fall, wenn es Italien nicht gelingt, für den Schutz und den Erhalt eines solchen Kulturguts aufzukommen. Sicherlich: mit einer Ausdehnung von 400 Hektar ist diese archäologisch bedeutende Zone nur schwer rund um die Uhr zu bewachen, aber weder das Kulturministerium noch regionale oder kommunale Behörden sorgen dafür, dass das Gebiet wenigstens teilweise kontrolliert wird. Und so haben Kunstdiebe ein wirklich leichtes Spiel. Und sie haben ein besonderes Interesse daran, dass die Nekropole einen möglichst schlechten Ruf bei der Unesco hat, sagt der auf Kunstdiebstahl spezialisierte Journalist Sergio Rizzo:

"In Italien klappt das irgendwie nicht so richtig mit dem Schutz von Kunstgütern. Schauen Sie sich diese Nekropole an: Müll hier und da, die Gräber wachsen mit wilden Büschen zu, niemand kümmert sich um diese Zustände. Wenn die Unesco Cerveteri von ihrer Liste streicht, fallen auch noch die letzten Kontrollen durch die italienischen Behörden weg. Da kann man richtig wütend werden."

Ist ein geographisch fest umrissener Ort Unesco-Weltkulturgut, müssen sich die nationalen und lokalen Behörden darum kümmern, dass dieses Kulturgut bewacht und erhalten wird. Was in Cerveteri nicht der Fall ist. Eine der Folgen: Die Zahl der Besucher ist 2011 im Vergleich zu 2010 um fast 40 Prozent gesunken.

Seit einigen Wochen versuchen italienische Bürger, etwas gegen diese Realität zu unternehmen. Sie wollen ein Zeichen setzen: Mitglieder von drei Umweltschutzorganisationen reinigen das Gebiet der Nekropole: sie entfernen den Müll und die Sträucher, die es Kunstdieben erlauben, auch tagsüber ungestört ihrem illegalen Geschäft nachzugehen. In der Hoffnung, dass das Urteil der strengen Unesco-Prüfer, wenn sie denn, wie erwartet, bald kommen, nicht allzu hart ausfallen wird.