Lebensmittelhilfe in Syrien

"Wir brauchen 48 Stunden Ruhe"

Der von Aufständischen kontrollierte Ostteil Aleppos wird durch Angriffe der syrischen Luftwaffe erschüttert. Sie sehen Syrer, die inmitten von Trümmern laufen.
Der von Aufständischen kontrollierte Ostteil Aleppos wird durch Angriffe der syrischen Luftwaffe erschüttert. © Zouhir Al Shimale/EPA, dpa picture-alliance
Jakob Kern im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 15.08.2016
Der Osten Aleppos ist abgeschlossen. Und auch in den Westen können die UN nur mit Mühe Lebensmittel transportieren. Um Hilfslieferungen mit Lkws in das Kriegsgebiet zu bringen, bräuchten sie zwei Tage Zeit, sagt Jakob Kern, Leiter des UN-Welternährungsprogramms in Syrien.
Sechs Millionen Menschen in Syrien brauchen Lebensmittelhilfe. Die Menschen in Aleppo sind derzeit besonders schwer zu erreichen. Der von den Aufständischen kontrollierte Osten der Stadt ist völlig abgeschlossen. In den von der Armee Assads beherrschten Westen konnten die Vereinten Nationen in dieser Woche bislang nur 26 Lastwagen mit Lebensmitteln liefern – nur etwa zehn Prozent dessen, was sie sonst in einem Monat dorthin senden. Das berichtete Jakob Kern, Leiter des UN-Welternährungsprogramms in Syrien, im Deutschlandradio Kultur, zugeschaltet aus Damaskus.
"Seit einer Woche ist die Hauptstraße nach West-Aleppo auch abgeschlossen, und der Umweg ist eine Kiesstraße, die wir nur in der Nacht mit Eskorte befahren können."
Der Osten sei bis vor einigen Wochen noch von der Türkei aus beliefert worden. Dort gebe es jetzt aber kein Durchkommen mehr. Die von Russland verkündete Feuerpause von täglich drei Stunden reiche nicht aus.
"Jede Feuerpause ist gut für die Leute, die in einer Stadt leben, wo Bomben die Normalität sind. Für uns als humanitäre Organisationen ist es zu wenig, um wirklich etwas Sinnvolles zu machen. Wenn wir in belagerte Gebiete gehen, dann geht so ein Konvoi mindestens sechs Stunden, kann aber auch über 30, bis zu 36 Stunden dauern. Drei Stunden ist die Zeit, die wir normalerweise an einem Checkpoint warten, bis alles kontrolliert ist."

"Selbst eine Luftbrücke braucht eine Feuerpause"

Und auch die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier erwogene Luftbrücke sei in dieser Lage keine Lösung.
"Selbst eine Luftbrücke braucht eine Feuerpause. Kein Helikopter und kein Flugzeug landet in einer aktiven Kriegszone, wo Bomben explodieren. Deshalb sagen wir von den Vereinten Nationen, dass wir 48 Stunden Ruhe brauchen, und dann können wir mit Lastwagen in die Städte fahren, da braucht es keine Luftbrücke."
Sinn mache eine Luftversorgung allerdings im Nordosten Syriens in Deir-ez-Zor, da es dort keine Möglichkeit gebe, die Stadt auf dem Landweg zu erreichen, da man dafür durch IS-Gebiet fahren müsse.

"Wir leben und arbeiten im Hotel"

Jakob Kern lebt derzeit selbst in Damaskus – eine Arbeit unter schwierigen Bedingungen.
"Der Schein trügt, wenn man nach Damaskus fährt, dann sieht man das Leben wie in einer normalen Stadt. Da hat es Taxis, Busse, und alles. Aber in der Nacht hört man natürlich die Bomben, die in den umliegenden Quartieren, die von der Opposition besetzt sind, die sind zehn Kilometer entfernt…"

Es gibt Selbstmordanschläge und in die Altstadt könnten sie seit zwei Wochen nicht mehr gehen.

"Also leben wir mehr oder weniger im Hotel, das ist der einzige Ort, der sicher genug ist, und mein Büro ist in einem Ballroom, wo normalerweise Hochzeiten abgehalten wurden, mit 80 Leuten in einem Großraumbüro. Wir leben und arbeiten im Hotel und können jetzt etwa 200 Meter im Umkreis nach draußen in Restaurants gehen. Aber um zehn Uhr ist dann Ausgangssperre bis morgens um sieben.
Was uns am Leben hält, ist dass wir alle vier Wochen für eine Woche nach Hause gehen können und natürlich die Internetverbindungen mit Familie. Am Abend habe ich zwei Stunden eine Videokonferenz mit meiner Familie und mache Hausaufgaben mit meinen Kindern oder esse gemeinsam Nachtessen."
Mehr zum Thema